Captain Conny Bockermann ist zufrieden. Die Avontuur, auf deutsch Abenteuer, ist rechtzeitig zum Hafengeburtstag in Hamburg eingelaufen. Nun liegt sie vertäut etwas außerhalb des Trubels im Sandtorhafen und zieht reichlich Interessierte an. Zwischen den Masten des 43,50 m langen Zweimast-Gaffelschoners, 1920 aus Stahl bei Otto Smit in Holland gebaut, hängt weit sichtbar das Banner mit seinem Claim: Timbercoast – cargo under sail.

Auf den Pontons zwischen Speicherstadt und Hafencity, hinter der „Elbphi“, hat die Crew einen Stand aufgebaut, wo die kostbare Fracht verköstigt und gekauft werden kann. Kaffee und Kakao aus Mexiko und Honduras, Rum von den französischen Antillen und Kardamom, der für Kräutertees direkt von den Gewürzinseln eingesegelt wurde.
Seeleute und Volunteers arbeiten gemeinsam
Seit 2014 läuft das Timbercoast-Projekt als umweltfreundlicher Warentransport über die Meere, nachhaltig und mit motivierter Crew. Die besteht zur Hälfte aus Berufsseeleuten und sogenannten Shipmates, zusammengewürfelt aus zehn Ländern. Und es läuft gut. Die Volunteers lieben das Projekt, sie sammeln Seemeilen und Segelerfahrung und sind auch bereit, dafür einen kleinen Obolus in die Schiffskasse zu zahlen. Die Waren, die über den Atlantik gefahren werden, stammen ausschließlich aus nachhaltiger Landwirtschaft von kleinen Kooperativen. Der Transport ist fast komplett umweltfreundlich und wird von zufriedenen Seefrauen und -männern betrieben.


Die weltweit operierende Containerflotte, die 90 Prozent des Weltseehandels abwickelt, verbrennt Schweröl und bläst dabei tonnenweise Stickoxid, Feinstaub, Ruß und Schwefeldioxid in die Luft. Dabei werden möglichst schnell billige, von unterbezahlten Arbeitern produzierte Waren nach Europa, Japan und USA verschifft, um in den nimmersatten Konsumschlund der hochentwickelten Industriestaaten gekippt zu werden und später als Plastikmüll die Meere zu verseuchen. Die Seeleute kommen oft monatelang nicht von den Schiffen herunter und führen eine Art modernes Sklavendaseins.

Es geht auch anders: Join the movement!
Die Mission von Captain Conny Bockerman und seiner Crew ist genau das Gegenteil davon. Sie wollen mit ihrem Projekt eine Zukunft für sauberen Seetransport aufzeigen und so mehr Aufmerksamkeit für die Umweltzerstörung durch die Schifffahrtsindustrie schaffen. Das Projekt wollen sie durch den Handel mit hochwertigen Timbercoast-Produkten finanzieren und die gesegelten Waren im Handel etablieren. Das große Ziel ist der Aufbau einer modernen Frachtsegelflotte.

Noch trägt sich diese Art nachhaltigen Warentransports nicht selbst, und Bockermann schießt eigenes Geld zu. Die Restaurierung der Avontuur hat einige 100.000 Euro verschlungen. Dafür ist aber auch alles originalgetreu und funktional restauriert. Die Mastringe, selbst gedämpft und gebogen, und ein Großteil der Beschläge am hölzernen Gaffelrigg wurden von einem Schmied speziell für das Schiff angefertigt.

160 freiwillige Helfer aus ganz Europa und Übersee konnte Bockermann aktivieren, um das Schiff in verschiedenen Baustufen zum modernen Frachtsegler auszubauen. Seine Ideen und Motivationsfähigkeit sind bestechend. Das spürt man in jedem Moment des Gesprächs, das wir mit ihm führen. Die Münzen unter den Masten haben dem Schiff bisher viel Glück gebracht: Über 20 Jahre hat Bockermann im modernen Seefrachthandel mitgespielt und mit einer eigenen Firma in Afrika das Geld verdient, das jetzt in das Projekt fließt.
Die Renaissance der Frachtsegler
Er ist beileibe nicht der Einzige, der Fracht unter Segeln transportiert. float hat über die Renaissance der Frachtsegler wie Fairtransport, Brigantes oder TOWT Transoceanic Wind Transport bereits berichtet. Die Konzepte sind sehr unterschiedlich. Und Geld verdient eigentlich nur, wer – wie früher die Hamburger Pfeffersäcke – seine eigene Ladung fährt und verkauft. So hat Timbercoast mit dem Rum „Sailed Rum“ ein attraktives eigenes Label. Der Gewinn fließt zurück in die Erhaltung der Avontuur. Auf der Karibikinsel Marie Galante werden die Fässer mit selbstgebauten Flößen vom Strand an Bord verbracht. Auch das ist eine pressewirksame Attraktion.


