Diese Story beginnt an Bord – nicht auf einem Schiff, sondern im Bordrestaurant der Deutschen Bahn auf dem Weg von Berlin nach Bremen. Denn Michael Ernst legt Wert auf eine ökologische Lebensweise, und so fahren wir nicht mit dem Auto zur Werft, sondern mit dem Zug.
Michael Ernst ist der erste Eigner einer Flax 27 – und zugleich weit mehr: Er hat gemeinsam mit dem Bootsbauer Friedrich Deimann das Projekt „nachhaltiger Daysailer“ bei Greenboats erst möglich gemacht.
Während die Landschaft vorüberrauscht, erzählt der Berliner Bauingenieur von der Entwicklung des Boots. Ende 2017 war Ernst auf der Suche nach einem neuen Boot. Ein Bekannter empfahl ihm Greenboats in Bremen. Und so begann die Geschichte einer ungewöhnlichen und produktiven Zusammenarbeit.

Verständnis für Physik
Michael Ernst lernt in seiner Jugend Segeln: Bei seinem Onkel auf einem H-Boot macht er die ersten Erfahrungen. Er entwickelt früh ein Verständnis für Boote – und für Physik. Kein Wunder, dass der Berliner später Bauingenieur und Statiker wurde. Auch das ist sicher ein Grundstein für die Entwicklung der Flax 27.
Michael Ernsts Vorgänger-Boot war klassisch, eine RW 26 von Classic Yachten. Sie machte Spaß, segelte sich aber für ihn und seine Frau mit dem niedrigen Freibord zu nass, wie er berichtet. Sie trennten sich schließlich von dem Boot und suchten nach etwas Neuem. Klassisch sollte es schon sein, aber auch nicht so viel Arbeit machen. Glasfaser kam aus Umweltgründen für ihn nicht in Frage.

Entwicklungs-Partner
Denn Michael Ernst denkt nicht nur beim Bootsbau ökologisch, auch beruflich achtet er auf einen guten CO2-Abdruck. Das äußert sich zum Beispiel darin, dass er seine Baustellen im e-Smart besucht und sein eigenes Haus mit Erdwärme beheizt.
Der umtriebige Mittfünfziger hat darüber hinaus ein Faible für nachhaltige Projekte. Er plant als Projektentwickler eigene, und er unterstützt immer wieder andere. So lag es nahe, dass Michael Ernst nach den ersten Gesprächen mit Friedrich Deimann – Bootsbaumeister und Eigentümer von Greenboats – zusagte, das neue Boot gemeinsam zu entwickeln. Sympathie füreinander hatten sie quasi von der ersten Begegnung an. Ernst schoss sogar die Finanzierung für die Produktentwicklung vor.

Einzigartiger Werkstoff
Gemeinsam mit dem Designbüro judel/vrolijk & co, mit dem Friedrich Deimann schon beim Bente-Projekt gute Erfahrungen gemacht hatte, entwarfen sie Design und Konzept des grünen Daysailers. Ernst brachte sich aktiv in die Entwicklung mit ein. Sechs Monate später war der Daysailer auf dem Papier fertig. Anfang 2019, auf der boot Düsseldorf, stellte Greenboats erstmals den Rumpf aus und float berichtete darüber.
Viele kamen und staunten. Nicht nur private Besucher der Messe, auch Produktentwickler anderer Werften wollten wissen, was es mit dem Rumpf auf sich hat. Denn die durch das transparente Green-Epoxidharz erkennbaren Flachsgewebe sind bisher einzigartig auf der weltgrößten Bootsmesse.
Und Friedrich Deimann ist der Einzige, der sie professionell verarbeiten kann. Weil er sich schon lange damit auseinandersetzt.

Naturfaser statt Glasfaser
In Bremen holt uns der Bootsbauer persönlich vom Bahnhof ab. Die Partner begrüßen sich auf Augenhöhe – übrigens nicht nur als Partner: Sie sind mit zwei Metern Körperlänge auch nahezu gleich groß. Wir fahren in den Europahafen, wo die Flax 27 auf uns wartet. Im Sonnenlicht erscheint der braune Flachsfaser-Rumpf wie in 3D.
Flachsfaserverbundstoff besteht aus Flachsfasern. Viele kennen sie, weil daraus der altbewährte Bekleidungsstoff Leinen hergestellt wird. Flachs hat den Vorteil, dass bei der Herstellung deutlich weniger CO2 entsteht. Während des Wachstums wird – so wie bei jeder Pflanze – sogar CO2 gebunden. Die technologisch hochwertigen Gelege kommen aus Schweiz. Dort ist man in der Entwicklung neuer Flachsgelege am weitesten.

