Sie sind überall. Verlassene Boote, in die Jahre gekommen, verwaist, verwahrlost. Mal vertäut in Häfen, mal vor Anker liegend oder bereits an Land gespült, im schlimmsten Fall absichtlich versenkt. Ob in der Ostsee, besonders aber dem Mittelmeer oder auch in der Karibik. Schrottboote, im internationalen Fachterminus ELBs (end of life boats) genannt, fordern die Politik, die maritime Wirtschaft und Hafenbetreiber heraus. Denn es sind abertausende. Und jährlich werden es mehr.

Erste Marinas reagieren jetzt auf die Flut an Bootsleichen an ihren Stegen mit einer rigorosen Methode. Sie verwehren Yachten ab einem bestimmten Alter einen Liegeplatz. Einer der Betroffenen ist Peter Kamenz. Der Berliner ist Eigner der Wild Thyme, einer Ketch, gebaut 1976 in Sunderland, aufgelegt in Beton und mit Holz an und unter Deck ausgebaut.
Ein Klassiker, in den Kamenz seit Jahren viel Liebe und Pflege steckt. Das Mittelmeer ist sein Revier, hier fühlt sich der 68-Jährige wohl. Doch nach und nach bemerkt er eine schleichende Ausgrenzung. Mehrmals wurde er in dieser Saison von Häfen abgewiesen. Und das nur aufgrund des Alters seiner Yacht, wie eine Mail eines Hafenbetreibers belegt. Danach stehen bereits Boote älter als Baujahr 1990 auf der Unerwünschtliste.
Das Problem mit den Schrottbooten
Bereits in einer Ende 2016 veröffentlichten Studie für die Europäische Kommission heißt es, dass die Zahl der Boote, die das Ende ihres Lebenszyklus erreichen, in Europa auf 80.000 pro Jahr geschätzt wird. Dies entspräche etwa ein bis zwei Prozent der gesamten Flotte von Freizeitbooten in Europa. Die Autoren der Studie von ICF und Deloitte berufen sich dabei auf Daten des Branchenverbands European Boating Industry (EBI) und kommen zu einem dramatischen Schluss.
Bei einem durchschnittlichen Gewicht von 1,5 Tonnen pro Boot entspräche der Bootsschrott etwa 120.000 Tonnen Abfall pro Jahr. Ein gewaltiger Müllhaufen aus GFK, Stahl, Holz und auch Beton. Karsten Stahlhut vom Bundesverband der Wassersportwirtschaft (BVWW) sagte dazu vergangenes Jahr im float-Interview: „Da schwimmt eine Menge Müll auf uns zu.“

Die Autoren der EU-Studie schlugen bereits 2016 Alarm: „In der gesamten EU gibt es keine gesetzlichen Entsorgungsvorschriften, die speziell auf solche Altboote (ELBs) ausgerichtet sind. Die derzeitigen Verfahren zur Entsorgung von Altbooten sind unzureichend; das Recycling von Sportbooten ist unüblich und eine verpasste Gelegenheit, die Kreislaufwirtschaft zu verbessern.
Eine große Anzahl von Altbooten wird aufgegeben, illegal deponiert oder versenkt. Diese Praktiken führen zu Umweltauswirkungen mit Risiken für die menschliche Gesundheit und für die Schifffahrt. Den Hafen- und Stadtverwaltungen entstehen zusätzliche Kosten durch die Beseitigung der aufgegebenen Boote.“
Die Wirtschaft reagiert
Immerhin, in diesem Sommer, sieben Jahre nach der Studie für die Europäische Kommission, kommt langsam Bewegung in die Sache. Der EBI verspricht zu handeln. Auch wenn das Bekenntnis so schwammig klingt wie der Bewuchs am Rumpf eines Schrottbootes. Von einem Fahrplan ist die Rede, um Lösungen für die fachgerechte Bootsentsorgung zu entwickeln. In drei Jahren wollen zahlreiche Partner aus der Wassersportwirtschaft, von nationalen Behörden, Hochschulen und verwandten Branchen den Prozess für einheitliche Entsorgungsverfahren ausarbeiten. Und anschließend realisieren.

Für einige Hafenbetreiber scheint dieser Aktionsplan viel zu spät zu kommen. Sie handeln auf eigene Faust. Denn die Altlasten sind ihnen ein Dorn im Auge. Und sorgen für Extrakosten. Zwar sind manche Schrottboote noch bewohnt. In ärmlichen Verhältnissen vegetieren Skipper mit geplatzten Träumen und leckgeschlagenen Bordkassen auf verwahrlosten Booten.
Die meisten Schrottboote sind aber verlassen, die Eigner jahrelang nicht gesehen. Manche mögen verstorben sein, andere haben das Interesse an dem Boot verloren. Die Boote rotten an den Stegen vor sich hin. Ein Trauerspiel und Ärgernis für eine Marina. Im besten Fall werden immerhin noch die Rechnungen bezahlt, aber längst nicht immer.
Bann älterer Boote
Deshalb haben erste Marinas damit begonnen, ältere Schiffe von ihren Stegen zu verbannen, egal in welchem Zustand sie sind. In Anbetracht der Schwemme an Bootsleichen ist es ihnen zwar nicht zu verdenken. Mit einem Bann älterer Boote nehmen die Marinas jedoch alle Eigner von betagten Modellen in Sippenhaft – egal, wie gepflegt das Boot ist. Und das sorgt für noch größere Probleme. Wie bei Peter Kamenz.
Alles beginnt diese Saison vor Korsika. Kamenz segelt mit der Wild Thyme an der Ostküste vor Porto Vecchio, als er bemerkt, dass er ein Problem mit der Maschine hat. Er vermutet einen Getriebeschaden, den er reparieren lassen will. Noch sind die Bedingungen gut, Kamenz könnte bis kurz vor die Marina in Porto Vecchio segeln. Aber in wenigen Stunden soll ein heftiger Mistral einsetzen. Er funkt die Marina an, erklärt die Lage und bittet um Hilfe beim Anlegen. Doch die Capitanerie lässt ihn abblitzen. Sie hätten keinen Platz für ihn, so die knappe Absage. Kamenz erklärt noch einmal seine Lage. Wenn er in Not sei, so die Antwort, solle er die Seenotrettung rufen. Kamenz kann es nicht fassen. „Das ist doch keine Seemannschaft“, sagt er frustriert.
Hafenverbot für Oldies
Kamenz hat Glück. Eine Segelyacht nimmt ihn ins Schlepptau und bringt ihn in eine sichere Ankerbucht. Für die Reparatur der Maschine will Kamenz später Elba ansteuern. Doch dort das Gleiche. Auch diese Marina weist ihn ab. Nur durch Freunde auf der Insel lässt sich das Hafenbüro schließlich überzeugen, dass die Wild Thyme doch einlaufen darf. Kamenz wundert sich. Es gibt viele leere Plätze im Hafen. Als die Maschine repariert ist, setzt er seine Reise fort.

