Was wäre eigentlich, wenn wir zum Transport von Gütern über die Meere wieder Segel setzen würden? Eine Frage, die sich bereits einige Reeder, Werften, Schiffsmakler und Händler im Laufe der letzten Jahrzehnte gestellt haben. Entsprechend vielfältig fallen die Antworten aus – Segel auf Frachtschiffen, Wing-Segel auf Containerriesen, Kite-Segel die Tanker ziehen und sogar hochbordige Ozeanriesen, deren Rumpf als eine Art Segel für Vortrieb sorgen soll. Für all’ diese Beispiele gilt: Sie sind High-Tech-orientiert, stecken noch tief in den Entwicklungsphasen, sind aufwändig zu realisieren und entsprechend kostenintensiv.
Unter diesen Vor- und Nachdenkern für einen Fracht- und Lastentransport unter Segeln gibt es eine kleine Gemeinde, die das Thema völlig anders angeht. Dort sagt man sich, dass eine Methode, die über Jahrtausende bestens funktionierte, auch in den heutigen modernen Zeiten durchaus ihre Daseinsberechtigung hat. Nicht zuletzt, weil sie umweltspezifisch sauberer agiert und einen erheblich höheren Sympathiefaktor aufweist. Kurz: Immer mehr ehemalige Fracht- und Lastensegler werden nach liebevoller Restaurierung erneut für den Transport von Waren über die Meere eingesetzt. Tendenz steigend!
float stellt drei Unternehmen im Aufwind vor, die Fracht unter Segeln transportieren. Und dabei der Umwelt einiges an Belastung ersparen wollen.
TOWT – die Schiffsmakler

Transoceanic Wind Transport (TOWT) ist eine bretonische Agentur, die bereits seit 2011 auf den Transport von Waren fast aller Art unter Segeln spezialisiert ist. Die jungen Macher von TOWT verstehen sich als klassische Schiffsmakler, die Schiffe befrachten, Waren im eigenen Lagerhaus zwischenlagern und Transportgeschäfte vermitteln. Als Transportmittel nutzen sie ausschließlich Lastensegler, die den Großteil der zurückzulegenden Strecken unter Segeln absolvieren. Dabei spielt Umweltschutz in seiner ganzen Vielfalt eine zentrale Rolle für TOWT: Man will auf diesem Weg gezielt den Emissionsausstoß für den Transport von Gütern auf dem Wasser und auf dem Land verringern. Und den so transportierten Waren einen “ideellen und prestigeträchtigen Mehrwert verschaffen“.

Immerhin sechs Routen bedient TOWT bereits. Auf dem Atlantik verkehren zwischen den Antillen, der dominikanischen Republik, den Azoren und Frankreich der in 1914 in Norwegen gebaute und in Mexiko restaurierte 20-Meter Schoner „Lun II“, sowie die 1906 in Schottland auf Kiel gelegte „Lenan Head“. Auf der Trans-Ärmelkanal-Route zwischen Großbritannien und Frankreich operiert hauptsächlich die „Grayhound“, ein 23 Meter langer, originalgetreuer Nachbau eines Dreimast-Luggers. Für Transporte zwischen Skandinavien und dem südlichen Europa ist die „Avontuur“ zuständig.
Entlang der französischen Atlantik-Küste wurde von TOWT ein regionaler Liniendienst eingerichtet, der je nach Frachtauftrag unterschiedliche Häfen bedient. Hierfür kommt die „Corentin“ zum Einsatz, Nachbau eines Luggers aus dem Jahre 1840. Weitere Lastensegler stehen TOWT im Rahmen anderer Verpflichtungen zur Verfügung, z. B. die 47 Meter lange „Götheborg“.
Klassische Schiffe, klassische Waren
Man muss kein Nostalgiker sein um zu verstehen, dass auf klassischen Schiffen, die klassische Routen mit klassischer Windenergie befahren, bevorzugt auch klassische Waren transportiert werden. So werden etwa Rum, Schokolade und Kaffee sowie Whiskey, Ale-Bier und erlesene Weine geladen. Produkte, die sich später mit dem begehrten Label „unter Segeln auf See transportiert“ wertsteigernd schmücken dürfen.

Stellt sich die Frage nach den Mehrkosten für den Endverbraucher. Denn in einer Branche, die auf riesigen Containerschiffen weltweit etwa 90 Prozent aller Waren transportiert, sind kleine Ladungen, die langsam, wetterabhängig und somit unpünktlich unter Segeln unterwegs sind, mit entsprechendem Aufpreis behaftet. Der mag bei TOWT proportional vielleicht hoch erscheinen, ist im Endverbraucherpreis jedoch zu verschmerzen. So erhöht sich der Verkaufspreis einer auf 6,10 Euro angesetzten Flasche Wein (Transport per LKW), die gemeinsam mit Hunderten anderen Flaschen von Portugal in die Bretagne gesegelt wurde, um 20 bis 30 Cents.

