Plastikmüll in den Meeren ist ein Problem, das nicht mehr zu unterschätzen ist. Nach Schätzungen von Experten sind es inzwischen mindestens 140 Millionen Tonnen Müll, die für Jahrhunderte im Meer verbleiben. Und jährlich kommen bis zu zehn Millionen Tonnen hinzu.
Zudem wird das Plastik in winzig kleine Partikel „zersetzt“, die so über die Fische in die menschliche Nahrungskette gelangen. Nach neusten Untersuchungen bindet dieses Mikroplastik deutlich mehr Schadstoffe in Fluss-Sedimenten, Boddengewässern und der Nord- und Ostsee als bisher angenommen.
Was haben Seekühe mit Schleswig-Holstein zu tun? Das fragte vor einiger Zeit eine Moderatorin des Norddeutschen Rundfunks in einem Bericht über das neueste Projekt einer Lübecker Werft in Zusammenarbeit mit der Umweltorganisation One Earth – One Ocean. Nichts, bis auf den Namen, der jetzt den Rumpf eines besonderen Katamarans ziert, der demnächst in Sachen Plastikmüll unterwegs sein wird.
Aufgabe des zehn Meter langen, aus Aluminium gebauten Prototyps mit besonders geringem Tiefgang ist es, küstennahe Regionen und Flussmündungen von Plastikmüll zu befreien und diesen gleichzeitig zu analysieren. Da der Katamaran in fünf Teile zerlegbar ist, kann das Wasserfahrzeug per Container einfach an viele Einsatzgebiete in aller Welt transportiert werden.
Stolz auf den Förderpreis
Till Schulze-Hagenest, Chef der seit 1979 bestehenden Werft Lübeck Yacht Trave Schiff GmbH, hat das Schiff mit seinen Mitarbeitern konstruiert und gebaut. Das sei eine große Herausforderung gewesen, sagt er, denn das erste Schiff eines neuen Typs erfordere immer ganz besondere Sorgfalt. Um rechtzeitig zur lange geplanten Taufe fertig zu werden, wurde es zuletzt tage- und nächtelang nach und nach zusammengesetzt. „Sechs Monate konzentrierte Arbeit. Das kriegt man sicher noch schneller hin“, so Schulze-Hagenest. „Aber bei einem Prototyp dauert es halt ein bisschen länger.“ Besonders stolz ist man bei der Werft, vor kurzem einen mit 6.000 Euro dotierten Förderpreis erhalten zu haben, der an vorbildliche Handwerksbetriebe verliehen wird.
Ende September wurde das Schiff als Höhepunkt des 35. Deutschen Seeschifffahrttags in Kiel getauft. Taufpatin war Gräfin Annunziata Hoensbroech, Vorsitzende des Kuratoriums der Röchling-Stiftung, die die Entwicklung dieses Projekts und den Bau seit mehreren Jahren unterstützt. Nun wird die „Seekuh“ fertig ausgerüstet und dann im Frühjahr in Dienst gestellt.
Mit Netzen die Meere nach Müll abgrasen
Anders als bei den Seeelefanten, die den Meeresboden in aller Ruhe mit ihren riesigen Lippen abgrasen, nehmen speziell entwickelte Netze zwischen den Rümpfen des Katamarans Unrat auf. Die speziell entwickelten Netze nehmen vor allem Plastik auf, das in der Strömung bleibt, aber keinen Beifang. Im Einsatz wird so langsam gefahren, das nicht versehentlich Tiere aufgenommen werden. Fische sollen jederzeit oben, unten oder an den Seiten entweichen können. Der Müll wird dann an Deck in großen Sammelcontainern gelagert.
Die Idee für das Gefährt stammt von Günter Bonin vom Verein One Earth – One Ocean. Bonin zeigte während der Kieler Woche das kleinere Schwestermodell „Seehamster“, das auf der Förde schon erfolgreich im Einsatz ist. Bei der „Seekuh“ soll das Müllsammelsystem nun genauso funktionieren, nur eben mit einer größeren Netzkonstruktion zwischen den beiden Rümpfen.
Die Kapazität der „Seekuh“ reicht für immerhin zwei Tonnen Plastikmüll pro Fahrt. Das Schiff soll dort eingesetzt werden, wo weltweit der meiste Müll im Wasser landet: in Asien. Die Organisation One Earth – One Ocean plant, dass in den kommenden Jahren Dutzende der Müll sammelnden Katamarane eingesetzt werden.
