Die Norweger sind Seefahrer, und das nicht erst seit gestern. Erik Thorvaldsson, genannt der Rote, verließ vor gut tausend Jahren Norwegen, um neue Gefilde zu entdecken. Er erreichte Grönland. Sein Sohn Leif Eriksson, schon fern der Heimat geboren, erreichte als erster Europäer Amerika, nachdem er um das Jahr 1000 von Grönland nach Norwegen gesegelt war, um dort am Königshof aufgenommen zu werden.
Hätte es Marex damals schon gegeben, sie wären gewiss Hoflieferant gewesen. Nicht umsonst nennt sich die norwegische Werft „König der Meere“. Das sie diesen hochtrabenden Titel zu Recht führt, erleben wir beim Probeschlag mit dem 36 Fuß langen Schiff von Marex. Das neue Langschiff, das Platz für eine ganze Königsfamilie oder ein gutes halbes Dutzend Demokraten bietet, wäre auch bei Erik dem Roten gut angekommen. Nicht nur wegen seiner Seetüchtigkeit – zu der kommen wir später.
Ein anderes Deckskonzept
Ansprechend für Nordlandfahrer (und natürlich auch alle anderen) ist an Bord der Marex 360 CC (das steht übrigens für „Cabriolet Cruiser“) bereits auf den ersten Blick die Einrichtung: Besonders gefallen uns die runden Hecksitzbänke. Hier kann man sich sehr schön in die Ecken schmiegen. Die Hecktür ist stabil und hoch geschlossen, Dahinter befindet sich eine kleine Stufe, damit kein Wasser ins Cockpit kommt. Eine stabile, mit Holz belegte Reling macht den Unterschied zu anderen Herstellern augenfällig: Alles ist solide, schön und seetauglich.
So geht es weiter: Die Norweger haben ihr Flaggschiff gespickt mit raffinierten Detaillösungen, an denen man seine Freude hat. Interessant auf den ersten und auf den zweiten Blick ist die Beschichtung der Oberflächen im großen Deckshaus. Der gesamte Steuerstand ist mit einer mattschwarz gehaltenen Lackierung überzogen. Die Instrumente sind bei unserem Testschiff vielleicht nicht perfekt angebracht, weil man links unten nicht so gut drauf schauen kann. Besser wären sie oberhalb des Lenkrads untergebracht.

Aber: Die Gestaltung des Armaturenbretts ist frei, fast wie bei einem virtuellen Dashboard. Bei einer Serie von derzeit rund 120 pro Jahr gebauten Booten kann die Werft solchen Individualservice anbieten – die Marex-Boote sind quasi handgemacht, wie zu Eriks Zeiten. Auch die Anordnung der Instrumente lässt sich zusammen mit der Werft vor dem Kauf festlegen.
Ein Dach, das verschwindet
Zum Deckskonzept gehört das besondere Dachkonzept. Als echtes Cabrio hat unser Schiff ein zweifach nutzbares Dach. Was bei anderen Kajütkreuzern ähnlicher Größe das Dachfenster ist, übernimmt bei der Marex 360 CC das Cabrioverdeck.
Bei dieser Dachkonstruktion kann die sich öffnende Deckensektion auf ganzer Deckshaus-Breite komplett nach hinten gefahren werden. So wird aus der geschlossenen Motoryacht ein offenes Boot mit Nahkontakt zu Wind und Sonne – für regelrechtes Drachenboot-Feeling.
Das Dach der Marex 360 CC selbst ist ein Softtop. Es ist also nicht aus GFK oder Metall und Glas ausgeführt, sondern aus einem robusten textilen Material gefertigt. Dies führt dazu, dass mächtig Gewicht gegenüber einem konventionellen Hardtopdach gespart wird.
Zu dritt Tomaten schnippeln
Wie viel Innovatives, neu Gedachtes lässt sich an Bord eines Zwölfmeterboots integrieren? Zum Beispiel in der Küche. Selbst hier geht noch einiges – etwas, dass ich bei keinem anderen Bootshersteller gesehen habe.
Direkt hinter dem klassisch an Steuerbord gelegenen Fahrstand sind der riesige Kühlschrank und ein separater Weinkühler unter der großen Arbeitsplatte platziert. Links hat die eigentliche Pantry in L-Form ihren Platz. Kochen links, Getränke bunkern rechts. Na und? Das links per Scharnier direkt am Durchgang angebrachte Brett lässt sich hochklappen.
Die so entstehende Verlängerung der Arbeitsfläche verbindet beide Küchensektionen miteinander. Wie eine Tresenklappe trennt die Platte dann den Salon vom Steuerstand. So kann man zu dritt Tomaten schnippeln und gleichzeitig der Pilotin beim Navigieren zuschauen. Kinder, die vorn was wollen, können unterm Brett durchtauchen.
Da scheppert nix mehr
Das einzige, was an diesem Boot scheppert, ist der Grillrost im Backofen. „Wenn Du den herausnimmst, dann scheppert gar nichts mehr“, sagt Thomas Lahtz. Der Hamburger, der uns das Boot zeigt, ist sozusagen auf dem Wasser geboren. Er kommt aus einer alten Seefahrerfamilie, ist auf einem Wohnschiff groß geworden und seit zehn Jahren Experte für Marex.

