Während Johnny Depp im Mai bei den Filmfestspielen in Cannes reüssierte, fand am anderen Ende des Filmpalasts eine sanfte Revolution auf dem Wasser statt, die sich jetzt auf dem Cannes Yachting Festival für das breite Publikum wiederholt.
Am Jetée Albert Edouard, wo die Superyachten parken, lud BMW im Frühjahr internationale Gäste zum Preview auf ein besonderes Ereignis ein. Jens Thiemer, Markenchef von BMW, Holger Hampf, Head of Designworks, und Christoph Ballin, CEO des neu gegründeten Starnberger Bootsbauers Tyde, präsentierten eine völlig andere Weltpremiere vor der Kulisse von Cannes: Es ist kein Film, sondern eine neue Generation des Boatings.
Drei Partner heben ab
BMW, Designworks und Tyde haben gemeinsam ein Produkt kreiert, das Bootfahren auf eine neue, luftige Ebene heben soll: energiearm, effizient, elektrisch und auf Foils.

Jens Thiemer sagte in seiner Einleitung, dass BMW die Elektrifizierung auch auf dem Wasser fortführen wolle und dafür dieses innovative Konzept entwickelt habe. Der Autohersteller kooperiert schon seit 2017 mit Torqeedo, die BMWi-Batterie für die erste Generation vollelektrischer Autos wurde damals in das Torqeedo-System integriert.
Wer Torqeedo sagt, ist schnell bei Christoph Ballin: Vor 18 Jahren gründete er als Pionier für Electric Boating auf dem Wasser das Startup Torqeedo. Nun will Ballin, der vor drei Jahren bei Torqeedo ausstieg, mit Tyde konsequent den nächsten Schritt gehen und das Elektroboot mit Hydrofoils aus dem Wasser heben. „Nur auf Foils hat ein energieeffizientes Konzept auf dem Wasser eine Zukunft“, sagt Ballin.
„Was bei Rennyachten im Segeln längst Realität ist, findet im Motorbootsegment über 30 Fuß bisher keine Entsprechung, weil die Verdrängung zu viel Energie frisst“, weiß er. Diese Lücke will er als CEO von Tyde nun gemeinsam mit BMW und Designworks schließen. Er will der Bootsindustrie zeigen, was möglich ist in Sachen Nachhaltigkeit: 80 Prozent Energie spart Icon gegenüber einem herkömmlichen Modell.
Mit Musik geht Foilen besser
Und noch eine andere Ikone hatte bei der Präsentation ihren Auftritt: Hans Zimmer, weltbekannter Filmkomponist, war als Special Guest zum Event geladen. Er sorgt auf der Icon für den passenden Soundteppich. Das integrierte Dolby-Atmos-System an Bord spielt raumfüllend die Komposition, die Zimmer geschrieben hat, wenn sich das Boot aus dem Wasser hebt.

Und dann ist es soweit. Hinter dem Leuchtturm an der Hafeneinfahrt gleitet die Icon auf die gespannte Menge zu. Der Bug spitz wie ein Pfeil, der extrem flache Rumpf voll verglast, das Heck breit, das Design futuristisch. Die tragende Strebe, die wie ein Rückgrat vom Bug zum offenen Heck führt, gibt dem Schiff Leichtigkeit. Die bodentiefen umlaufenden Fenster lassen die Icon licht und durchlässig wirken.
13,15 Meter ist sie lang und am Heck 4,50 Meter breit. Sie erreicht auf Foils eine Höchstgeschwindigkeit von 30 Knoten mit dem batterieelektrischen Antrieb. Zwei 100-kW-Elektromotoren von Torqeedo setzen 240 kWh Energie, gespeichert in sechs Batterien des BMW i3, in eine beachtliche Reichweite von mehr als 50 Seemeilen um.
Luxus geht nachhaltig
Geräuschlos schiebt sich die Icon mit dem Heck in die Box und gibt den Blick ins Innere frei. Über das offene Heck gehen wir in den gläsernen Salon, der mit weichflorigem Teppich, Alcantara bezogenen Wänden und samtenen Sitzen ein wohnliches Gefühl vermittelt. Das kühl changierende Türkis und die spiegelnden Flächen verstärken das Empfinden, auf dem Wasser zu sein. Der Blick führt vom Teppichboden direkt auf die Wasseroberfläche.
Das Interieur ist minimalistisch. Drei Sessel, drehbar um 360 Grad, und ein Sofa mit runden Tischchen stehen verteilt im Raum. Ein weiterer steht nahe der Tür, im Zentrum thront der Steuerstand. Mehr nicht. Und auch nicht weniger, denn jedes Möbelstück besticht für sich durch seine Formschönheit. Das sinnliche Erlebnis in diesem Raum ist anders als auf Sportbooten. Ruhiger, klarer, offener und luxuriöser. Man möchte verweilen, lesen, plaudern, etwas trinken.
Holger Hampf von Designworks träumte schon lange davon, ein Elektrofahrzeug mit Hydrofoils zu entwickeln. Als Tochterfirma von BMW entwickelt das Designstudio neue Konzepte, findet Finanzierungen, sucht Unterstützung bei der Entwicklung. „So kommt ein Team zusammen, in dem sehr häufig Tobias Hoffritz im Mittelpunkt steht.“
Tobias Hoffritz leitet als CEO gemeinsam mit Christoph Ballin das Unternehmen Tyde. Er ist für die technische Entwicklung des Boots zuständig. Gemeinsam wollen sie mit diesem Projekt Bootfahren in die Zukunft führen, wie er sagt, es klimafreundlich machen. Er will beweisen, dass Luxus und Nachhaltigkeit sich nicht ausschließen.
Kreislaufwirtschaft voraus
Und wie steht es mit nachhaltigen Materialien? Mit nur 20 Prozent der Energie zu fahren, die ein vergleichbares Motorboot benötigt, ist bereits ein riesiger Schritt, findet Holger Hampf. Das Ziel ist Kreislaufwirtschaft, „dass alles, was verbaut wird, auch wieder ins System zurückgeführt werden kann“, erklärt er.

