Man experimentiert im Kleinen – und denkt ins Große. Die Schifffahrt nähert sich nach diesem Prinzip dem autonomen Fahren an. Der Trimaran „Mayflower 400“ soll dabei so eine historische Rolle übernehmen wie die Mayflower der Pilgrims vor 400 Jahren. Auf einem 15-Meter-Schiff wird getestet, was für die 400-Meter-Frachter einmal Alltag werden soll.
Im Containerhafen haben die Roboter längst die Arbeit übernommen. Tetris von Maschinenhand. Aber die Containerschiffe werden noch von menschlichen Crews gesteuert. Auf dem Meer müssen zu viele Unwägbarkeiten einberechnet werden. Autonomes Fahren auf dem Meer ist das Versprechen der Zukunft. Aber die Realisierung hängt von der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz ab, die auf diese Unwägbarkeiten selbstständig reagieren muss.
Die Schiffe folgen keinem sturen Autopilot-Kurs und keiner Fernsteuerung vom Land, sondern agieren wie autonome Entitäten. Das Schiff wird zum Fisch. Das Ziel ist vorgegeben, der Weg dorthin liegt im Ermessen des KI-Fisches mit seinen 10.000 Containern auf dem Buckel. So weit die Spökenkiekerei.
Die Spezialisten sind sich einig, dass die autonome Seefahrt kommen wird. Aber wann, da klaffen ihre Prognosen auseinander. Patrick Haebig von der Kollisionsverhinderungs-Software Oscar, die bereits bei der Vendée Globe eingesetzt wurde, spekulierte 2020: „Ich bin zuversichtlich, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren autonome Seefahrt Realität sein wird.“
Jens Wilbertz, Segelschiffskapitän, Diplomingenieur und Vorstandsmitglied des Schulschiffvereins Großherzogin Elisabeth, zeigte sich im gleichen Jahr skeptischer: „Wir gehen Richtung autonome Schifffahrt. Meine Vision: ein Hybridschiff aus Segelantrieb und Wasserstoffmotor. Es könnte an der Weser entlassen werden und autonom oder sogar unbemannt bis zur Ansteuerungstonne in New York fahren. Die autonome Steuertechnik ist spätestens in 30 Jahren ausgereift.“

Künstlicher Käpt’n
Es könnte weitaus schneller gehen. Für den Küstenbereich wird längst mit autonom fahrenden, aber bemannten Schiffen experimentiert. Das Mayflower Autonomous Ship will nun als Erstes autonom und unbemannt über den Atlantik setzen.
Ein Verbund aus Wirtschaft und Forschung hat unter der Führung der Meeresforschungsorganisation ProMare und dem Computerspezialisten IBM einen Trimaran fertig gestellt, dessen KI seit mehreren Jahren angelernt wird. Für die Erfassung der Umwelt ist das 15 Meter lange Schiff mit aktuellster Technik bestückt.
-
Die Mayflower 400 will als Erstes autonom und unbemannt über den Atlantik setzen © Promare / IBM
-
Für die Erfassung der Umwelt ist das 15 Meter lange Schiff mit aktuellster Technik bestückt © Promare / IBM
-
Satellitennavigationssysteme bestimmen die Position bis auf wenige Zentimeter genau © Promare / IBM
Mehrere Satellitennavigationssysteme bestimmen die Position bis auf wenige Zentimeter genau. Kameras und Radar erfassen die Umgebung, Trägheitssensoren die Ausrichtung sowie die Beschleunigung in jede Richtung. Über das Automatische Identifikationssystem (AIS) empfängt die „Mayflower 400“ Meldungen anderer Schiffe über deren Position, Kurs und Geschwindigkeit. Zwei Wetterstationen messen Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Temperatur, Windrichtung und -geschwindigkeit.
Über den Satellitendienst Iridium steht das Schiff zudem in ständigem Kontakt mit dem Land. Solarenergie hält den Elektromotor und die Computertechnik am Laufen. So weit, so etabliert. Die Zukunftsmusik wird von IBMs Künstlicher Intelligenz gespielt. Sie wertet die Daten aus und entscheidet sich für eine Handlungsoption. Der Co-Direktor des Projektes, Brett Phaneuf von ProMare, ist sich der Risiken bewusst: „Meine größte Angst ist es, dass die Mayflower 400 auf See verloren gehen könnte. Ich möchte für keinen Systemfehler verantwortlich sein, der das Schiff sinnlos herumtreiben lässt …“
-
Innenansicht des unbemannten Schiffes © Promare / IBM
-
Das Gehirn der Mayflower 400 © Promare / IBM
-
Die KI wertet die Daten aus und entscheidet sich für eine Handlungsoption © Promare / IBM
Startklar!
ProMare will die Mayflower 400 für sein Kerngeschäft einsetzen, die Erforschung der Meere. Der Trimaran soll Daten zu Plankton, Mikroplastik und Fischvorkommen sammeln. Die KI muss also nicht nur wie ein Kapitän, sondern auch wie ein Wissenschaftler handeln können. In der Wirtschaft denkt man an Schlepper, Fähren oder Versorger für den KI-Einsatz.
Corona (mit der Gefahr von Matrosen im Lockdown) hat die Entwicklung begünstigt, aber Versicherungsfragen verhindern bis jetzt unbemannte Seefahrt. Das gesamte Schifffahrtsreglement ist auf eine verantwortliche Person an Bord ausgelegt. Auch die Projektleiter der Mayflower 400 wissen noch nicht, wie sie diese Hürde nehmen sollen. Autonom ja, unbemannt nein.

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren
Die ersten Testläufe der Mayflower 400 wurden per Fernbedienung durchgeführt. Die „International Maritime Organization“ aus den USA, die für die internationalen Seeregeln zuständig ist, spielt also genauso eine wichtige Rolle wie die KI-Konstrukteure. Aber sobald die Juristen grünes Licht geben, müssen die Techniker nur noch den Startknopf drücken. Auf der Website kann man verfolgen, wie die Mayflower 400 mit ihren Kufen scharrt.