Wenn zwei Nachhaltigkeits-bewegte Kanadier im Öko-Musterländle Costa Rica eine Werft errichten, kann man sich auf eine Überraschung gefasst machen. Lynx Guimond und Danielle Doggett bauen mit ihrem Team einen Frachtsegler aus Holz – im 21. Jahrhundert. Die „Ceiba“ soll ab Ende 2023 die Pazifikküste der beiden Amerikas rauf und runter Bio-Lebensmittel verschiffen.
Bis dahin sind Zimmermänner und Bootsbauer unermüdlich auf dem Mangroven-Areal im Einsatz. Ich habe bei meinem Freiwilligendienst versucht, ihnen möglichst nicht zwischen den Füßen herumzustehen.

Hippies mit Businessplan
Wer nach Astillero Verde geht, sollte in der rechten Hand eine Motorsäge und in der linken eine Blume tragen. Das hier ist Hippieland, aber mit dem Businessplan eines modernen Start-Ups. An einer Sackgasse direkt an der Bucht von Nicoya, 70 Kilometer vom Touristen-Hotspot Monteverde entfernt, liegt die Werft zwischen den Mangroven wie ein Ableger des Protestcamps aus dem Hambacher Forst: Baumhäuser (mit Trampolin), Wellblechbaracken, Rundzelte, Kompostklo und Kräutergarten.
Ein Camp, in dem sich wochentags von 6:30 Uhr bis 16 Uhr 15 Mann und zwei Frauen aus zehn Nationen für ihr Traumschiff die Knochen wundschuften, Spant für Spant, seit 2018, noch zwei Jahre bis zum Stapellauf, um es dann gegen die konventionellen Motorfrachter ansegeln zu lassen. Etwa 10.000 Jahre hat man auf Holzschiffen unter Segeln die Meere befahren, 100 Jahre auf Stahlschiffen mit Verbrennungsmotor. Vielleicht werden sich diese 100 Jahre als kurze Irrung der Seefahrt herausstellen. Der Bau der Ceiba ist eines der Projekte, die eine Kurskorrektur vornehmen.
Die beiden Initiatoren Lynx Guimond und Danielle Doggett verbinden diese romantische Rückbesinnung mit wirtschaftlichem Erfolgswillen und ökologischem Nachhaltigkeitsanspruch. Ein Umdenken im Seehandel ist dem Zimmermann und der Kapitänin Herzens- und Vernunftanliegen, finanziert von Investoren als idealistischen Verbündeten. 90 Prozent des globalen Warenverkehrs erfolgt mit Frachtschiffen, angetrieben durch Schweröl, die für einen erheblichen Teil der Kohlendioxid- und Feinstaub-Emissionen verantwortlich sind.
Aber noch taucht der Seehandel unter dem Radar der neuen Ökobewegung weg. Zusammen mit Frachtseglern wie der Avontuur aus Deutschland und der Tres Hombres aus den Niederlanden will die Ceiba ein neues Bewusstsein und eine echte wirtschaftliche Alternative schaffen. Der 45 Meter lange Dreimaster wird der erste Holzneubau in dieser Avantgardeflotte. Aber Lynx und Danielle sind keine Scheuklappen-Nostalgiker. Bei Flaute und im Hafen wird sich das Segelschiff mit einem E-Motor behelfen können, der aus Solarzellen und Windrädern an Bord gespeist wird.