Seit 2013 verkauft er die Marke bei Aquamarin in Werder – allein im letzten Jahr waren es 20 Boote. Sein Herz hat er an die norwegischen Boote schon viel früher verloren, als er in der Schweiz den Werftchef Espen Aalrud und dessen Boote kennenlernte. Lahtz lächelt verschmitzt und packt einen Gummistropp um die rasselnde Brötchenauflage. Still ruht der Ofen, nur der Diesel murmelt irgendwo.
Reiseschiff für Familien
Denn statt weiland 20 Ruderer bringen heute 400 Pferde die Marex auf Trab: Wäre jetzt Zeit, mal den Hebel auf den Tisch legen. Ehrlich jetzt? Kein feindlicher Wikingerdrache in Sichtweite, also wozu die Flucht? Die zwölf Meter lange Marex 360 CC ist ja ein Reiseschiff für Familien, kein Rennboot für aktive Wassersportler.
Und bis nach Grönland oder noch weiter – das Boote hat die Lizenz für Küstenfahrt – zieht es uns nicht, jedenfalls vorläufig nicht. Denn heute gleitet der schlanke, in der Seitenansicht sportlich-schnittig wirkende Rumpf mit uns elegant über den winterlichen Zernsee.

Die Marex 360 CC ist zwar nicht mit dem Handbeil aus Eichenholz gehauen, aber doch ein bisschen schwerer als vergleichbare zeitgenössische Modelle, denn bereits die Ausstattung wiegt mehr. Massivholz und andere hochwertige Materialien machen die Marex beim Antritt gewichtiger, vulgo: schwerfälliger. Das zeigt der Tempo-Test, der für alle Motorboote von der leichten Open bis zum schweren Flybridge-Riesen gleich ist.
Aussicht in alle Richtungen
Vom Start bei Null bis zur Gleitfahrt vergehen zwölf Sekunden. Beim Beschleunigen senkt das Boot die Nase bei einer Drehzahl von 3.500 Touren pro Minute. Dann, nach 13 Sekunden, liegt das Cabrio bretteben auf dem Wasser. Doch auch bei niedrigerer Marschgeschwindigkeit bietet der Platz des Piloten genug Aussicht in alle Richtungen. Norwegen achtern, Grönland voraus, Käpt’n Erik hat von hier aus alles im Blick.

Bis zum Maximum sind es 26 Sekunden aus dem Stillstand. Dann ist die Marex 360 CC mit 29 Knoten bei 3.500 U/min unterwegs. Die beste Reisegeschwindigkeit, um gut vom Fleck zu kommen, liegt bei 2.800 U/min und 22 Knoten. Nur 200 Umdrehungen mehr, und wir fahren bereits zwei Knoten schneller.
Binnen genügt ein Motor
Alle Manöver, auch bei Fahrt achteraus, absolviert das Boot direkt, präzise und ohne erkennbaren Kraftaufwand. Die Maschine, ein Volvo Penta des Typs D6, ist ausreichend stark für das Binnenrevier, in dem wir unterwegs sind.

Alle Marex-Modelle lassen sich unterschiedlich konfigurieren. Man kann sehr gut zwischen Z-Antrieb und Wellenantrieb wählen, nimmt nur einen Motor oder zwei – je nachdem, in welchem Gebiet das Boot läuft.
Viele Besitzer haben ihr Boot fest im Revier stationiert, andere legen es an die Ostsee. Manche Eigner machen in der brandenburgischen Region Urlaub und fahren dann mit dem Boot hoch bis Norwegen oder Schweden – auf den uralten Routen.
Zehn Liter pro Stunde
Im Binnenbereich reicht die Einzelmotorisierung klassisch mit Welle sowie Bug- und Heckstrahlruder. Für die See sollte es besser die Doppelmotorisierung sein. Lediglich Außenborder fehlen im Angebot.
Der Trimm auf minus 4 sorgt bei steiler Kurvenfahrt dafür, dass der Propeller nicht kavitiert. Aber wer will das schon? Wesentlicher ist uns, dass der Verbrauch des großen Schiffs bei acht Knoten entspannter Langsamfahrt bei zehn Litern pro Stunde liegt.