Den Löwenanteil macht allerdings die Auftragsfracht aus. So wurden etliche Fässer französischen Bio-Rotweins von La Rochelle auf einer Reise über den Atlantik und zurück gesegelt. Das wechselnde Klima und die ständige Bewegung lassen den Wein auf eine spezielle Weise reifen. Er schmeckt edel, genau wie der norddeutsche Korn, der nach vier Monaten Seefahrt eine reife goldene Farbe und einen beinahe sanften Geschmack angenommen hat.
Im Hafen herrscht an Bord an diesem sonnigen Nachmittag eine entspannte Atmosphäre, fast karibisch, mit viel Sonne und einer erfrischenden Brise. Unter dem Sonnensegel schenken zwei junge Frauen kühle Getränke aus. Ein weiterer Ausblick in eine faire Zukunft von Timbercoast ist, dass etwa die Hälfte der Besatzung aus Frauen besteht: Kapitänin, Offizierinnen und Deckshände. Martin, der junge Berufsseemann, der schon seit Jahren nur auf Traditionsseglern unterwegs ist, führt mich über das Schiff.

ein betörender Duft von Gewürzen
Von 114 Tonnen Ladekapazität sind etwa 85 % genutzt. Unter der Ladeluke schlägt mir ein betörender Duft von Gewürzen entgegen – das ist Kardamon. Im diffusen Licht sind Eichenfässer und Kaffeesäcke eingestaut, das passt gut zur alten Hamburger Speicherstadt. Im Anschluss wird die Avontuur zum Hafenmuseum am Schuppen 52 verholt, wo am Montag dieser Woche das Löschen der für Hamburg bestimmten Ladung stattfand. Begleitet von der Presse werden per Muskelkraft die Planken von den Laderaumluken weggeschafft und die kostbare Fracht mit Flaschenzügen hochgeholt, die Gangway hochgebuckelt und per Lastenfahrrad zu den Schuppen gefahren. Wer braucht schon einen Gabelstapler, wenn genug – freiwillige – Hände helfen.
Sie entluden für Yogi Tea 10 Tonnen Kardomom, der zu den Hauptzutaten der Kräuter- und Gewürztees gehört. Die 18 Tonnen biologisch angebauter und fair gehandelter Kaffeebohnen für die deutschen Kaffeehändler El Rojito, Café Chavalo und Teikei Coffee sowie 1,5 Tonnen Kakaobohnen für den österreichischen Schokoladenhersteller Zotter wurden mit der Unterstützung von 70 Freiwilligen ganz traditionell per Hand von Bord gelöscht.
Das ist sicher nicht die Methode, um der modernen Wirtschaft den Rang abzulaufen. Und viele Manager mögen solche Projekte belächeln: Wo ist denn da die Rendite? Aber wenn genug Leute wie bei diesem Projekt an einem Strang ziehen, können sie die Welt vielleicht ein kleines bisschen lebenswerter machen. Und sie helfen, das Ruder herumzureißen, bevor unser Planet uns abschüttelt wie lästiges Ungeziefer.
Conny Bockermann verbreitet jedenfalls Zuversicht. Mit Hans-Georg Näder, dem Geschäftsführer der Otto Bock Prothetik GmbH, hat der Schiffseigner sich einen finanzkräftigen Investor ins Boot geholt, um zukünftige Projekte anzugehen. Die Pläne für einen etwa 100 Meter langen Dreimaster, der 300 bis 350 Container tragen können soll, liegen schon in der Schublade. Damit können sie auch größere Firmen bewegen, ihre Fracht der Timbercoast-Gruppe anzuvertrauen. Gebaut werden soll das Schiff voraussichtlich ab 2019 in Niedersachsen – da ist Bockermann heimattreu. In Elsfleth, wo Timbercoast seinen Sitz hat, hat außerdem eine der weltbesten Seefahrtsschulen ihren Sitz.

Die Avontuur trägt auf jeden Fall ihren Teil zur seemännischen Ausbildung junger Menschen ohne militärischen Drill bei. Sie ist für die nächste Tour schon ausgebucht. Die Schokolade-, Kaffee- und Teemanufakturen sind mit dem Service hochzufrieden und haben nachgeordert. Wein soll auch wieder gereift werden. Eine der kuriosesten Frachten aber wird eine Ladung Heu von Irland (da gibt es das beste) zu den Kanaren sein (da fehlt es an gutem Heu).
Die Avontuur liegt jetzt im Traditionsschiffhafen an der Elbphilharmonie und läuft am 23. Mai morgens aus. Vom 24. bis 27. Mai ist sie beim SeeStadtFest in Bremerhaven noch einmal für alle zugänglich. Open Ship ist immer von 12 bis 20 Uhr. Am 28. Mai kehrt sie zurück in ihren Heimathafen Elsfleth, wo auch die Timbercoast-Produkte gelöscht werden.
2 Kommentare
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Sehr schön ein spannendes Projekt. Es wäre noch spannender etwas genauere Zahlen zum Erlös zu sehen also ab wann oder ob überhaupt eine Kostendeckung erreicht werden kann.