Kurz vor sieben Uhr morgens nimmt die Reise ein jähes Ende: Knirschend läuft die Motoryacht „Granma“ auf Grund. Der Tiefpunkt eines Törns, der von Anfang an chaotisch verlief. Doch ihr Ziel hat die Crew tatsächlich erreicht: Sie landet auf Kuba. Leider nicht trockenen Fußes, denn kurz nach dem Landfall sinkt auch noch ihr Dinghi. Vorsichtig, die Waffen hoch über den Köpfen, müssen die Männer also von ihrer havarierten Yacht steigen und vorsichtig in die Mangrovenwälder der Südküste waten.
Mit diesem wenig triumphalen Einmarsch beginnt am 2. Dezember 1956 die kubanische Revolution unter Führung des jungen Rechtsanwalts Fidel Castro. Knapp zwei Jahre später wird er mit seinen Getreuen den verhassten Diktator Fulgencio Batista und sein korruptes und mörderisches Regime aus dem Land gejagt haben. Wiederum etwas später wird auch Castro zum Diktator – doch das ist eine andere Geschichte.
Unsere beginnt bereits ein Jahr zuvor in Mexiko-Stadt: Antonio del Conde besitzt ein Waffengeschäft und verdient sich etwas mit Schmuggel dazu. Er sympathisiert mit den kubanischen Exilanten, von denen viele in der mexikanischen Hauptstadt leben. Unter ihnen auch Castro, der drei Jahre zuvor erfolglos einen Putschversuch gegen den Diktator Batista unternommen hat. Sein Sturm auf die Moncada-Kaserne in Santiago schlägt zwar fehl, aber der inhaftierte Castro ist dadurch zum Nationalhelden geworden.
Wie kommt man nach Kuba?
1955 nach einer Generalamnestie freigekommen, schmiedet der bärtige Revolutionär nun in Mittelamerika neue Angriffspläne. Die Bekanntschaft mit Del Conde bringt vor allem Waffen. Fraglich nur, wie man die Schießeisen und seine Guerilla, die damit an der Küste bereits fleißig trainiert, nach Kuba bringt. Del Conde hat auch hier eine Lösung parat: eine Motoryacht.

Lebenslang hat der Mexikaner heftig bestritten, nur als Strohmann für den Bootskauf gedient zu haben. Seine Version: Das Boot ist einfach seins. Begegnet sei es ihm zufällig – als Wrack. Die rund 18,30 Meter lange Holzyacht liegt verdreckt und vergessen am Ufer des Tuxpan. Ein kleiner Fluss, der in den Golf mündet. „Obwohl allein gelassen, sah sie immer noch schön aus“, schreibt Del Conde in seinen Lebenserinnerungen wie von einer einstigen großen Liebe. Vielleicht trifft das auf die „Granma“ zu.
Millionär wird an Bord überfallen
Und zum Glück ist diese Liebe sogar käuflich. Denn Del Conde macht die Eigentümer ausfindig und platziert ein Gebot. Das Boot ist tatsächlich ein Millionärs-Domizil, allerdings bereits in Ungnade gefallen: Der US-Unternehmer Robert Erickson hat nach dem Krieg ein Vermögen damit verdient, Blei als Additiv für Benzin herzustellen – heute ist seine Fabrik auf der US-Umweltliste für hohe Bodenbelastung. Der Geschäftsmann kauft die Yacht 1950 und unternimmt damit viele Reisen, auch zweimal nach Kuba.
Ein Törn nach Tuxpan endet nicht gut: Die ankernde Yacht wird nachts von Bewaffneten ausgeraubt, Erickson und seine Frau – die er im Scherz gern „Grandma“, also Oma nennt – kommen mit dem Leben davon. Möglich, dass der Spaß an Kreuzfahrten ihnen danach vergangen ist, jedenfalls lassen sie die einstige Liebesinsel an der Flussmündung liegen. 1954 strandet sie im Hurrikan. Die Ericksons interessieren sich offenbar nicht mehr für ihre Yacht. So kann sie der Waffenhändler Del Conde für 20.000 Dollar kaufen und renovieren.

