Das Eis knirscht, als sich die Spikes hineingraben. Volle Kraft voraus – ein kleiner Sprint, dann ein Sprung und ab geht die Fahrt. Schneller als der Wind saust der Eissegler über den zugefrorenen See. Die Kufen glitzern in der Sonne. Es wird ruckelig, wenn sie über Unebenheiten oder angefrorenen Schnee gleiten. Höchste Konzentration ist gefragt, als der Geschwindigkeitsrausch ein Lächeln auf die Gesichter der Eissegler zaubert.
Dick vermummt in warme Winterkleidung, mit Helm und Ski- oder Windschutzbrille ausgerüstet, hat der Steuermann das Lenkrad in der Hand. Sein Vorschoter lässt sich schwer atmend in die Sitzmulde vor ihm gleiten. Er hat den Eissegler der Klasse XV angeschoben, auf Geschwindigkeit gebracht und nun die Großsegelschot übernommen. Ein Ausblick auf die Strecke hat er nicht, da er entgegengesetzt zur Fahrtrichtung sitzt – dafür behält er aber die Konkurrenz im Blick, die versucht, das Team zu überholen. Gelegentlich wird aber auch alleine gefahren.

Auf die Schnelligkeit kommt es an. Und so gilt Eissegeln als die schnellste motorlose Sportart überhaupt. Dabei können moderne Schlitten eine Geschwindigkeit von mehr als 100 Kilometer pro Stunde erreichen. Seit Jahren versuchen mehrere Hightech-Teams den umstrittenen Geschwindigkeitsrekord auf dem Eis, 1938 auf dem Lake Winnebago in Wisconsin mit 230 km/h, zu brechen. Mit einem speziellen Eissegler, D-Skeeter, wurden 1999 wohl sogar über 308 km/h erzielt.
Kein Wunder also, dass für manche Segler auf die im Herbst abgelaufene Segelsaison nur eine kurze Unterbrechung folgt, bevor sie wieder an Bord gehen. Nicht, weil sie ihr Segelboot in wärmere Gefilde verlegen oder in die Karibik segeln. Sie gehen aufs Eis. Und benutzen dafür spezielle Schlitten, deren Modelle Namen haben, die nach Genetik oder Biochemie klingen: XV oder DN. Die Königsklasse in Europa ist dabei der XV, der mit Platz für zwei Personen doppelt so viel Segelfläche wie der kleinere DN bietet. Dafür lässt sich der DN-Schlitten auch nur mit einer Person segeln. Der Steuermann ist nicht nur gleichzeitig Vorschoter sondern auch Anschieber. Er steuert liegend und mit einer Pinne.

Egal ob XV oder DN, beide Schlitten sind schneller als der Wind. Bedingt durch die schon bei geringem Wind hohe Fahrtgeschwindigkeit sind daher praktisch alle Kurse Am-Wind-Kurse, da der Fahrtwind überwiegt. Die Schoten werden immer dicht gefahren, Kreuzen ist mit raumen Winden erforderlich und am Wind möglich.
Unmöglich ist hingegen ein reiner Vor-Wind-Kurs. Da würde die Eisyacht einfach stehen bleiben. Problematisch wird es auch bei Halbwindkursen, wenn der Wind zu stark wird. Dann droht die Eisyacht zu stark zu steigen. Man kann Halsen und Wenden fahren, aufgestoppt wird gegen den Wind und bei zu tief gefahrenen Kursen kommt man auch zum Stehen. Eine Bremse gibt es nicht.
Seit 400 Jahren unterwegs
Eissegeln gibt es nachweislich seit mindestens 400 Jahren. Die ersten Eissegler waren holländische Fischer, die unter ihre Boote Kufen montierten, um mit diesen Schlitten viele Kilometer über das Wattenmeer zum Fischfang und abends wieder nach Hause zu segeln. In den baltischen Republiken und bei uns gibt es das Eissegeln seit weit mehr als 100 Jahren.
Die Eissegler-Klassen entstanden 1932, als Erik von Holst den XVer konstruierte.
