In der Wirtschaftswunder-Epoche werden Freizeit und Mobilität rigoros demokratisiert. Ab den 1950er-Jahren sollte sich jeder seinen Traum vom Unterwegs-Sein erfüllen können – zu Lande mit der Isetta, zu Wasser mit dem Conger.
Ein kleines Einsteigerboot für den aufkommenden Boom schwebte der Traditionswerft Blohm+Voss vor, die sich mit dem Segelschulschiff „Gorch Fock“ sonst in ganz anderen Dimensionen bewegte. Die Hamburger Werft erwarb die Baulizenz einer kleinen US-amerikanischen Kunststoffjolle mit dem Namen Hawk. Im Januar 1964 stellte man die erste Einheit auf der Hamburger Bootsausstellung der Öffentlichkeit vor.
Als Botschafter fungierte Ulli Libor, der damalige Deutsche Meister und spätere Silbermedaillengewinner im Flying Dutchman. Nur: Das Ding segelte schlecht und kenterte leicht. Libor konnte der US-Jolle nicht viel abgewinnen. Nach 18 Hawk-Jollen war Schluss.

Gemeinsam mit Karl-Heinz Lehmann, damals Abteilungsleiter der Kunststoffsparte bei Blohm+Voss, und Werftmitarbeiter Klaus Felz, später Leiter von Moritz-Segel, entwickelt man noch im gleichen Jahr einen eigenen Entwurf – mit größerer Stabilität, mehr Sicherheit und besseren Segeleigenschaften. Die Hawk-Jolle mausert sich zum Conger, und die ersten Jollen werden ausgeliefert.
Die Wirtschaftswunder-Jolle
Mit hohem Werbeaufwand wird bei der neuen Jolle das unverkennbare Äußere herausgestellt. Sie hat ein erhöhtes Deck in Form eines – je nach Betrachtungsweise – verschließbaren großen Stauraums oder einer kleinen Schlupfkajüte. Und das in den Farben Blau, Rot oder Grün und damals modischen Kombinationen wie Grün/Orange.
Als die Conger-Jolle auf der Bootsausstellung 1965 der neugierigen Öffentlichkeit präsentiert wird, beginnt in Hamburg die Erfolgsgeschichte. Die Jolle wird, so der Journalist Erdmann Braschos, zur Wirtschaftswunder-Jolle.
Tageszeitungen und sogar Wochenmagazine berichten über das neue Segelboot. Außerdem: Die damals 4.985 Mark teure Wanderjolle kann problemlos von einem VW Käfer gezogen werden – von einer Isetta wahrscheinlich nicht. Die Werft errichtet zur Produktion der Jolle eine eigene Fließbandstraße.

Schon nach wenigen Jahren sind über 2.000 Jollen ausgeliefert. Es wird sogar eine Lizenz an Kawasaki nach Japan vergeben. Ein weiterer Clou, um die Verkaufszahlen anzuheizen: Die Werft stellt vom Bodensee bis zu den Friesischen Inseln Vorführboote zur Verfügung.
Viele norddeutsche Segelclubs richten Regatten mit großen Startfeldern aus. 1971 wird die Klassenvereinigung gegründet und die Klasse als „Werftklasse“, ab 1975 als „Nationale Klasse“ vom Deutschen Segler-Verband anerkannt. Die erste Deutsche Meisterschaft findet 1977 auf dem Dümmer See statt.
Holpriger Neustart
Das Märchen mit Blohm+Voss endet 1971. Durch die aufkommende Werftenkrise wird die Traditionswerft dem Thyssen-Konzern angegliedert, die werfteigene Kunststoffabteilung wird geschlossen. Abteilungsleiter Lehmann macht sich selbstständig und gründet die Fiberglas Technik Lehmann & Sohn GmbH in Neu Wulmstorf nahe der Hansestadt.

Die Lizenz geht aber zunächst an Condor Yachtbau, da sie für Lehmann zu teuer ist. Das ändert sich, als die Verkaufszahlen sinken und Condor die Lizenz abgeben möchte. Lehmann greift zu, das „Kind“ hat in die Familie zurückgefunden.
Mit seinem Partner Gottfried Jakob wird die Jolle behutsam weiterentwickelt, der alte Anspruch aber übernommen. Der Conger soll eine einfach zu bedienende, unsinkbare Familienjolle mit gemäßigten Regatta-Genen sein.
Weiter geht’s
Die Erfolgsgeschichte dieser ungewöhnlichen Zwei-Personen-Jolle ist längst nicht zu Ende. Auch heute noch besteht eine enge Bindung innerhalb der Klasse. „Bei den Meisterschaften der Conger liegt immer eine ganz besondere Stimmung in der Luft“, sagt Katrin Adloff, die Vizepräsidentin des DSV mit dem Geschäftsbereich Wettsegeln, zur Eröffnung der Deutschen Meisterschaft der Conger in Plön 2022.

