Oft kommt erst richtig Schwung in technische Entwicklungen, wenn die Politik Änderungen verordnet. Dann werden Prototypen für die industrielle Produktion getestet und schließlich zu Serienprodukten weiterentwickelt. So könnte es auch bald im globalen Seetransport sein. Denn die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) der Vereinten Nationen hat strengere Richtwerte für den Schwefelgehalt im Treibstoff verordnet.
Ab 2020 darf der Kraftstoff nur noch einen Schwefelgehalt von maximal 0,5 Prozent beinhalten. Für 2050 wird sogar eine Reduktion der Kohlendioxid-Emissionen von Schiffen um mindestens die Hälfte gegenüber den Werten von 2008 angestrebt. Davon sind die rauchenden Riesen der Seefahrt weit entfernt.
Die rotierenden Zylinder sind 30 Meter hoch
Rotorsailing, also das Nutzen von Windenergie durch rotierende Metallzylinder, könnte eine Lösung für die Frachtschifffahrt sein. Norsepower ist als Rotorenhersteller dabei ganz vorne in der Entwicklung. Seit Ende August testet das finnische Unternehmen seine aktuell größten Metallsegel auf dem Maersk-Tanker Pelican. Installiert sind Rotorsails mit 30 Metern Höhe und fünf Metern Durchmesser. Die dänische Reederei Maersk Tankers will seine Flotte, die 164 Schiffe groß ist, künftig mehrheitlich mit diesen Rotoren ausstatten.
Mit den klassischen Segeln haben die rotierenden Zylinder wenig gemein. Das Prinzip, das dieser Technik zu Grunde liegt, nennt man Magnus-Effekt. Wenn der Wind auf das sich drehende Rotorsegel trifft, beschleunigt sich der Luftstrom auf einer Seite des Zylinders. Und er verlangsamt sich auf der gegenüberliegenden Seite. Die Differenz in der Geschwindigkeit des Luftstroms führt zu einer Druckdifferenz. Das erzeugt eine Auftriebskraft, die senkrecht zur Windströmungsrichtung steht. Um den Vorgang zu starten, werden die Rotoren zu Beginn durch einen Elektromotor in Drehung versetzt.
Der so entstehende Schub kann als Antrieb genutzt werden. Die Technologie, die auf der Flettner-Technologie basiert und als Flettner-Rotor bekannt ist, wurde ursprünglich vom finnischen Ingenieur Sigurd Savonius erfunden und später von Anton Flettner bei einer Atlantiküberquerung 1926 demonstriert.
Zehnmal effizienter als Segel
Nach Angaben von Norsepower sind die Rotorsegel rund zehnmal effizienter als ein herkömmliches Segel. Denn das System erzeugt mehr Auftrieb bei viel kleinerer Segelfläche. Der Windantrieb startet einfach per Druckknopf von der Kommandobrücke des Schiffs. Sobald Windkraft zugeschaltet ist, können die Hauptmaschinen gedrosselt werden. Das Schiff fährt so bei gleicher Geschwindigkeit und Fahrzeit mit weniger Kraftstoff und Emissionen.
Bei Norsepower schätzt man, dass sich die Kosten für Treibstoff so um fünf bis 20 % verringern lassen. Beim Tanker Maersk Pelican erwartet der finnische Rotorenhersteller Einsparungen von sieben bis zehn Prozent. Das bedeutet: Weniger Schweröl wird verbrannt. Und so werden weniger Schadstoffe wie Kohlendioxid, Schwefeloxide, Stickoxide sowie Feinstaub und Ruß in die Luft geblasen.
Beunruhigende Umweltbilanz für Schiffe
Knapp 13 Prozent des Schwefeldioxid-Ausstoßes und etwa drei Prozent der Kohlendioxidemissionen weltweit stammen von Schiffen. Nach einer aktuellen Studie, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Nature Communications, verursacht die weltweite Schifffahrt derzeit etwa 400.000 vorzeitige Todesfälle. Rund 14 Millionen Asthma-Erkrankungen von Kindern kommen nach dieser Studie noch hinzu.
Gemäß dem Kreuzfahrtschiff-Ranking von 2018, das der Naturschutzbund NABU Ende August 2018 veröffentlicht hat, haben nur sieben von 77 untersuchten Schiffen ihre CO2-Emissionen reduziert. Branchenriesen wie MSC Cruises, Celebrity Cruises und Royal Caribbean haben aktuell im Bereich Umweltschutz kaum etwas zu bieten.
