Am 19. Juli 2022 ist es soweit: Die Malizia – Seaexplorer kommt ins Wasser – im Hafen von Lorient und live übertragen im Internet. Je mehr man sieht, desto höher werden die Erwartungen an das völlig neue Renndesign aus der Feder von Boris Herrmann und VPLP-Design. Der Weltumsegler brachte dazu seine Offshore-Erfahrungen ein, die Designer ihr technisches Wissen. Und der Carbon-Spezialist Multiplast baute gemeinsam mit dem Malizia-Team die Segelyacht.
Auf die Carbon-Struktur ist eine schwarze Folierung mit zwei asymmetrischen Farbfeldern auf jeder Seite in Blau und Gelb aufgebracht – ein cooles, markantes und außergewöhnliches Design. So ungewöhnlich wie der zackige Schriftzug der Malizia-Kampagne.
Die Konstruktion, die Boris Herrmann mutig nach eigenen Renn-Erfahrungen – unter anderem bei der letzten Vendée Globe – bauen ließ, bei der er Fünfter wurde, unterscheidet sich von der früheren Malizia, der Seaexplorer II, deutlich.

Auffällig an dem 18,28 Meter langen Rumpf ist vor allem der Bug, der massiv und stark abgerundet herausragt und so den Auftrieb erhöhen soll. Dieser Plattbug (Scow Bow im Englischen) soll verhindern, dass die neue Malizia zu tief in die Welle eintaucht.
Aus Erfahrung klug geworden
Gerade im Southern Ocean, wo eine hackige See herrscht, ist dies ein Problem. Boris Herrmann machte hier bei der letzten Vendée Globe die Erfahrung, dass das Boot mit den langen Foils zu hohe Geschwindigkeiten erreicht. Verloren die Foils nach einer Welle den Wasserkontakt, schlug die Seaexplorer hart auf, was Boot und Material stark beanspruchte. Herrmann fuhr deshalb weite Strecken im Southern Ocean mit eingezogenen Foils, was ihn Tempo kostete.
Durch die extreme Bugsektion soll die neue Malizia möglichst wenig in die Wellen eintauchen und dadurch weniger Fahrt verlieren. Die angepassten Foils, wie sie jetzt für die Vendée Globe 2024/25 von der Imoca-Klasse vorgegeben sind, unterstützen die Seegängigkeit in rauen Gewässern.
Die Kombination aus Bug und Foils, so hofft Boris Herrmann, sorgt für mehr Geschwindigkeit und schont das Material. Doch noch immer ist die Foiltechnik im Experimentiermodus. Und das Zusammenspiel von Rumpf und Foils zeigt erst im Wasser seine wahre Wirkung.
Man kann auch zu schnell sein
Ein weiteres Augenmerk galt der Stabilität des Rumpfes. Die Dichte an Stringern und Schotten liegt weitaus höher als bei sonstigen Imocas, erhöht das Gewicht aber nicht übermäßig. Absolute Zuverlässigkeit hatte für Herrmann Priorität. Was nützt das schnellste Schiff, wenn man sich nicht traut, es auszureizen?
„Es ist eine gute, zeitgemäße Rumpf- und Cockpitform mit einer starken inneren Struktur, die Zuverlässigkeit und Leistung bringen sollte“, sagt Yann Penfornis, CEO von Multiplast, über den Rumpf gegenüber float.
Außerdem wurden die Ergonomie und der Wohnraum der Rennmaschine komplett neu gestaltet. Das Cockpit ist geräumig genug, um Herrmann beim Einhand-Segeln als Arbeits- und Wohnraum gleichermaßen zu dienen. Unter Deck muss er nicht. „Auf der Route du Rhum werde ich die ganze Zeit im Cockpit verbringen und neben den Winschen schlafen“, skizziert Herrmann die „Racing Philosophy“ hinter der Malizia III.

Der Aufwand für die Imoca 60 ist immens: Wie Herrmanns Rumpfbauer Multiplast kürzlich auf float berichtete, sind für den Bau der Hochseerennyacht rund 33.000 Arbeitsstunden notwendig. Das sind gut 40 Prozent mehr als noch für die Vorgänger. Die Boote werden immer komplexer.
Hinter den Kulissen
Die Segelwelt blickt auf die neue Imoca und ihren Skipper. Aber hinter den Kulissen spielt das Team um die britische Leiterin Holly Cova genauso eine wichtige Rolle. Die Zusammensetzung ist so ungewöhnlich wie der Teamgeist eingeschworen. Die Mitarbeiter sind in ihren 30ern, kommen aus elf Nationen und wohnen gemeinsam in fünf Häusern in Lorient.

Boris Herrmann trägt die Hauptverantwortung und hat das letzte Wort. Aber er weiß sehr wohl: In der Gemeinschaft liegt die Kraft. Gerade bei The Ocean Race mit seinen Zwischenstationen zählt die Zusammenarbeit auf Augenhöhe.