Dem schließen sich Julia Pechstein, fünffache Deutsche Meisterin der Klasse, und ihr Partner Wolfgang Goeken an. Beide haben sich über die Conger-Klasse kennengelernt. Goeken kommt ursprünglich aus Paderborn, segelte seine erste Meisterschaft 1986, gewann diese elf Jahre später selbst und stieg danach als Co-Segler und Ehemann zu Pechstein ins Boot.
Beide schätzen am Conger, dass er so einfach sei – und dass es daher bei dieser Jolle auf Bootsbeherrschung und Taktik ankäme. „Ein supertolles Material spielt nicht die Hauptrolle. So ist es allen Seglern schnell möglich, dieses Boot zu segeln.“ sagt Pechstein im Gespräch mit float. „Außerdem ist er günstig. Wir haben durch die Familienfreundlichkeit auch eine hohe Frauenquote in der Klasse. Deswegen haben wir viele, die sich beim Segeln gefunden haben.“
Auch bis ins hohe Alter fühlt man sich auf der gutmütigen Conger wohl, wie der mittlerweile 72-jährige Conger-Veteran Carsten Hillmann mit Partnerin Birgit Kirchner beweist, den wir in Plön ebenfalls treffen.
Und hoch hinaus
Eine ebenso launige wie visionäre Fußnote für Fantasten lieferte Frank Schönfeldt bei der Meisterschaft in Plön. Der 16-fache Deutsche Meister im Pirat und Gründer der Segelmacherei Clown Sails (Inhaber ist heute der 5-fache Congermeister Julius Raithel) präsentierte den letzten Stand seines Regnoc-Projekts: Der Conger soll auf Foils fliegen.

Bei einer Showeinlage vor der Zuschauerkulisse in Plön flog Frank Schönfeldt auf seinem foilenden Conger an der jubelnden Menge vorbei. Was zum ersten Mal ein paar Wochen vorher in Bad Zwischenahn gelungen war, wiederholte er nun in auf dem großen Plöner See. Angezogen von zwei Motorbooten mit reichlich PS hob sich der Rumpf tatsächlich aus dem Wasser und flog über die Wellen.
Wie das allerdings jemals unter Segeln klappen soll, bleibt vorerst sein Geheimnis. Aber wer Schönfeldt kennt, weiß, dass er alles tun wird, das Projekt zum Erfolg zu bringen.

Dazu muss zunächst der Mast im Toppbereich ordentlich verstärkt werden, damit er bei den zu erwartenden Kräften nicht wegknickt. Für weitere Power wird ein Code Zero sorgen, dessen Segelhals am schon fest installierten Carbonrüssel angeschlagen wird. 8,5 Knoten Geschwindigkeit wurden errechnet, dann sollte sich der „Regnoc“ von selbst auf seine Foils erheben.
Next stop: America’s Cup
Vielleicht kein Glaubensbruder, aber ein aktiver Schönfeldt-Unterstützer ist Foil-Papst Martin Fischer. Der Bootsingenieur hat die italienische America’s-Cup-Yacht von Prada/Pirelli mitdesignt. Nun entwirft er für den America’s Cup 2024 als Chefdesigner die Ineos Britannia, damit Sir Ben Ainslie endlich den Cup nach England holen kann.
Dieses Schwergewicht der Regatta-Szene muss sich doch für den Foil-Conger erwärmen! Auf eine Initiativ-Mail der Regnoc-Crew kommt tatsächlich eine Antwort: „Männer, das hört sich nach Alkohol und Drogen an, aber das hört sich gut an.“ Wobei Frank Schönfeldt zunächst eher davon überzeugt war, dass die Antwort eine Absage sei. „Zusage? Mensch, das ist die geilste Absage überhaupt! Das hört sich nach Alkohol und Drogen an. Wo ist da die Zusage?“
Drei Wochen später ruft Martin Fischer an, er möchte die beiden gern kennenlernen. Man trifft sich auf einer Messe. „Da sitzt dann der große Manni Fischer vor mir und sagt: Geiles Projekt! Wo ist hier der Conger? Wir sind zum Conger-Stand…“, erinnert sich Frank Schönfeldt. Fischer am Stand: „Eijeijeijei.“ Gelächter. „Das ist aber mal ’ne richtige Aufgabe. Dann mal los!“ Und los ging es.
Vor 50 Jahren für den kleinen Geldbeutel konzipiert, bleibt der Conger heute noch für Freizeitspaß und Foilfantasien gut.