Nächste Ausbaustufe ist der „Seeelefant“
Die Modelle „Seehamster“ und „Seekuh“ sollen erst der Anfang dieses interessanten Projekts sein. Ein weit größeres Schiff mit dem Namen „Seeelefant“ ist schon in Planung. Man schätzt, dass der umgebaute Öltanker mit Feuerungsanlage in fünf Jahren einsatzbereit sein könnte. Mit dieser mobilen Müllabfuhr könnte man dann weltweit in Häfen und Hafenstädte fahren.
Die Rohbaukosten, so ist auf der Webseite des Auftraggebers One Earth – One Ocean zu erfahren, seien gedeckt. Was noch fehlt, sind Spenden für die Ausrüstung: Außenbordmotoren, Navigationsgeräte, die Elektrische Ausrüstung sowie Leinen und Sicherheitsequipment.
Die Organisation ist an weiteren Aktionen gegen die Verschmutzung der Weltmeere beteiligt. So will man durch die weltweite Entnahme von Wasserproben und deren Analyse Karten erstellen und veröffentlichen, die den globalen Verschmutzungsgrad aufzeigen.
Die Seekuh wurde an der Trave, schräg gegenüber der Lübecker Altstadt gebaut, in der kleinen Werft namens Lübeck Yacht Trave Schiff GmbH. float hat die Werft besucht und mit dem 41-jährigen Werftchef Till Schulze-Hagenest gesprochen.
Interview mit Werftchef Till Schulze-Hagenest:
float: Wie wurden Sie Werftchef?
Till Schulze-Hagenest (lacht): Ich habe in Southampton/England Navel-Architecture (Schiffbau-Ingenieur) studiert und habe dann hier in Deutschland angefangen zu arbeiten. Dann ergab es sich, dass man mir eine kleine Werft angeboten wurde. Das Angebot habe ich angenommen.
Worauf wollten Sie sich im Schiffbau spezialisieren?
Mein Plan war zunächst Segelboote und Yachten zu bauen, das habe ich schließlich studiert. Ich hatte auch nicht gedacht, dass ich so viel mit Stahl und Aluminium zu tun habe.
Ihre Werft ist spezialisiert auf den Bau von Aluminium-Rümpfen wie es bei der Seekuh der Fall ist. Was macht Aluminium so interessant?
Aluminium ist für den Bootsbau deshalb interessant, weil es ein festes, sehr widerstandsfähiges und relativ leichtes Material ist. Die Boote werden im Schweißverfahren hergestellt. Es ist auch ein sehr gutes Material für Einzelbauten oder kleine Serien, weil keine Formen angefertigt werden müssen.
Wer sind Ihre Auftraggeber?
Ganz viele verschiedene Leute: Wir arbeiten für Behörden von der Marine bis zum Wasserschifffahrtsamt, wir haben für die Polizei gebaut und es kommen Privatleute zu uns. Wir haben viele Kunden, die Projekte verwirklichen wollen und dafür einen Partner suchen, der die Produktion übernimmt. So war es auch beim Seekuh-Projekt.
Wie hat sich Ihre Zusammenarbeit mit One Earth – One Ocean ergeben?
Der Konstrukteur Jörg Albrecht hat uns gebeten ein Angebot für das Projekt zu erstellen, Auftraggeber mit Sitz in Berlin war One Earth – One Ocean. Die haben viele gute Ideen und wollen noch viel größere Einheiten als die Seekuh bauen. Das Ziel von One Earth – One Ocean ist es, Meere zu reinigen. Dafür entwickeln wir nach und nach verschiedene Fahrzeuge.
Wann wird der Prototyp fertig und einsatzbereit sein?
Das Boot schwimmt ja bereits, da muss jetzt noch ein bisschen Ausrüstung angebaut werden. Wir gehen davon aus, dass es nach der endgültigen Abnahme Anfang April fertig sein wird. Es läuft dann als ein in Deutschland entwickeltes und vom Germanischen Lloyd zertifiziertes „Arbeitsboot“ unter deutscher Flagge mit Heimathafen Lübeck.
Die Seekuh soll verpackt in einen Container passen, um an andere Orte der Welt verschifft werden zu können. Wie kann man sich das vorstellen?
Auf den Katamaran, bestehend aus zwei Schwimmkörpern, die quer über drei einzelne Traversen verbunden sind, werden die Deckshäuser montiert. Die einzelnen Komponenten kann man in den 40-Fuß-Container rein- und rausrollen. So ist die Seekuh in ein paar Tagen komplett verpackt und kann per Containerlogistik weltweit verschifft werden.
