Eine kurze Auszeit für ganz wenig Geld – zu Corona-Zeiten mit den eingeschränkten Reisemöglichkeiten wird das plötzlich zu einem existenziellen Thema. Das zeigt auch der Bootsmarkt: Im Lockdown greifen viele zu Segel- oder Motoryacht, um das derzeit unerreichbare Ferienhaus durch den Liegeplatz zu ersetzen. Im Ergebnis steigen die Preise, viele populäre Bootstypen sind derzeit rar.
Doch es gibt auch Modelle, die nicht jeder kennt: Ein ebenso günstiges wie kleines Feriendomizil auf dem Wasser ist zum Beispiel die Neptun 22. Obwohl die Kielschwert-Yacht nur 6,80 Meter lang und trailerbar ist, bietet sie bis zu vier Personen Platz. Übernachten kann man sogar je nach Konfiguration mit bis zu fünf Personen! Dazu kommen ihre viel gelobten Segeleigenschaften: Sie gilt als gutmütig und dennoch schnell, die Kielversionen sind sogar eingeschränkt seetüchtig. Und der Typ ist nicht einmal selten: Mehr als 2.000 Exemplare soll es noch geben.

Geboren wurde die Neptun 22 bereits Mitte der 1960er-Jahre: Anton Miglitsch, seinerzeit Formelchef des DSV und ein bekannter Yachtkonstrukteur, zeichnete ein Schiff für Neueinsteiger. Zum Evergreen entwickelte sich der Kielschwerter im Laufe der Jahre, weil die Werft in Rheda-Wiedenbrück (Nordrhein-Westfalen) ihn laufend an die steigenden Bedürfnisse der Kundschaft anpasste. So kamen im Laufe der Zeit ein Hubdach wie bei einem Campingbus, umfangreiche Innenausstattung und eine Badeplattform hinzu.
Die Entwicklungen
Das kuriose Camping-Attribut meldete die Neptun-Werft 1969 sogar als „Hubdach für Boote“ zum Patent an. Ab 1973 konnten Interessenten es ordern. Die Nachfrage entwickelte sich positiv: Von der Neptun 22 Miglitsch wurden rund 100 Boote mit Hubdach verkauft. Wer will, kann heute noch seine antike Neptun mit einem nagelneuen Original-Hubdach für 1390 Euro (zuzüglich Kleinteile) ausstatten.
Auch viele andere Detaillösungen der Bonsai-Fahrtenyacht sind offenbar gut durchdacht: So hat die Bugkoje immerhin 1,98 Meter Länge, sogar die Hundekoje im Salon bietet mit 1,85 Meter noch erträgliches Format für einen Erwachsenen. Und weiter geht die Liste der kleinen, aber für dieses Format überraschenden Extras: Eine Mini-Pantry mitsamt Kühlschrank und Kocher ist ebenfalls optional erhältlich. Ein großzügig dimensionierter Motorschacht erlaubt nicht nur Benzin- oder Elektro-Außenborder, sondern sogar einen Einbau-Diesel.
Die Kehrseite dieser regen Modellpflege: Keine 22 ist wie die andere. Es gibt auf dem Markt Boote mit Hubdach und umlaufender Reling ebenso wie reine Regattaversionen mit spartanischer Innenausstattung. Wer bestimmte Kombinationen wünscht, muss unter Umständen lange suchen – oder nachrüsten.
Gleiten auf dem Plöner See
Wie so oft im Leben, ist auch der Freundeskreis der Neptun 22 über die Attraktivität des variablen Aufbaus noch heute entzweit: Die einen loben, dass das Hubdach sich schnell aufstellen lässt und die Stehhöhe im Salon auf immerhin 1,85 Meter wachsen lässt – die anderen lästern über die „treibende Telefonzelle“. Doch das scheint üble Nachrede zu sein.

Rainer Millies ist der Neptun 22 seit langem treu: Er segelt aktiv auf dem Plöner See, einem Schwerpunkt der Szene. „Boote dieser Art, mit Hub- oder Festkiel bis sieben Meter Länge kannst Du mit der Neptun alle abhängen.“ Diese Einschätzung deckt sich mit der von Dietrich Schneewolf, einem Urgestein der Klasse auf dem Plöner See. Der emeritierte Professor an der Technischen Fachhochschule vertritt die Auffassung, dass der Miglitsch-Riss denen anderer Konstrukteure weit voraus ist. Schneewolf ist von dem Boot, das er 1970 erstmals in der Holsteinischen Schweiz segelte, dauerhaft begeistert: Durch den flachen U-Spant kämen die Boote schnell ins Gleiten. Zehn Knoten und darüber sollen möglich sein, bestätigen mehrere Segler. Nur an der Kreuz gegen Welle müht die Neptun 22 sich – aber wer tut das nicht?
Im Vergleich zu vielen hochbordigen Konkurrenten dieses Formats ist der Rumpf (bei versenkter „Telefonzelle“) geradezu zeitlos schön. Ihre kontinuierliche Beliebtheit spiegelt das wider. Im Mittel sind Gebrauchtboote für ca. 5000 bis 6000 Euro zu haben. Eigner investieren aber teilweise noch sehr viel mehr Geld. So können gut ausgestattete und gepflegte Modelle auch bis zu 10.000 Euro kosten.
Der Backdecker
1973 überarbeitete Lothar Leichtfuß den Miglitsch-Riss, indem er ihn ein bisschen „aufblies“: Der Rumpf wurde um 15 cm verlängert: Er maß ab diesem Zeitpunkt 6,95 m und war 2,50 m breit. Zudem fiel der Rumpf nun leicht höher aus. Klar, es ging um Komfort: Man wollte mehr Raum unter Deck. Lediglich die Linien des Unterwasserschiffes blieben unangetastet.

Die Kajüte wurde als „Backdecker“ fast bis an die Seiten ausgebaut. Sie wurde dadurch eckig. Kleiner Nachteil: Durch den verbreiterten Innenausbau wurde das Gangbord derart schmal, dass man nur über das Kajütdach einigermaßen sicher aufs Vorschiff gelangen kann. Dafür gab es unter Deck nun serienmäßig mehr Kopffreiheit: Jede Neptun 22 hatte von da an das Hubdach.