Flachsfasergelege sind Hightech
Friedrich Deimann experimentiert bereits seit 2009 mit nachhaltigen Materialien aus Flachsfasern. Dabei hat er auch mit dem Bionik-Innovationszentrum der Hochschule Bremen zusammengearbeitet. Hier wurde – float hat darüber berichtet – sein Flachsfaserverbundmaterial auf Stabilität und Haltbarkeit getestet.
Im verwendeten Green-Epoxidharz werden die auf Mineralöl basierenden Ausgangsstoffe durch Leinöl ersetzt, das spart mehr als 80 % Energie bei der Herstellung. Die Flachsfasern haben außerdem den Vorteil, dass sie das Epoxidharz vollständig aufsaugen. Die geringere Zugfestigkeit des Materials wird durch das deutlich geringere Gewicht der Flachsfaser ausgeglichen. Das Harz hat überdies eine deutlich bessere Anhaftung an der Faser durch die rauere oder größere Oberfläche.

150 Kilogramm unter Plan
Der Rumpf der Flax 27 hat einen Sandwichkern aus recyceltem PET mit Plastikflaschen als Schaum-Kern, der im Vakuuminfusionsverfahren hergestellt wird. Deimanns Anspruch ist es, durch diese Methodik das optimale Verhältnis zwischen Harz und Fasern zu erzielen. Die neuen, optimierten Fasertypen – biaxiale und undirektionale Gelege – können die einwirkenden Kräfte hervorragend verteilen. Durch die exakte Berechnung der Laminat-Auslegung von judel/vrolijk & co ließ sich die Trag- und Zugfähigkeit sehr genau berechnen. Das führte zu einer geringen Streuung, und Deimann konnte dadurch materialsparender arbeiten.
Denn es geht dem Bremer Bootsbauer auch darum, so wenig Epoxy wie möglich zu verwenden. Nicht nur aus Umweltgründen, sondern auch um möglichst viel Gewicht einzusparen und so die Segelleistung zu optimieren. Bei der Flax 27 ist das gelungen: Das Boot wurde noch leichter als zuvor berechnet, bei gleicher Stabilität ist es 150 kg leichter.

Material- und Designsprache aus einem Guss
Friedrich Deimanns Ziel war es immer, eine Kombination aus klassischer Form und innovativen nachhaltigen Materialien zu kreieren. Durch die organische Faser entsteht die natürliche Optik, das passt hervorragend zum klassischen Rumpf. Gerade weil die Naturfaser ein technisches Highend-Material ist, entsteht eine Lebendigkeit im Material, die es mit Holz gemeinsam hat. Das macht es edel und harmonisch.
Für das Deck verwendet er recycelten Korkverschnitt. Der ist nachhaltig und besonders widerstandsfähig, hat Deimann herausgefunden. Neben der Expertise, die er als umweltbewusster Bootsbauer inzwischen hat, betrachtet er sich auch als Handwerker, der größten Wert auf saubere Verarbeitung und kluge, sinnvolle Lösungen legt.

So funktioniert Sponsoring
Das war es auch, was Michael Ernst überzeugte, um als Eigner und Teilhaber der Flax-27-Serie in das Projekt einzusteigen. Um den Formbau der Flax zu finanzieren und damit das Boot in Serie produzieren zu können, brauchte es seine finanzielle Unterstützung. Vereinbart ist, dass er seine Investition bei jedem weiteren Bootsverkauf anteilsmäßig zurück erhält.
Eine Kleinserie von zehn Booten will Friedrich Deimann bauen – zwei Boote pro Jahr Jahr. So funktioniert modernes Sponsoring. Auch die schwedische Foil-Motoryacht Candela konnte nur mit der finanziellen Unterstützung eines Privatsponsors gebaut werden, der an das Projekt glaubt und so die Entwicklung ermöglicht.

