Seit Jahrzehnten ist der Große Plöner See mein Heimatrevier. Seit Jahrzehnten kenne ich alle alten klassischen Vollholzjollen, die jemals hier beheimatet waren oder es noch sind. Im vergangenen Sommer wurde ich nun gebeten, mich einmal mit einem fast 90-jährigen Herrn in Verbindung zu setzen, um das, was bei ihm im Keller unter der Hochterrasse liegt, in Augenschein zu nehmen.

Als Experte vor allem für klassische H-Jollen sollte es mir nicht schwerfallen, das Objekt im Keller eventuell auch als eine solche zu identifizieren. Gesagt, getan. Ich suchte den Herrn auf, erzählte ihm von meinem „Auftrag“ – und konnte es nicht glauben, was ich vorfand. Da lag aufgebockt eine Vollholzjolle mit dem schönen Namen „Windspiel“.

Kaum als solche erkennbar, da von einer Hollywood-Schaukel halb verdeckt, lag sie mit allerlei Krempel vollgepackt, das Seitendeck zusätzlich als Ablage für ein Paddelboot genutzt. Nur: Eine H-Jolle war das nicht. Ein Maßband schaffte letzte Gewissheit: 7,10 Meter lang, rund 1,90 Meter breit.
Die Spanten schmaler und mit größerem Abstand zueinander als bei einer H-Jolle. Das Deck und die Planken werden nach einer intensiven Klopfprobe auch als weniger stark empfunden. Hier lagerte tatsächlich – mehr oder weniger vergessen – seit 66 Jahren, also seit 1955, eine alte Vollholzjolle.
Der Kellerfund!
Ein neuer Termin wurde vereinbart. Ich brachte mir Hilfe mit, und nach eineinhalb Stunden hatten wir zu dritt das Boot ausgeräumt und freigelegt. Die komplett vorhandenen Spieren, die unter dem Boot und neben der Jolle auf den Böcken gelagert waren, wurden hervorgezogen.
Die zu Päckchen zusammengelegten drei Vorsegel – aus Baumwolle, stark spakig, teilweise sehr grob und schwer und mit Mäusefraß-Spuren – wurden entdeckt und anschließend das ebenfalls noch vorhandene Großsegel mit der Segelnummer „B.1.“ auf dem Rasen draußen ausgebreitet.
Das Segel sah im Gegensatz zu den Vorsegeln – noch eingezogen in die Keep der Gaffelspiere und des Großbaums – so aus, als wenn es erst gestern nach dem letzten Schlag auf dem See ordnungsgemäß und mit einer Persenning schützend umhüllt und weggelegt worden sei.

Die dünnen, biegsamen langen Holzsegellatten waren ordentlich herausgenommen und mit eingebunden. Die Baumwollbändsel der Persenning zerfielen allerdings schon, als wir die Knoten lösen wollten. Das schwere Eisenschwert und der Mast lagen unter der Jolle, die komplette Ruderanlage mit der Gabelpinne ausgebaut im Boot.
Erstaunlich gute Substanz
Eine vorläufige Inspektion der Substanz des Fundes ergab Überraschendes: kein Spant gebrochen, nur einige der relativ dünnen Bodenbretter leicht verzogen, die Bilge mit grauer Bilgenfarbe gepönt, keine Farbe abgeblättert, die Deckunterseiten weiß gestrichen, je zwei Auftriebskörper aus Blech vorn und achtern unter dem Deck sicher befestigt.
Allerdings hatte die jahrzehntelange Lagerung deutliche Dellen im Kielbereich hinterlassen. Das laufende Gut war herausgezogen und lagerte nebenbei auf einem Bord. Die teilweise in Buchten zusammengebundenen Wanten aus Eisen brachen mehr oder weniger beim Anfassen, so verrostet sind sie.
Sowohl in der Vorkriegszeit als auch unmittelbaren Nachkriegszeit stellte dieses Boot eine höchst seltene Spezies auf dem Plöner See dar. Heute erinnert die „Windspiel“ vor allem an die Besatzungszeit durch die Engländer in Plön, wovon mir der Bootsbesitzer noch berichten sollte.
Die Sieger wollen segeln
Noch-Eigner Karl-Heinz Knobbe (89), Schwiegersohn des vormaligen Besitzers der Jolle, erinnert sich an die Erzählungen der Familie. Knobbes Schwiegervater, dem das Boot gehörte, hatte die Jolle 1937 gekauft, und er ist sie wohl bis 1939 gesegelt. Während des Kriegs war er als Luftschutz-Bereitschaftsarzt in Kiel tätig und konnte deshalb nicht mehr segeln gehen.

Die Engländer hatten Deutschland im Mai 1945 befreit und marschierten auch in Plön ein. Dort bezogen die Offiziere die Häuser der Rosenstraße, wo auch Knobbe wohnte. Die Bewohner durften noch mitnehmen, was sie tragen konnten. Die Jolle gehörte nicht dazu. „Was sie aber sofort entdeckt hatten, war das Segelboot unten in der Garage unter der Hochterrasse. Das wurde eins, zwei drei, rausgeholt und aufgetakelt. Es war ja alles da: Rigg, Segel und was alles dazugehört, Schwert und Ruderblatt, alles tipptopp. Und dann wurde gesegelt.“