Die Geräuschentwicklung an Bord ist mit 78 dB bei Marschfahrt und 86 dB bei maximaler Geschwindigkeit sehr gut. Bei einem halboffenen Boot sind Aussagen zur Geräuschentwicklung ohnehin mit Vorsicht zu genießen, da Wind und Welle ihren Anteil haben.
Den Raum verdoppeln
Hatte ich schon erwähnt, dass mir Mittschiffskajüten grundsätzlich ein Graus sind? Normalerweise schon: Ich kann die – fast immer zu niedrigen – Kammern direkt unterhalb des Salons einfach nicht leiden.
Bei unserem Testboot ist alles anders: Tritt man aufrechten Hauptes durch die Tür und steht im kleinen Vorraum der Mittel-Kajüte, glaubt man, einen Ballsaal zu betreten. Man muss dafür nicht einmal den gehörnten Helm abnehmen…
Der Raum unter Deck wirkt doppelt so groß wie er wirklich ist, und dafür sorgt ein einfacher, sehr effektiver Trick. Die Ursache für die Weitläufigkeit ist der große Spiegel, der an der hinteren, achterlichen Wand fast über die gesamte Breite des Schotts läuft.
Simples Raumkonzept
Abgesehen davon, dass sich durch diesen optischen Effekt eine beeindruckende Großzügigkeit ergibt, ist das Raumkonzept selbst bestrickend simpel: Es gibt einfach nur eine große Matratze in der Mitte, die für eine riesige Liegewiese von – gefühlt – 200 x 200 cm Länge sorgt.
An Steuerbord und Backbord sind jeweils in den Rumpf eingelassene Fenster, die auf der richtigen Höhe Licht ins Boot hineinlassen. Da stört es kaum, dass die mit Alcantara belegte Zimmerdecke kaum mehr als 60 Zentimeter von der Matratzenoberseite entfernt ist. Alles ist hell, nichts bedrängt.
Will der frisch erwachte Bordgast sich vom ziemlich bequemen Doppelbett wieder erheben, ist rechts ein großer Handgriff, mit dem man sich flink wieder in eine vernünftige Position bewegen kann. Ab aufs Deck.

Der Konstrukteur als kritischer Geist
Man sieht unserem industriell gefertigten GFK-Boot eine maritime Tradition ein, ohne in eine dunkle schiffige Höhle oder eine klinisch reine New-Wave-Lounge zu geraten. Werftchef Espen Aalrud sagt, er wolle gar nicht so viele Boote herstellen, um so die Qualitätsstandards aufrechtzuerhalten.
Die Designer und die Konstrukteure fahren und testen die Boote selbst. Sie fahren mit der Familie in den Urlaub und haben danach Verbesserungsvorschläge. Bei der Marex 360 CC war unter anderem die längere Badeplattform mit der Aufnahme fürs Dinghi. Aber auch die Küche mit der erweiterten Arbeitsfläche, ein besonders bequemer Fahrersitz – und das Dashboard, das mit anti-reflektierendem Lack gestrichen ist.


Der Weg zur Marex
Marex macht deutlich, wie auch die Boote über die Jahre gewachsen sind: Die Marex 370 Aft Cabin Cruiser von 2013, die ich einige Jahre zuvor gefahren bin, ist als seinerzeit größtes Schiff der Werft etwas kürzer als die Marex 360 CC. Sie liegt, als wir in der Marina Havelauen wieder anlegen, neben uns am Steg.
Eine Marex ist sehr wertstabil. Händler nehmen sie in aller Regel gerne wieder zurück und verkauft sie innerhalb kürzester Zeit weiter. Wenige Wochen nach dem Test wird die Marex 360 CC, nach geheimer Abstimmung, gekrönt. Sie wird Siegerin des Best of Boats Awards 2019 in der Kategorie Familienboote. Ein königliches Boot.

Technische Daten Marex 360 Cabriolet Cruiser
Länge über alles: 11,49 m
Breite: 3,49 m
Tiefgang: 0,97 m
Motorisierung: Volvo Penta D6-400 mit 400 PS
Gewicht: 6,5 t
Maximale Passagierzahl: 12 Personen
CE-Kategorie: C (küstennahe Gewässer)
Preis: ab 345.222 Euro
Testboot wie gefahren: 410.750 Euro