Es gibt diesen einen, etwas würdelosen Moment im Dasein eines Amphicar-Kapitäns: Wenn er sich unmittelbar vor der Wasserung unter das Heck hocken muss, um noch den Stopfen anzubringen. Der Stopfen dichtet die Bilge des Schwimmwagens ab. Fehlte er, liefe das Auto in Minuten voll. Ohne diese Handlung wäre der (sic!) Amphicar das, wonach er aussieht: eine bleierne Ente.
Aber mit Stopfen drin bleibt das Wasser draußen. Ächzend fummelt Sebastian Herrmann über Kopf an dem Auslass herum, der einem Badewannen-Ablauf ähnelt. Es ist mühsam, aber nützt ja nix … Endlich sitzt der Stopfen fest drin.
Von Land- auf Seegetriebe
Der eigentliche Akt des In-See-Stechens ist dann überraschend unspektakulär: Herrmann startet das 38-PS-Motörchen im Heck, löst die Feststellbremse und rollt im Schritttempo die Sliprampe hinunter.


Plitsch-platsch! geht es in die Spree, und dann schwimmt das leuchtend orangefarbene Blechding auch schon. Ein Farbklecks in den Fluten. Jetzt noch ein schneller Handgriff, und der Motor ist vom Land- auf das Seegetriebe umgesteuert.
Dann treibt der Vierzylinder nicht mehr die Hinterräder, sondern zwei kleine Kunststoffpropeller im Heck an. Bis zu 12 km/h schaffen sie und machen dabei eine gewaltige Welle.
Der ungekrönte Entenkönig
So wie das Getriebe schaltet auch sein Besitzer augenblicklich um: vom gestressten Autofahrer zum tiefenentspannten Wassersportler. Herrmann holt eine Pulle Bier – natürlich alkoholfrei – hinterm Sitz hervor und setzt ein sonniges Lächeln auf.
Spätestens jetzt wird der Ingenieur zum Öffentlichkeitsarbeiter – im Dienst des Amphicars. Oder aber: ungekrönter Entenkönig, denn von allen Seiten werden ihm jetzt Ovationen entgegengebracht.
Dutzende Handys und Fotokameras richten sich nach dem ulkigen kleinen Auto aus, von entgegenkommenden Booten wird gewunken, gelacht und gescherzt. Auch am nahen Ufer machen die Menschen Augen.
„Ey, ihr habt euch verfahren!“
„Man muss das lieben“, sagt Herrmann, und lächelt selig. Vom Ufer winkt ein Schmerbauch in Badehose: „Ey, ihr habt euch verfahren – zur Stadtautobahn geht‘s da lang!“
Der Skipper hupt und prostet dem Badegast zu. Solche Sprüche und Gesten wiederholen sich alle paar Minuten, denn die Spree ist an diesem Septemberabend dicht gesäumt von jungen und alten Sonnenanbetern.
Auf der Brücke vor uns steht ein gutes Dutzend Passanten mit Kameras aller Art. Sebastian grüßt leicht theatralisch, während die Zuschauer sein Gefährt ablichten. Mit einem Amphicar ist man immer Fotomodell.
Erlebnisse, die keiner sonst hat
Und man hat Erlebnisse, die niemand anders hat. René Pohl, ein alter Freund von Herrmann, schildert eine solche Anekdote: „Wir machten am Gardasee Urlaub.“ Irgendjemand erzählte von einer famosen Pizzeria am anderen Ufer. Also fuhr Familie Pohl abends im Amphicar hinüber.
Weil man dem Lambrusco zusprechen wollte, sollte die Rückfahrt quer übern nächtlichen See führen. Doch als Pohl nach dem Festmahl leicht besäuselt aus der Pizzeria stiefelte, sah er die Bescherung: In der Zwischenzeit war ein Gewitter aufgezogen. „Die Wellen schäumten und glänzten im Mondlicht“, erinnert sich Pohl.
Was nun? Die Pohls hatten ihren vierjährigen Sohn dabei. Das Kleinkind an Bord musste zeitig ins Bett, auf der Landstraße lauerte die Polizia – also hinein ins Vergnügen.
Scheinwerferleuchten im See
Was folgte, war eine echte Sturmfahrt im Oldtimer. „Unglaublich“, erinnert sich der Amphicar-Kapitän. Da das Ziel im Auf und Ab der Wellen kaum erkennbar war, navigierte er nach dem beleuchteten Gipfelkreuz des 216 Meter hohen Rocca di Manerba am östlichen Seeufer.
„Jedes Mal, wenn wir eine Welle heruntersurften, tauchte die Windschutzscheibe fast komplett ins Seewasser ein, und die Scheinwerfer leuchteten den grünen Gardasee aus.“ So konnte Pohl die Ketten einiger Mooringbojen rechtzeitig erkennen und entsprechend drumherum kurven.
Probleme gab es erst, als größere Wassermengen übers Verdeck und durch die Lüfterkiemen achtern (der Amphicar hat Heckmotor) in den Maschinenraum fluteten. Der Vierzylinder ist zwar gekapselt, überkommendes Wasser befördert eine serienmäßige Bilgepumpe auf Knopfdruck außerbords. Doch teilweise verdampften die Wassermassen am heißen Auspuffkrümmer und gerieten über die Heizung als Nebel in den Fahrgastraum. „Da hatten wir Sauna.“ Die Scheiben beschlugen; Pohl konnte sein Ziel nicht mehr ausmachen.