Genauso wichtig wie das Schiff ist den beiden der Ort, an dem es gebaut wird, die Werft. Schon die Entscheidung für Costa Rica fiel gezielt. 30 Prozent der Landesfläche stehen unter Naturschutz und es wird mehr Wald aufgeforstet als abgeholzt. Die improvisierte Camp-Architektur der Werft, die hohe Eigenverantwortlichkeit jedes Beteiligten, die gezielte Einbindung der lokalen Community sind Teil eines holistischen Ansatzes, der utopische Gemeinschaft, nachhaltiges Wirtschaften und Full Profit zusammendenken will. Astillero Verde ist Sägewerk und Werft, Kommune und Weltgenesungsprojekt.
Für den Plan B in die Ostsee
Ursprünglich war der Launch der Ceiba für 2022 angekündigt. Aber kleine Stolpersteine hier und da addieren sich zu einer Verzögerung von mindestens 1 1/2 Jahren. Das beginnt schon beim Holz, das nicht so schnell durchtrocknet wie erwartet. Um trotzdem 2022 mit dem Handelsverkehr loslegen zu können, hat Sailcargo einen Plan B aktiviert: Sie haben einen schwedischen Holzzweimaster von 1909 gekauft, den sie diesen Sommer zum Frachtsegler modifizieren und von der Ostsee in die Karibik überführen. Die Vega wird vor allem den Bio-Kaffee des Hauptkunden Cafe William transportieren. Von den Aktivitäten um die Vega wird das Leben und Arbeiten im Werftschlupfwinkel von Costa Rica aber kaum tangiert.
Ewig singt die Kettensäge
Das internationale Team auf Astillero Verde ist jung – zwischen 20 und 30 –, ungebunden und abenteuerlustig. Die „Yardies“ kombinieren Stahlkappenstiefel zu freiem Oberkörper, könnten jederzeit bei den Chippendales einsteigen und zelebrieren ihren alternativen Lebensstil. Die Bootsbauer und Zimmermänner können Gitarre spielen und Brot backen. Das postindustrielle Zeitalter ist ihnen mit seinem entfremdeten Konsum ein Graus.
Im Camp kräht jede Nacht ein Hahn. Wenn zwei weitere einstimmen, ist es Zeit zum Aufstehen: sechs Uhr. Das ganze Team trifft sich in der Open-Air-Küche rund um eine ein mal vier Meter große Tafel aus zwei mächtigen Holzbohlen, von der jeder urbane Loftbewohner träumt. Wer zuerst kommt, muss das Kompost-Chaos, das die Waschbären nachts angerichtet haben, aufkehren. Der Zweite macht Kaffee.

Astillero Verde ist Sägewerk und Werft, Kommune und Weltgenesungsprojekt.
Um 6:30 Uhr beginnt die erste Schicht. Roland, der deutsche Wandergeselle, gibt das Kommando: „Now let the chainsaws sing again!“ Die Werftarbeit verteilt sich auf mehrere Stationen. Roland schneidet Tag für Tag die sechs Meter langen Stämme von Zeder und Guapinol zu Bohlen auf, mit schwerem Gerät bei über 30 Grad in vollem Zimmermanns-Ornat. Ein Zweierteam sucht mit einer transparenten Musterfolie die passenden Bohlen für die Spanten heraus. Nur das Kernholz darf verwendet werden – bei möglichst wenig Verschnitt.
Artur teilt als Werkstattleiter die Truppe für die 100 Jahre alte Bandsäge von Fay & Egan ein, die mit dem Motor eines alten Motorrades samt Fahrgestell und Lenker betrieben wird. Hier werden die Bohlen passgenau für die U-förmigen Spanten zugesägt. Mit dem Trecker wird das Holz von Station zu Station transportiert, am liebsten von Farmerssohn Lynx selbst. Erst beim letzten Schritt, dem Zusammensetzen der Bohlen zum Spant auf der „Stage“ direkt am Heck des Schiffes, merkt man, dass man sich nicht in einem Sägewerk, sondern auf einer Werft befindet. Das Arbeiten mit dem warmen, lebendigen Material Holz mag romantisch sein, die Geräuschkulisse ist es nicht. Gearbeitet wird unter Gehörschutz.
Der Laie wundert sich

