Einer der am häufigsten gebräuchlichen Begriffe bei der Seefahrt ist sicher die Seemannschaft. Wikipedia schreibt dazu: „Seamanship is the art of operating a boat“. Zu dieser „Kunst“ gehört mehr als Manöver zu beherrschen und ein Boot sicher von A nach B zu bringen. Sie hängt stark von der Art des Schiffes, dem Revier, den Wetterbedingungen, der Crew und aller anderen Umstände ab. Die See ist undurchschaubar und mit ihr die Situationen, in die ein Schiff geraten kann.
In Norwegen wird nun ein autonom fahrender Containerfrachter gebaut, der die Transporte zwischen zwei Standorten eines Chemiekonzerns effizienter gestalten soll. Das Schiff legt dabei 55 km Strecke zurück, ohne dass eine Person an Bord ist. In dem Animationsvideo schippert der Frachter bei perfekten Bedingungen durch den norwegischen Sund, erkennt ein anderes Schiff auf Kollisionskurs, weicht diesem weiträumig und “intelligent” aus und legt danach sanft am Kai des Zielhafens an, wo automatische Kräne ihn Be- und Entladen. Auch Rolls Royce arbeitet an einem sogenannten Roboship und kündigt die ersten Fahrten für 2020 an. Die Briten planen sogar eine Nummer größer.

Wer je zur See gefahren ist, weiss jedoch, dass es in der Realität meistens anders aussieht. Große Frachter sind eine Sache, aber was ist mit Schwimmern, Schlauchbooten, Kajaks, Angelbooten, SUPs, Surfern, Fischkuttern und allem anderen, was vor allem in der Saison auf dem Wasser treibt? Selbst wenn ein System solche Fahrzeuge und Objekte erkennt, kann ein Computer niemals eine Situation angemessen einschätzen.
Der Kanute, der sein Paddel verloren hat, der Segler, der hoch am Wind mit den Bedingungen kämpft, das Angelboot, auf dem gerade niemand so richtig aufpasst und das Motorboot, das seiner Kurshaltepflicht nicht nachkommt oder gar manövrierunfähig ist – solche Situationen kommen vielleicht nicht in einem norwegischen Fjord vor, aber überall sonst auf der Welt passieren auf dem Wasser ständig Dinge, auf die man reagieren muss.
Und dort kommt dann die „Kunst“ ins Spiel, die Seemannschaft. Seemannschaft kann man nicht programmieren. Software kann berechnen aber keine persönliche Einschätzung vornehmen und schon gar nicht auf Unvorhergesehenes reagieren. Computersysteme sind auch nicht in der Lage, in Not Geratenen zu helfen. Auch das gehört zur Seemannschaft.

Ein weiteres Problem: Was passiert, wenn die Technik an Bord versagt? In der Berufsschifffahrt ist es üblich, mindestens einen Ingenieur an Bord zu haben, der Probleme beheben kann. Der autonom fahrende, norwegische Frachter kann zwar auch über eine Fernbedienung gesteuert werden, doch einen mechanischen Defekt wird man nur vor Ort beheben können. Bei einem Schiff, dass für einen Chemiekonzern keine Gummienten, sondern sicher auch gefährliche Stoffe transportiert, mag man sich die folgen bei einem Defekt oder Systemausfall nicht vorstellen wollen. Auch nicht, dass sich Hacker für solch ein Projekt interessieren könnten.
Es wird spannend sein, die Testfahrten zu verfolgen, die die Yara Birkeland bereits 2019 vollziehen soll. Vor allem, wie mit unvorhergesehenen Situationen umgegangen wird und ob so etwas überhaupt getestet wird. Eines ist jedoch klar: Seemannschaft ist kein Parameter auf diesem Schiff.