Hinzu kommen die Klimaschäden durch den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß. Nach Angaben des Bundesumweltamts verursacht eine Tonne CO2 Klimaschäden von rund 156 Euro. Hochgerechnet auf die globale Seeschifffahrt liegen die Schäden somit bei rund 120 Milliarden Euro pro Jahr. Nach diesen Befunden scheint es allerhöchste Zeit, Alternativen bei den Antrieben im Seetransport nicht nur zu entwickeln, sondern auch anzuwenden.
Erste Fähre mit Rotorsails fährt
Im April 2018 hat Norsepower die Fähre Viking Grace, die zwischen Finnland und Schweden verkehrt, mit 24 Meter hohen Rotorsails ausgestattet. Ein Jahr lang misst der Hersteller jetzt den Verbrauch und die Treibstoff-Ersparnis der Fähre. Dann wird verglichen, bevor Norsepower handfeste Zahlen aus der Praxis nennen kann. Nach ihren Berechnungen soll das Schiff, das mit flüssigem Erdgas betrieben wird, mit den Rotorsegeln etwa 300 Tonnen Treibstoff im Jahr einsparen.
Am effektivsten ist es, wenn die Metallsegel von Anfang beim Bau des Schiffs eingeplant werden. So lassen sich das Deck, die gesamte Technik und die Elektronik darauf abstimmen. Der erste Neubau der finnischen Reederei Viking Line soll Ende 2020 ausgeliefert werden. Dieses Schiff trägt dann zwei 24 Meter hohe Rotorsails.
Segel benötigen für den Vorschub allgemein Wind. So ist es auch bei den Rotorsails. Am effektivsten ist Seitenwind, sprich halber Wind. Denn kommt der Wind aus anderen Richtungen, verringert sich der Vortrieb. Die Schubkraft hängt also vom Wind, der Größe der Rotorsegel und dem Einsatzgebiet ab. Gleichmäßige und konstante Winde wie im Nordatlantik sind günstige Bedingungen.
Wie eine Litfass-Säule an Deck
Für die Rotorsails braucht es Platz an Deck. Am besten geeignet sind daher Tanker, aber auch Fähren. Kreuzfahrtschiffe oder Massengutfrachter fahren theoretisch ebenfalls gut mit Rotorsails. Schwieriger ist bisher die Montage auf Containerschiffen. Die finnische Viking Line, in diesem Jahr Gewinner des WWF Climate Solver Awards, gehört hier zu den Vorreitern.
Die Finnen statten nicht nur Schiffe mit Flüssiggas-Antrieb oder Rotorsails aus. Sie beteiligen sich auch an einem Pilotprojekt, das den Einsatz von Brennstoffzellen auf Schiffen testet. Das macht alternative Antriebe attraktiv für die Reeder. Neben flüssigem Erdgas gehören dazu Elektroantriebe, zum Teil mit Brennstoffzellen, das Lenkdrachensystem von Skysails und das extravagante Projekt eines Segelschiffs ohne Segel namens Vindskip.
Boom für Green Shipping
Nicht allein die Finnen tüfteln an Lösungen mit Flettner-Rotoren. In den Niederlanden will das Familienunternemen Switijnk Shipping mit einem innovativen Flettner Freighter aus der Feder von C-Job Naval Architects seine Handelsschiffflotte erweitern. Der Rumpf ist auf diese Technologie abgestimmt. Das 8,5 Bruttoregistertonnen große Schiff fährt mit zwei Norsepower-Rotorsegeln.
direkt zum VideoIn Deutschland transportiert der Windkraftanlagen-Hersteller Enercon seine Windräder auf einem mit Flettner-Rotoren ausgerüsteten Schiff. Die TU Berlin entwickelt das Schubboot Elektra, das mit grünem Wasserstoff und elektrischem Antrieb von Berlin nach Hamburg fahren soll.
Das Forschungsprojekt Marigreen zwischen Deutschland und den Niederlanden hat einen Eco-Flettner-Antrieb entwickelt. Die Prototypen fahren seit Juni 2018 auf einem Forschungsschiff. Das Ziel des Projekts: Die maritime Wirtschaft soll sich einstellen können auf zukünftige Anforderungen in Sachen Umweltschutz und Klimaschutz – durch Ressourcen- und Energieeffizienz in der Schifffahrt. Rotorsails haben hier offensichtlich den Dreh raus.