Ein Pfund Kaffee kann nach einer Atlantiküberquerung durchaus 50 bis 70 Cents mehr kosten. Bei eine Flasche „Alter Rum“ aus der Karibik machen 1,50 bis 2 Euro mehr nur wenig aus. Marginale Beträge, wenn es um Luxuswaren wie rare Schokolade oder den ganz besonderen Portwein geht. Dafür gibt es den coolen TOWT-Aufkleber auf dem Produkt sowie die Gewissheit, der Welt zumindest ein wenig Emission erspart zu haben: Im Jahre 2016 ließ TOWT 250 Tonnen Produkte unter Segeln transportieren, wobei nach Aussagen des Maklers 150 Tonnen Kohlendioxid eingespart wurden, was ungefähr einem Ausstoß von 75 Autos in Frankreich per anno entspricht.

TOWT kann auf permanent steigende Umsätze verweisen – und dennoch war 2017 ihr schwärzestes Jahr: Im Dezember 2017 brannte das TOWT-Lagerhaus vollständig ab. In dem Inferno wurden alle zwischengelagerten Waren vernichtet. Nach einer einzigartigen Medien-Aktion in Frankreich nahmen die offenbar schlecht versicherten Schiffsmakler dank zahlreicher Spenden und Investitionen vor wenigen Tagen wieder ihre Geschäfte auf.
Très Hombres – die Reeder

Drei Männer und ein Boot: Die seit jeher Klassiker-begeisterten Niederländer Andreas, Jorne und Arjen lernten sich auf der holländischen Barke „Europa“ kennen. Und gründeten 2007 spontan die „Stichtig Atlantis Zeilende Handelsvaart“, eine Reederei, die später in den griffigeren Namen Fairtransport umbenannt wurde.

Mit der Restaurierung und dem spektakulären Atlantikrouten-Einsatz der Brigantine „Très Hombres“, dem derzeit einzigen Lastensegler weltweit ohne Motor (!) wurden sie zu einer Art Klassenprimus in der Lastensegler-Szene. Internationale Medienaufmerksamkeit war der Brigantine und den drei Jungs mit ihrem Lastensegler-Projekt gesichert. Und die Transportanfragen brachte das Unternehmen „Fairtransport“ bald an seine Kapazitätsgrenzen.

Also begannen die Drei mit einem teils professionellen, teils ehrenamtlichen Team von Bootsbauern und -bastlern, die Ketch „Nordlys“ aus dem Jahre 1873 umzubauen. Sie befährt mittlerweile als wohl ältester noch aktiver Lastensegler hauptsächlich den nördlichen Atlantik.
Doch damit nicht genug: Fairtransport sieht so viel Potential als Reeder und Schiffsmakler, dass man schon in Kürze mit dem Bau eines neuen Dreimast-Clippers beginnen will. Die Sailvolution soll den gesamten Markt revolutionieren.
Timbercoast – Cargo under sail

Mehr als 160 Freiwillige aus der ganzen Welt kamen 2014 nach Elsfleth in Norddeutschland, um beim Rückbau der „Avontuur“ zu helfen. Seit 2016 segelt der Zweimast-Gaffelschoner, gebaut 1920 bei Otto Smit in den Niederlanden, nun wieder als Frachtsegler. Zuvor war sie für einige Jahrzehnte als Passagier-Ausflugs-Schiff vor der niederländischen Küste eingesetzt worden. Nach dem Rückbau bildet das 43,50 Meter lange Schiff den Mittelpunkt der „Timbercoast-Gemeinschaft“. Mit ihrer Ladekapazität von 114 Tonnen verbindet sie im doppeldeutigen Wortsinne Welten: Unterwegs auf diversen Atlantikrouten transportiert die „Avontuur“ (flämisch für Abenteuer) nachhaltig hergestellte Produkte, die auch nachhaltig transportiert werden sollen.

Hinter Projekten wie Timbercoast steht meistens auch ein Mensch mit einer Vision. Hier ist das Kapitän zur See Cornelius Bockermann, der sich durch seine Arbeit in der Schiffsindustrie selbst ein Bild davon machen konnte, wie Mensch und Umwelt durch die Transportschifffahrt beeinflusst werden. Heute hat er das Kommando über seine ganz persönliche Antwort – die Avontuur.

Heute startet die Avontuur in Kuba um im Mai in Hamburg anzukommen. Auf dieser Reise segelt sie Waren für fortschrittliche und mutige Unternehmen wie Yogi Tee (Kardamaom), El rojito, Cafe Chavalo und Teikei (Kaffee), Zotter Schokolade (Kakao), TOWT, New Dawn Traders und eigene Timbercoast-Produkte (Rum, Kaffee, Korn, Honig, Gin und Salz). Wenn demnächst Hans Georg Näder, der CEO von Otto Bock als Jungunternehmner mit 25 % bei Timbercoast einsteigt, kann es vielleicht auch schon bald mit dem Bau weiterer Schiffe losgehen.