Der Verein hat bereits Forschungsaufträge für die Ostsee. Das Plastikmüllproblem, worum es ja hauptsächlich bei diesem Fahrzeug geht, ist aber in anderen Erdteilen sehr viel schlimmer ausgeprägt als bei uns.
Der Müll soll in Netzen aufgefangen werden. Wie klappt das? Wie kommt es von den Netzen in die Müllkästen?
Das geht über einen Hebemechanismus. Das ganze Netz wird über Leinen angehoben. An Deck stehen Container, in die der Müll umgeladen wird. Ich denke, dass pro Fahrt ca. 2–3 Tonnen zusammenkommen.
Gibt es noch Probleme in der Umsetzung?
Nein, eigentlich nicht. Mit dem Netz und hat sich hauptsächlich der Verein beschäftigt. Wir haben uns das so vorgestellt: In Industrie-Abfallbehälter, in die ungefähr ein bis zwei Kubikmeter hineinpassen, kann man sicherlich bis zu acht Stück positionieren. Diese werden mit Plastikmüll beladen, der verdichtet werden muss. Man fährt also nicht tagelang, sondern lädt praktisch jeden Tag wieder aus.
Durch den geringen Tiefgang können wir den Müll wie mit einem Bulldozer auf den Strand schieben und dort einsammeln lassen.
Es geht bei dem Konzept der Seekuh darum, den Communites vor Ort Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten. Dann kaufen die sich vielleicht auch eine Seekuh oder leihen sich eine aus.
Der Antrieb des Katamarans erfolgt über Außenborder?
Im Augenblick sind es zwei kommerzielle Außenborder, um die Betriebssicherheit zu gewährleisten. Die Motoren haben ein etwas anderes Getriebe, da das Boot mehr mit Schub unterwegs ist. Die Propeller drehen etwas langsamer. Das Schiff ist sehr wendig, es kann auf der Stelle drehen und perfekt rückwärts gefahren werden. Da es kein Ruder hat, wird es über die Außenbordmotoren gesteuert. So ist auch bis zu einer gewissen Wind- und Wellenstärke eine problemlose Geradeausfahrt gewährleistet bei bis zu zwölf Knoten Fahrt möglich.
Die Überführungsfahrt von Lübeck über die Ostsee nach Kiel war problemlos. Man kann es in Zukunft zu einem selbstfahrenden Fahrzeug ausbauen. Dann könnte es selbstständig bestimmte Routen abfahren, als Flotte auch ganze Gebiete.
Die erste Seekuh ist ein Prototyp. Wird es Folgeaufträge geben?
Günter Bonin, Vorsitzender des Vereins und Ideengeber der „Maritimen Müllabfuhr“, sagt dazu: Wenn die Menschheit von dem Problem des Mülls in den Weltmeeren bedroht ist, dann wird auch Geld da sein.
Es ist nur eine Frage der Wahrnehmung.
Bei der Taufe der Seekuh in Kiel war bei vielen Besuchern deutlich zu spüren, dass sie das Thema etwas angeht. Es waren Schüler anwesend, die in der Schule ein Spendenprojekt gemacht haben. Außerdem hatte ein Privatmann seine Geburtstagsfeier dazu benutzt, Spenden einzusammeln.
Die Seekuh ist eben das erste Projekt, das unabhängig auch von staatlichen Forschungsgeldern ist.
Dieser Neubau wird ausschließlich von Spendern und Sponsoren finanziert. Unter anderem eben von der Röchling-Stiftung, deren Vorstandsmitglied, Gräfin Hoensbroech, das Schiff ja getauft hat.
Und dann sind Sie mit dem Projekt noch geehrt worden …
Ja, genau. Wir haben uns dafür beworben und wurden von der Genossenschaftsbank aus Lübeck gesponsert. Das Preisgeld kommt so auch der Entwicklungsarbeit zugute. Wir wurden schon einmal in Lübeck mit einem Umweltpreis für das Projekt Seekuh geehrt. Das gibt uns in unserer Arbeit Auftrieb, ist Werbung und wir werden bekannt. Und wir fühlen uns in unserer Idee bestärkt, uns in Meeresreinigung zu spezialisieren.
Herr Schulze-Hagenest, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Michael Krieg
Mehr:
www.luebeckyacht.de
www.oneearth-oneocean.com