Als Baumaterial kommt beim XV-Segelschlitten Holz zum Einsatz. Kohlefasern und GFK sind nicht erlaubt. Die Kufen sind aus Stahl, früher wurde hier auch Bronze verwendet. Die Segelfläche des XV-Eissegelschlittens (Mindestgewicht: 205 kg) beträgt bei einer Rumpflänge von 7,50 m und 4,20 m Breite 15 Quadratmeter, die Masthöhe 7,20 m.
Der 1894 in Estland geborene Erik von Holst gründete 1940, also in dunkelster Zeit, auch die Baltische Segler-Vereinigung in Deutschland, dessen Kommodore er bis 1945 war. Über 200 Yachten wurden seinerzeit in kürzester Frist gebaut.
Wenn der DN-Schlitten zu klein wird
Einen XVer zu segeln ist ein Gemeinschaftsprojekt, da allein schon für das Aufriggen viel Kraft gebraucht wird. Für den Transport einer Eisyacht ist ein geeigneter Trailer unumgänglich. Zu empfehlen ist diese Eisyacht vor allem Seglern, die sich im relativ engen DN-Schlitten nicht mehr wohl fühlen, aber noch die nötige Power zum Eissegeln haben.
Der DN-Schlitten, hier zu Lande weiter als der XV verbreitet, gleicht äußerlich einer etwas zu flach geratenen, vorn angespitzten sargähnlichen Kiste. Das Segelgerät entstand 1937 auf Initiative der amerikanischen Tageszeitung Detroit News – deshalb der Modellname DN. Die Ausschreibungsbedingungen für das Segelgerät lauteten: von jedermann im Selbstbau herstellbar, preiswert und mit dem Auto zu transportieren. Als Baumaterialien zugelassen sind für den Rumpf Holz (GFK-Verstärkungen sind erlaubt), Stahlkufen und ein Segel aus gewebtem Segeltuch (Polyester/Dacron, 280 Gramm). Die Ausrüstung muss handelsüblich sein.
Der Einstieg in den DN ist für Ältere unbequem, und selbst jüngere, aber mehr als 1,85 Meter große Menschen müssen sich ganz schön verrenken, um Rumpf und Gliedmaßen einigermaßen geordnet in dem rund 50 cm breiten Segler liegend unterzubringen. Die neue schalenförmige, formverleimte und runde Cockpitwanne macht den gesamten Rumpf verwindungsfreier, stabiler und noch härter als bisher; das macht auch das Liegen ein bisschen bequemer.

Die Wetterlage: ungewiss
Eissegler sind hart im Nehmen. Auch wenn sich durch Fahrtwind und Minustemperaturen Eiszapfen an den Bärten bilden oder die Mimik durch die klirrendkalte Gesichtshaut eingeschränkt ist. Allerdings gibt es eine Bedingung, die sie doch brauchen – das Eis. Und wo das zu finden ist, hängt naturgemäß von der Wetterlage ab. Oft weiß man beim Eissegeln in Deutschland am Mittwochnachmittag noch nicht, wohin man zwei Tage später unterwegs sein wird, wenn am Wochenende eine Regatta oder gar nationale oder internationale Meisterschaft ansteht. Die Lebenspartner werden es erdulden müssen.
Da es in unseren Landen mit einer sicheren Eislage oft nicht so einfach ist, muss der Interessierte gelegentlich hunderte Kilometer fahren, um in Polen (Masuren), Russland, Schweden, Finnland oder im Baltikum zugefrorene Seen zu erleben. Aber eine ausgeklügelte Telefonkette und die Kommunikation per Internet sorgen dafür, dass doch alle rechtzeitig am Start sind – und am Montagmorgen wieder am Arbeitsplatz.
Und im Netz kann man sich über den Link Icereports schlau machen, wo es zurzeit zugefrorene Seen oder Buchten in Europa gibt.
Segeln nur mit Haftpflicht
Das alles gilt nur für Regattafreaks, denen die Klassenvereinigungen neben dem Erwerb eines Eissegelscheins auch eine spezielle Haftpflichtversicherung vorschreibt. Die Internationalen Deutschen Meisterschaften 2018 in der XV-Klasse werden von der Eisseglergemeinschaft Ratzeburger Seen und der Eissegler-Gemeinschaft Steinhuder Meer vom 4. bis 10. Februar ausgerichtet. Anschließend segeln die XVer dann auch gleich ihre Europameisterschaft aus. Mit am Start ist das deutsche Duo Michael und Oliver Oswald. Aufgrund der notwendigen Eissicherheit steht der Austragungsort noch nicht fest.