Von 6:30 Uhr bis zum zweiten Frühstück um 9 Uhr beziehe ich Station am Hackklotz. Gekocht wird mit Holz, ich hacke die Scheite dafür zurecht – und kassiere meine ersten Lektionen: Wer nicht spürt, in welche Richtung die Adern durch den Stamm laufen, hackt sich unnötig den Rücken krumm. Und wer nicht beachtet, dass man Bäume nur bei abnehmendem Mond fällt, darf sich nicht über feuchtes Holz wundern. Was für den Laien nach verspulter Esoterik klingt, ist Zimmermännern und Bootsbauern professionelle Selbstverständlichkeit.
Bei einem der werfteigenen Motorräder mache ich mich an die Reparatur des abgebrochenen Blinkers. Ich versuche ihn mit zugespitzten Holzstiften im ehemaligen Schraubenloch zu fixieren. Negativ. Also greife ich doch lieber auf Kabelbinder zurück. Roland schüttelt den Kopf mit der Zimmermanns-Melone: Kabelbinder? Einwegmittel sind verpönt!
Um 16 Uhr endet der Arbeitstag. Ab 17 Uhr beginnt die zweite Schaffensphase. Für jeden Tag ist ein Trio aus den Werftarbeitern zum Kochen des Abendessens eingeteilt. Die Wahl der Speisen steht frei, solange eine vegetarische Option eingeschlossen ist. Zwei Stunden erstreckt sich die Vorbereitung immer. Logan und Pablo panschen an ihrem Abend eine Radikalalternative zum ewigen Gallo Pinto zusammen. Bei ihrem „Spicy Porridge“ werden alle Reste in einem Hexentopf verquirlt, Banane, Ei, Erdnüsse, Paprika, Ingwer, Ananas … Es wirkt wie ein Ayahuasca-Sud à la Ceiba. Die Yardies verrenken sich zur Trap-Musik aus dem Discolautsprecher.
Der Lohn der Mühen
Während die Profis am Herzen operieren, bewegt man sich als Volunteer an der Peripherie des Geschehens, zupft hier und da an der Aorta: Holz hacken, Ketten schleifen, am Flaschenzug anpacken, als Gegengewicht auf der unteren Leitersprosse stehen, Geschirr spülen, ein paar Schritte zu Cumbia tanzen. Aber wenn ein Spant aufgerichtet wird, fiebert jedes Nervenende mit. Mit den Holzrippen kommt erstes Leben in das Schiff. Jede hat ihren eigenen Namen: Theresa, Lola, Amelie Rose, Abhaya, Medusa. Das Knochengerüst des Seehandels von morgen ist weiblich. Klar, das Mutterschiff.


Am 17. Januar wird der erste Spant des Jahres 2020 auf den Kiel gesetzt. Ein Testlauf mit einem Bambusrohr für die optimale Leinenführung der Flaschenzüge geht voraus. Drei Flaschenzüge, die die Rippe oben, mittig und unten anpacken, plus eine Kontrollleine müssen so verlegt und bedient werden, dass sie die Rippe reibungslos durch das Dickicht aus Spanten und Stützgebälk führen. Danielle ermahnt beim Ernstfall: „Es spricht nur, wer Kommandos gibt. Die anderen: kein Mucks. Und ich will niemanden in der Nähe haben, der nicht zur Arbeit eingeteilt ist: keine Gaffer.“ 400 Kilogramm Eisenholzrippe verhalten sich viel störrischer als 20 Kilogramm Bambusrohr.

Alle zwei Meter verhakt und verkantet sich die Rippe. Auf den letzten Zentimetern wird der kanadische Zimmermann Lucas mit dem Vorschlaghammer rabiat. Zwei Stunden braucht es mit vierzehn Mann, dann sitzt Rippe „Tormenta“ in Position. Nach einem Jahr stehen zwei Drittel der Spanten. Lynx nickt: „Es scheint, wir haben einen Weg gefunden, wie man ein Schiff bauen und etwas für sein Seelenheil tun kann.“ „… und für das Heil der Welt“, ergänzt Danielle.

Ein Kommentar
Das ist ja mal eine tolle Idee. Ich denke auch, dass Costa Rica das perfekte Land dafür ist, jedenfalls hatte ich den Eindruck bei meinen zahlreichen Costa Rica Reisen.