Eine alte Idee erlebt ihre glanzvolle Wiedergeburt: Tragflügel-Boote als Fähren stehen offenbar kurz vorm technischen Durchbruch. Die schwedische Werft Candela hat angekündigt, das schnellste elektrisch angetriebene Passagierschiff der Welt zu bauen. Schon im kommenden Jahr soll es abheben. Sein Einsatzgebiet: der Großraum Stockholms inklusive dem weit verzweigten Schärengarten. Der schwebende Bus, der technisch vom Candela Speed Boat abgeleitet ist, heißt Candela P-30.
In die äußeren Schären sind es vom Zentrum das schwedischen Hauptstadt gut 50 Kilometer. Solche Distanzen waren bis vor kurzem utopisch, jedenfalls für die Elektro-Schifffahrt im Fahrplanbetrieb.
Foilen nach Fahrplan ist ab nächstem Jahr möglich
Doch mit der ausgeklügelten Tragflächen-Technologie von Candela ist Fliegen nach Fahrplan jetzt möglich. Denn Boote fahren damit nicht mehr, sie foilen. Der öffentliche Personennahverkehr hebt buchstäblich ab, und mit ihm die Passagiere. Vor zwei Jahren machte das von Gustav Hasselskog gegründete Unternehmen erstmals Schlagzeilen. Mit dem elektrisch angetriebenen Runabout Candela Seven machte der schwedische Tüftler schnelles Bootfahren mit elektrischem Antrieb erstmals auch auf Dauer möglich.



Die Foils erlauben es dem offenen Motorboot, bis zu 30 Knoten schnell zu schweben. Das Serienkonzept bekam beim Best of Boats Award 2019 in Berlin den ersten Award, ausgezeichnet als Winner in der Kategorie Best for Future. In erstaunlich kurzer Zeit ist es nun gelungen, das Konzept auf ein deutlich größeres Schiff zu übertragen.
Damit hat sich die schwedische Werft mit einem Riesensatz vor den einstigen Innovationsführer Sea Bubbles gesetzt. Bereits vor Jahren experimentierte das französische Start-up auf der Pariser Seine mit superschnellen Wassertaxis. Obwohl die Erfolge dieser elektrischen Tragflügel-Boote ermutigend waren, kam schlussendlich kein Auftrag. Der Durchbruch blieb den Franzosen versagt, nun bringt offenbar ein anderer die Ernte ein. Salopp gesagt: Auch im Fähr-Business ist das Leben nicht immer fair.

Wie bei der offenen Candela oder den rasend schnellen Seglern des America’s Cup und anderer Hochleistungs-Regatten bleibt der Rumpf des Passagierschiffes Candela P-30 nur bei langsamer Fahrt im Wasser: Ab einem bestimmten Tempo hebt er sich heraus. Dann läuft das Boot auf den Foils genannten Tragflächen mit minimalem hydrodynamischem Widerstand. So sind ein erheblich höheres Tempo und geringerer Energieeintrag möglich.
Die Candela P-30 nimmt 2022 Fahrt auf
2022 soll der Probebetrieb beginnen, heißt es von Candelas ÖPNV-Experten Erik Eklund. „Dieses spezielle Projekt wird bis 2024 laufen, bis dahin haben wir hoffentlich viele weitere Fähren auf der ganzen Welt“, sagte Candela-Sprecher Mikael Mahlberg gegenüber float. Das zwölf Meter lange Tragflügelboot ist mit zwei 60 kW starken Elektromotoren ausgerüstet. Sie entwickeln über drehbare Pod-Antriebe einen Schub von bis zu 30 Knoten.

Im Passagierbetrieb soll die Geschwindigkeit der Fähre 23 Knoten betragen. Sind die Lithium-Ionen-Akkus an Bord voll geladen, liefern sie drei Stunden lang Energie für kontinuierliche 20 Knoten. Das entspricht etwa 37 km/h.
Für den maritimen Personentransport von Stockholm wird dann eine neue Ära beginnen. Viele Bewohner der Hauptstadt werden bald morgens zur Arbeit foilen: Dort gibt es 60 kommunale Fährschiffe. Sie versehen im weitläufigen Stadtgebiet eine wichtige Transportaufgabe – und den Suburbs, der dazugehörigen Schärenlandschaft mit rund 30.000 Inseln.

Die gesamte Flotte hat im Augenblick Dieselmaschinen, viele Schiffe sind mehr als 50 Jahre alt. Ihre Modernisierung ist beschlossen, die Candela P-30 bildet den Auftakt. Ihre Kapazität beträgt – analog zur Typenbezeichnung – 30 Passagiere. Auch für Fahrräder und Gepäck wird Platz sein.
Candelas neuer Foil-Experte kommt vom America’s Cup
Die in Stockholm ansässige Candela-Werft und das schwedische Verkehrsministerium finanzieren das Pilotprojekt gemeinsam. Dazu passt, dass das Start-up seit kurzem einen neuen Investor hat: Der TED-Talks-Mastermind Chris Anderson beteiligt sich an dem schwedischen Unternehmen. Für die Foil-Technologie hat Hasselskog übrigens den Foil-Experten Michel Kermarec verpflichtet. Der Franzose hat schon die America’s Cup Racer der Teams Oracle und American Magic beflügelt.
Die schon ausgerechneten Vorteile können sich sehen lassen: 80 Prozent weniger Energie verbraucht die elektrische Foil-Fähre im Verhältnis zu den klassischen Einrumpfschiffen mit Verbrennungsmotor. Die Betriebskosten sind um die Hälfte niedriger als bisher. Die Candela P-30 fährt lokal emissionsfrei und deutlich schneller. Das gilt erst recht in den innerstädtischen Kanälen, die konventionelle Boote nur mit langsamer Fahrt passieren dürfen, um die Ufer nicht durch Wellenschlag zu beschädigen. Auch die Geräuschbelästigung wird weitaus niedriger sein.