Die „Granma“ ist ein Halbgleiter und mit zwei Sechszylinder-Dieselmotoren bestückt. Die leisten bis zu 500 PS und bringen das 20 Tonnen schwere Holzboot auf mutmaßlich beträchtliches Tempo. Wie schnell, ist nicht überliefert. Damit hat es schon eine recht bewegte Reise durch die Geschichte absolviert: Gebaut ist die „Granma“ in New York. Die renommierte Werft Wheeler, deren Nachfolgeunternehmen noch heute existiert, liefert sie 1943 als „C-1994“ an die US-Marine.
Ein Ziel für US-Bombenflugzeuge
Die Ähnlichkeit mit einem Schnellboot ist kein Zufall: C-1994 dient als Bombenzielschiff. Bomberpiloten trainieren damit für den Fronteinsatz. Die Besatzungen solcher Boote müssen versuchen, den Bombenattrappen ihrer angreifenden Kameraden möglichst flott auszuweichen. Zehn Schiffe dieses Typs baut Wheeler. Nach dem Krieg wird abgerüstet, eine unbekannte Werft macht aus dem grauen Wolf eine kleine Luxusyacht.

Per Yacht durch die Karibik – das klingt nach einer Lustreise mit Fünf-Sterne-Service. Anders an Bord der „Granma“. Es gibt auf dieser seltsamen Kreuzfahrt keinen Butler, der sich um das Wohlergehen der Gäste kümmern könnte. Es gibt nicht einmal Platz zum Kochen. Essen ist auch nicht genügend vorhanden, denn aufgrund überstürzter Abreise bleibt viel Gepäck in Mexiko zurück. Stattdessen ist das ganze Boot mit Menschen, Waffen und Munition vollgestopft. Veteranen gaben später zu Protokoll, sie hielten die „Granma“ für einen Tender, der sie vor die Küste, zu einem Schiff bringt. Nichts da.
Wie Sardinen liegt die Crew umher
Nach Erinnerungen von Mannschaftsmitgliedern besetzen Castro und ein halbes Dutzend Vertraute das Cockpit. Darunter sein Bruder Raul, Ernesto „Che“ Guevara und andere, die später Rang und Namen haben werden. Der Rest der Crew lagert wie Sardinen in den restlichen Räumen.

Dann kommt auch noch schlechtes Wetter hinzu: Ein Sturm von Norden ist angekündigt, mexikanische Häfen sind bereits geschlossen. Nur dank Bestechung kann die „Granma“ Tuxpan verlassen. Kaum aus der Flussmündung, erwartet die jungen Männer die Hölle: 6 bis 7 Windstärken, Böen bis 30 Knoten bringen die See zum Kochen und die „Granma“ zum Tanzen. Unter Deck ist bald jeder seekrank.

„Nach zwei Tagen hatte ich das Gefühl, mein Innerstes würde sich nach außen kehren“, erinnert sich der Veteran Esteban Perez 2019 in einem Interview. Bis auf eine Handvoll Männer, darunter der Kapitän, kotzen alle. Da es auf dem Schiff so eng ist, kommen viele nicht mehr rechtzeitig an Deck oder zur Toilette. Die Zustände müssen unerträglich sein.
Bald dringt Wasser ins Schiff ein
Weil sich der Steuerbord-Diesel wieder meldet, muss die Fahrt herabgesetzt werden von neun auf sechs Knoten. Damit fällt die „Granma“ hinter den Zeitplan zurück. Sie wird außerdem noch mehr zum Spiel der Wellen. Und sie nimmt Wasser. Das Boot liegt aufgrund der über drei Tonnen Zuladung rund 30 Zentimeter tiefer als normal, daher dringt die See durch Spalten im Holzrumpf. Die Pumpen fallen aus.
Schließlich fällt auch noch mitten in der Nach ein Mann über Bord. Es ist Roberto Roque Núñez, der den Ausguck macht und vielleicht einen Moment keine Hand fürs Schiff hat. Eine Welle wirft die Yacht zur Seite, er verliert den Halt. Trotz der aussichtslosen Situation befiehlt Castro, ihn zu suchen. Angeblich dauert es eine Stunde, bis die „Granma“ den im Wasser Treibenden findet und an Bord holt.