Für beide Beteiligten des Flax-Projekts ist die Zusammenarbeit bereichernd: Bootsbauer Friedrich Deimann könnte ohne die finanzielle Unterstützung keine neuen Modelle entwickeln, Michael Ernst wiederum hat gemeinsam mit dem Greenboats-Werftchef sein Traumboot bauen können.
Man möchte die Flax fühlen
Es geht allen so, die das Boot zum ersten Mal sehen: Man möchte es anfassen und fühlen. Die Haptik der Flax 27 ist Teil des Segelgenusses. Das Korkdeck ist weich, warm und rutschfest. Es ist pflegeleicht und eine schöne und nachhaltige Alternative zum Teakdeck. Die Oberfläche ist so glatt wie bei einem Holzboot.
Alle Übergänge sind weich und kantenlos und sehr fein verarbeitet. Echte Meisterarbeit bei dem Flachsgelege.
Das Cockpit ist aufgeräumt, es bietet viel Platz für zwei bis vier Personen. Ein flacher Aufbau über dem Niedergang dient der unsichtbaren Leinenführung. Die Großschot wird unter Deck geführt, sie taucht am Süll achtern unter und erst in der Plicht wieder auf. Auch das Achterstag wird so ins Cockpit geführt. Die Winschen sind direkt hinter dem Aufbau angebracht. Alles ist so angeordnet, dass man einhand jedes Ende schnell und leicht erreichen kann.
Unter Deck wurde ebenso sorgfältig gearbeitet. Ale Schotten und Spanten sind nicht mit dem Rumpf verklebt, sondern an-infusioniert. Das führt zu einem extrem steifen Rumpf und wirkt sich positiv auf die Segeleigenschaften aus.
Vorstag immer in Griffnähe
Die Großschotklemme ist am Boden fixiert und lässt sich leicht bedienen. Die Pinne ist um 360 Grad drehbar und macht das Handling entsprechend leicht. So ist auch beim Rückwärtsfahren (180 Grad gedreht) die Anströmung und Balancierung des Ruderblattes richtig herum. Auf dem Vorschiff bewegt man sich frei, es gibt keine Kanten und keinen Zaun. Das ist auf einem 8,20 m langen Boot auch kein Problem, weil das Vorstag immer in Griffnähe ist.


Und auch für das Antifouling hat Deimann eine nachhaltige Lösung gefunden: den transparenten BioNanoCoat von Smartsolutions. Die biologische Nanobeschichtung ist algen- und schmutzabweisend, wartungsfrei und dazu noch langlebig.
Schnell und wendig
Die Partner verlassen elektrisch mit einem Pod-Motor von Torqeedo den Hafen – Ernst als Skipper, Deimann als Vorschoter. Auch die Besegelung ist unter nachhaltigen Gesichtspunkten ausgewählt. Das Tuch ist aus reinem Polyester ohne Carbon- oder Aramid-Verstärkung – und somit leicht recycelbar. Genäht wurden die Segel bei Frogsails, Sven Kraja hat grüne Fäden eingenäht, die farblich den Ton angeben.
Das Beste an der Flax 27 aber sind ihre Segeleigenschaften. Denn der Daysailer hat ein sehr modernes Unterwasserschiff mit einer Kielbombe und einer innenliegenden Ruderanlage. So ist das Ruder immer komplett benetzt. Weil Deimann die Konstruktionspläne eins zu eins realisiert hat, ist der Rumpf sehr gut ausbalanciert und der Gewichtsschwerpunkt stimmt.
Der leichte Rumpf springt dadurch schneller an, reagiert leichter und ist extrem wendig. Auf der schmalen Weser bei Bremen läuft das Wenden und Halsen im Handumdrehen. Für Michael Ernst, der heute seine Segel-Premiere auf der Flax 27 hat, ist es sogar noch etwas gewöhnungsbedürftig, mit Friedrich Deimann als Vorschoter und Bootsbauer aber kein Problem. Die Bedingung von Michael Ernst, dass er beim Segeln – anders als auf der RW 26 – trocken bleibt, hat ihm Deimann erfüllt. Kein Tropfen kommt über.

Technische Daten Greenboats Flax 27
Länge | 8,20 m | |
Breite | 2,25 m | |
Tiefgang (mit Hubkiel) | 0,60 bis 1,40 m | |
Gewicht | 1,1 to (segelfertig 1,2 to) | |
davon Ballast | 0,4 t | |
Großsegel | 19 qm | |
Rollgenua | 11,50 qm | |
Rigg und Segel | Rigand Sails Seldén | |
Preis segelfertig | 149.500 Euro |
Verwendete Materialien
Rumpf | NFK-Sandwich (Flachs, recyceltes PET, Green-Epoxy | |
Custom RAL Option | alternative Faser oder Kernmaterial | |
Interieur/Innenstruktur | Topcoating RAL 9003 auf Laminatoberflächen (NFK) | |
Mast | Aluminium (Touring) | |
Deckbelag | Kork (optional) |
Zu sehen ist die Flax 27 von Greenboats auf der boot Düsseldorf 2020 in Halle 17, Stand A66.