In Port Napoléon, einer riesigen Marina mit Trockendock an der französischen Festlandküste, will er die Wild Thyme zum Überwintern aus dem Wasser holen. Doch auch diese Marina hat angeblich keinen Platz für seine 12,95 x 3,20 Meter große Ketch. Kamenz kann es nicht fassen. Und hakt nach. Diesmal ist die Antwort präziser – und niederschmetternd. Die Marina schreibt: „Leider müssen wir Ihre Anfrage aus folgenden Gründen ablehnen: Gebaut vor 1990. Der schlechte Zustand des Bootes. Leben an Bord ist untersagt. Wir wünschen Ihnen viel Glück bei der Suche nach einem Liegeplatz.“
Häfen erstellen Risikoanalyse
Kamenz empfindet die Absage als abwertend und lächerlich. Weder ist sein Boot in schlechtem Zustand, noch will er den Winter über auf der Wild Thyme wohnen. Und das schreibt er auch so an das Marina-Office. Und tatsächlich erhält er noch eine Antwort, die tiefer ins Detail geht. Wegen der „großen Anzahl an verlassenen Booten ohne Wert“ würden keine älteren Boote mehr aufgenommen, heißt es in der Mail, die float vorliegt. Das sei das „Ergebnis unserer Risikoanalyse, basierend auf unseren zwölf Yachthäfen in Europa“. Zum Hintergrund: Port Napoléon gehört zur Gruppe Port Adhoc, dem zweitgrößten privaten Yachthafennetz in Europa mit Marinas in Frankreich und den Niederlanden.

Die Risikoanalyse habe folgende Problemfälle identifiziert, heißt es weiter: alte Boote, Boote in schlechtem Zustand, Boote aus Holz, Ferrozement oder Stahl und Boote, die als Hauptwohnsitz genutzt werden. Da die Wild Thyme in zwei dieser Kategorien fällt, muss sich Kamenz mit der Absage abfinden. Doch der letzte Satz der Mail gibt ihm zu denken: „Leider wird dies in den Häfen an der Mittelmeerküste immer häufiger der Fall sein. Und ich fürchte, dass die letzten 30 Jahre die beste Zeit zum Segeln waren. Vielen Dank für Ihr Verständnis.“
Klingt flapsig, aber im float-Interview erklärt der Betreiber des Port Napoléon ausführlich die problematische Situation der Marinas, denn – nachzulesen auf float – Ein Liegeplatz ist kein Schrottplatz.
Versenken oder verschenken
Mittlerweile hat Kamenz einen Winterplatz für seine Ketch gefunden. In der Nähe von Marseille. Es gibt sie also noch, die Häfen mit Herz für Klassiker. Trotzdem schwant ihm Übles. Sollte sich der Trend fortsetzen, wird es für ihn in den kommenden Jahren immer schwieriger werden, einen Liegeplatz zu finden. Und natürlich ist er mit diesem Problem nicht allein. „Ich würde mir wünschen, dass diese Thematik mehr Beachtung findet“, sagt Kamenz, „und dass Lösungen gefunden werden. Es kann doch nicht sein, dass ältere Schiffe, egal wie gut gepflegt sie sind, keinen Liegeplatz mehr bekommen.“
Kamenz befürchtet, dass die neue Politik einiger Marinas, ältere Boote abzuweisen, zu noch mehr Schrottbooten führen wird. „Wenn man keinen Liegeplatz mehr bekommt, gibt es doch nur noch eine Möglichkeit: versenken oder verschenken!“, sagt er. Denn logischerweise würde auch der Wert von älteren Yachten sinken, stellt sich das Finden eines Liegeplatzes als Problem dar.
Gleichzeitig zeigt Kamenz aber auch Verständnis für die Marinas und die Herausforderung durch Schrottboote und gibt sich lösungsorientiert. Gerne sei er bereit, eine Kaution zu hinterlegen. Auch würde er eine Art Sicherheitsgarantie abschließen, die für etwaige Kosten aufkomme, ähnlich einer Versicherung. Doch so etwas gibt es bislang nicht. Ebenso wenig wie einen konkreten Plan, wie Bootsleichen entsorgt werden können. Es bleibt also spannend.