Das Himmelfahrtskommando ist offenbar vom Himmel gesegnet: Nach zwei Tagen lässt der Wind nach, die Pumpen bringt Jesus Reyes wieder in Gang. Im Hauptberuf ist er Castros Leibwächter, doch auf der „Granma“ entpuppt er sich als begabter Mechaniker. Der Kapitän Norberto Abreu steuert die Guerilla-Yacht sicher zum Ziel. Dass ihn dabei kubanische Streitkräfte übersehen, grenzt an ein Wunder.
Kaum an Land, wird geschossen
Denn die sind früh zur Stelle. Als die „Granma“ mit zwei Tagen Verspätung schließlich am Südwestzipfel Kubas eintrifft, graut der Morgen. Dann erweist sich die Seekarte als falsch, Castros Crew irrt umher, findet den geplanten Landeplatz nicht. Schließlich gerät die Yacht auf Grund. Ende des Törns!
Batistas Häscher wissen dank erfolgreicher Spionage längst Bescheid. Kaum sind die nassen, erschöpften Handlungsreisenden an Land, bricht erneut die Hölle los. Ihre Mission ist verraten worden, Flugzeuge werfen Bomben und Regierungssoldaten schießen auf sie.

Nur einem Fünftel der Crew gelingt die Flucht in die Berge, der Rest wird erschossen oder gerät in Gefangenschaft. Die „Granma“ bleibt erneut gestrandet zurück. Doch was nach einem weiteren Fehlschlag aussieht, entpuppt sich als Anfang vom Ende der Batista-Herrschaft. Immer mehr Bauern laufen zu den Aufständischen über, auch die Stadtbevölkerung sympathisiert mit „Fidel, der in den Bergen lebt“, wie ein zeitgenössisches Volkslied ihn besingt. Batistas Schicksal ist besiegelt, als Ende 1958 die USA ein Waffenembargo über Kuba verhängen.

Im Januar flüchtet der Despot mit seinen engsten Vertrauten von der Insel, im Fluggepäck angeblich 300 Millionen Dollar. Und bis zu 20.000 Ermordete auf seinem Gewissen. Die Revolutionäre werden in Havanna begeistert begrüßt. Und nachdem ihre Regierung stabilisiert ist, ernennt Castro seinen Kapitän Abreu zum Paten für „Granma“. Sie wird restauriert und erhält schließlich einen Ehrenplatz an Land. In einem klimatisierten Glaspalast inmitten der Hauptstadt ist die einstige Millionärsyacht bis heute ausgestellt wie eine Monstranz.
Die Granma wird zum Heiligtum
Doch damit nicht genug: Die Region, in der Castros Truppe damals an Land stolperte, zuvor ein Teil der Provinz Oriente, wird eigenständige Provinz und heißt jetzt „Granma“. Auch die Parteizeitung der sozialistischen Einheitspartei Kubas trägt den Namen der Yacht. Eine Replik des Boots wird zu Jahrestagen feierlich durch die Straßen der Stadt gefahren. Und Modelle in verschiedenen Formaten überreichen Funktionäre der Nomenklatur gern bei Staatsbesuchen. Kein Zweifel, Castro und seine Getreuen wissen Legenden zu stricken.
Und in der Tat ist die Geschichte so gut, dass man sie besser nicht hätte erfinden können. Die Chancen standen 100:1, dass die 82 „Expedicionarios“, wie die offizielle kubanische Geschichtsschreibung die jungen Kämpfer nennt, nicht durchkommen. Sie kamen durch. Eine moderne Odyssee.

Und ein Wimpernschlag der Geschichte, wie es ihn selten gibt. Wäre das Wetter stürmischer gewesen oder die Küstenwache wachsamer, hätte Fidel Castro mit seinen Getreuen nicht die Insel erreichen und einen zweijährigen Dschungelkrieg entfesseln können, der am Ende das morsche Regime zu Fall brachte, der den USA den „roten Hund im Hinterhof“ bescherte, die Kuba-Krise und hundert weitere Ereignisse von internationaler Tragweite. Ein kleines Boot beeinflusst bis heute die politische Landschaft Amerikas. Kolumbus‘ Flaggschiff „Santa Maria“ ist nur fünf Meterlänger.