Ich identifiziere einen langen, bis aufs Achterdeck reichenden Großbaum mit entsprechend langem Unterliek und – im Gegensatz zu mir bekannten 20er-Rennjollen – gemäßigter Höhe über dem Deck.
Da die Längen und Breiten der Rümpfe bei 15er- und 20er-Rennjollen immer frei gewählt werden durften, erlauben die Abmessungen unseres Kellerfunds leider keine eindeutige Klassenzuordnung. Also kommen wir hier nicht weiter.

Ungewöhnlich vor allem ist die Breite der Jolle von 1,90 Meter. Das sind bis zu 50 Zentimeter mehr als die Maße, die damals bekannte Konstrukteure wie Drewitz, Retzlaff und Theo Ernst wählten. Die Entwicklung der freien Rennklassen sorgte in den Vorkriegsjahren nämlich für extrem schlanke und sehr elegante Boote. Verdankt die Windspiel also ihre Existenz einem begabten Laien?
Eine typische 20er-Rennjolle war spätestens in den 1930er-Jahren üblicherweise mehr als acht Meter lang und 1,70 Meter breit. Dazu hatte sie ein niedriges Freibord. Die ersten Exemplare waren einen Meter kürzer, spätere sogar über neun Meter lang. Auch diese Erkenntnis hilft mir also nicht weiter.

Rätselhaft ist auch die auf dem Foto sichtbare Segelnummer „B.1.“. Sollte diese Segelnummer das Original sein, wäre die Windspiel die erste vermessene 20-Quadratmeter-Rennjolle, die beim damaligen Deutschen Segler-Bund D.S.B. registriert wurde. Hier war zu der Zeit auch der Plöner Segler-Verein organisiert. Diese Boote hatten als Klassenzeichen ein (allerdings unterstrichenes) B im Segel. Beim Deutschen Segler-Verband war es ein großes Z.
Rennjolle oder Halbrennjolle?
Hilft ein Blick in die Bauvorschriften, um die Klassenfrage zu klären? Nicht wirklich, denn erst 1937 wurde ein „Baubesteck“ endgültig für die Rennjollen-Klassen (10er, 15er und 20er) festgelegt – mit Ausnahme der 22-Quadratmeter-Rennjollenklasse (J-Jolle).
Allerdings hatte schon 1914 die technische Kommission des D.S.B. klare Baubestimmungen für die 15-Quadratmeter-Schwertjolle (eine Rennjollen-Klasse, Klassenzeichen M) für Binnengewässer ausgearbeitet. Hier waren nur acht Millimeter Plankenstärke und die Segelfläche vorgeschrieben: Heraus kamen dabei wahre Pappschachteln, die kaum eine Saison durchhielten. Das trifft auf die Windspiel schon mal nicht zu.

Auch die Fährte, dass es eine „Bundeshalbrennjolle“ (Segelzeichen O) sein könnte, die nach 1924 gebaut wurde, erweist sich als falsch. Denn der Bund hatte – bis auf Länge und Breite, die frei waren – für diese nur kurz existierende Klasse schon ein festes „Baubesteck“ vorgeschrieben. Doch auch hierzu passen die Maße unserer Windspiel nicht. Es wird immer rätselhafter.
In der Klasse II (mit 20 Quadratmetern Segelfläche) gab es in Berlin nach dem Ersten Weltkrieg rund 80 Boote – zum größten Teil hochmoderne und schnelle Boote. Auf dem Verbands-Seglertag 1921 wurde der Berliner Antrag auf Gründung einer 20-Quadratmeter-Rennjollenklasse zunächst noch abgelehnt. Beim nächsten Seglertag dann wieder als Neubauklasse zugelassen.
Des Rätsels Lösung – oder nicht?
Am 3. Dezember 2021 war es soweit: Die „Windspiel“ hatte – durch meine Vermittlung – einen neuen Eigner gefunden, wie der Erbauer ein Tischler mit eigener Firma, Mitglied der Baltischen Segler-Vereinigung e.V. mit Sitz in Hamburg.
Zum Anpacken und Verladen brachte er seine Lebenspartnerin, dazu Angestellte seines Betriebes und Vereinsfreunde mit nach Plön. Eine Stunde später lag die Jolle dann, sicher verschnürt, auf seinem langen PKW-Anhänger.
Schon tags darauf erhielt ich die überraschende Nachricht, dass die Segelfläche von Groß und Vorsegel tatsächlich rund 20 Quadratmeter beträgt. Und außerdem die wesentliche Information: Die Dicke der Außenhaut und der Decksplanken ist mit 14 Millimetern stark genug, um auch den vom Deutschen Segler-Verband 1937 festgelegten Bauvorschriften und Vermessungsbestimmungen zu entsprechen.