Mit Eissegler Michael Oswald, aktiv in der XV-Segelklasse und Vorstand der internationalen Monotype-XV Ice Yacht Racing Association, im Gespräch mit float.
Bei den Titelkämpfen im vergangenen Jahr in Schweden belegten sie den 15. Platz. Gemeldet sind auch die Vorjahresdritten Olev Oolup und Andrus Padu. Acht Jahre ist es her, dass das letzte Mal auf deutschen Gewässern die Europameisterschaften ausgetragen wurden. Damals wurde wegen der mauen Witterungsbedingungen in den Niederlanden das Rennen auf den Plöner See in Schleswig-Holstein verlegt.


Go east!
Gibt es infolge der milden Witterung bei uns keine zugefrorenen Seen, weicht man regelmäßig nach Schweden oder Polen aus. So werden die Europameisterschaften der XV-Klasse dieses Jahr in Estland ausgetragen, wie Commodore der Klassenvereinigung auf der Website mitteilt. Die deutschen Eissegler bleiben, auch auf fremdem Boden, Ausrichter der EM. Die DN-Eissegler sind ebenfalls im Baltikum unterwegs: Die Meisterschaften werden in Siaulai in Litauen auf dem Rekyva-See ausgesegelt.
Weitere wichtige Termine in der Eisseglerszene sind die Meisterschaften der Jüngsten. Denn für Kinder und Jugendliche gibt es inzwischen einen speziellen Schlitten: den Eis-Optimisten. Entsprechend segeln die DN-Junioren und die Ice-Optimisten ebenfalls vom 5. bis 9. Februar 2018 ihre Meister aus. Ende Februar, Anfang März trifft sich die Gemeinde dann in Estland zur Weltmeisterschaft der Eissegler.
Zeitweilig war das Eissegeln in Deutschland sogar museumsreif. Bis Ende 2015 konnte man sich im europaweit einzigartigen Eissegelmuseum in Rangsdorf seine Zeit vertreiben. Das Anfang 2016 nach 15 Jahren Betrieb geschlossene Museum südlich von Berlin liegt an historischer Stelle: Einst trafen sich auf dem 250 Hektar großen Rangsdorfer See die Schlitten des Tepperschen Silberstreifentyps, also Konstruktionen mit starrem Segel wie der legendäre „Feuervogel“ von Heinrich von Schulmann. Aber auch 12er, XV-Monotyp, Eispiraten und DN-Schlitten waren hier zu besichtigen.
Im letzten Jahr hat‘s geklappt mit dem Eis, wie das Eissegler-Video vom Februar 2017 auf dem Rangsdorfer See bei Berlin zeigt. Danke an Throsi.
Eissegeln in Deutschland
International Monotype-XV Ice Yacht Racing Association
Michael Oswald
Ostenmeer 3, 31515 Steinhude am Meer
www.monotype-xv.org
Deutsche DN-Eissegel-Flotte
Bernd Zeiger
Tel. (0431) 37 41 52
www.eissegeln.org
www.fb.com/Eissegeln-DN-Germany-197399666951936
IDNIYRA Europe
International DN Ice Yacht Racing Association
Steckbrief
Baumaterial | Holz (Kohlefasern und GFK sind nicht erlaubt) | |
Kufen | Stahl (früher auch Bronze) | |
Segelfläche | 15 qm | |
Rumpflänge | 7,50 m | |
Breite | 4,20 m | |
Masthöhe | 7,20 m | |
Mindestgewicht | 205 kg |
Fachchinesisch
Die Kufen bezeichnet man als Läufer. Die Läufer müssen neben dem richtigen Schliff auch den richtigen Sprung (leicht hochgezogener Verlauf der Schneide vorn und am Ende der Kufe) aufweisen. Das „Querholz“ ist die Planke.
Die Großschot ist bei einer Eisyacht immer mit einer Schotbremse fest belegt. Nur wenn der Steuermann oder Schotmann mit dem Fuß auf dem Pedal steht, kann gefiert werden. Wer hier nicht ständig aufpasst, macht einen Korkenzieher, er kreiselt um sich selbst oder kentert gar, kippt also um.