Unter meiner Hand schwebt sie mit zero emissions aufs Meer hinaus. Bei 17 Knoten hebt sich das Boot sanft aus dem Wasser, bei 20 Knoten foilt es. Der Übergang ist gleitend und weich. Tyde hat sich für ein aktives Foilsystem mit T-Foils (der Name ist von der T-Form abgeleitet) entschieden. Im Bug ein einfaches, im Heck ein doppeltes Foil.

Im Boot ist ein Steuerungssystem verbaut, das wie eine elektronische Flugzeugsteuerung funktioniert. Ein ganz neues Fahrgefühl. Eine sanfte Kurve und eine ebensolche Landung und ich übergebe wieder das Steuer. Ein fantastischer Eindruck!
Von Imoca-Rennyachten lernen
Die Naval-Architektur hat der Superstar unter den Yachtdesignern, Guillaume Verdier, für Tyde umgesetzt. Vier von fünf Imoca-Rennyachten hat er für The Ocean Race entworfen, die AC-75-Rennyachten des America’s Cup tragen seine Handschrift. Die technische Umsetzung der ersten Icon übernahm J&J Design aus Slowenien.
Das an diesem Projekt so viele Experten für Rennyachten beteiligt sind, ist kein Zufall: Der effiziente Rumpf der Icon ähnelt den America’s Cuppern mit dem extrem flachen Rumpf, der geringen Wasserwiderstand bietet. Und der ist wesentlich, um beim Abheben möglichst wenig Energie zu verbrauchen. Doch auch ein foilendes Boot hat manchmal Wellenkontakt, gerade wenn diese höher sind. Darum sei es wichtig, dass der abgerundete Rumpf möglichst wenig plane Fläche aufweist. Denn diese schluckt beim Aufsetzen aufs Wasser zu viel Energie, erklärt Tobias Hoffritz.

Die gesamte elektronische Vernetzung an Bord hat das Team selbst entworfen. Für die Flugsteuerung der Foils haben die Entwickler sich das Startup Oceanflight Technologies hinzugeholt. Mitgründer Jan Stumpf hat bereits Drohnensteuerungen entwickelt und ist nun in Kooperation mit Tyde in die Foiltechnik eingestiegen. Mit ihrem Software-Know-how bringen Oceanflight Technologies die Icon sicher zum Fliegen und Landen.
Was passiert, wenn der Strömungsmoment der Foils doch mal abreißt, weil die Wellen zu hoch sind oder die Technik versagt? Kracht das Boot dann in die Wellen? Nein, versichert Hoffritz. Die 11 Tonnen schwere Icon stoppt nicht abrupt ab. Das hat das Team in vielen erzwungenen Versuchen mit über 25 Knoten Geschwindigkeit testen können. Der Rumpf taucht mit dem Bug ins Wasser, aber die Passagiere spüren das kaum. Denn durch das scharfe Bugdesign entsteht so wenig Widerstand, dass niemand vom Sitz fallen kann.

Premium-Transportation
Üblicherweise brauchen solche Projekte einige Jahre, weiß Hoffritz. Das Icon-Team hat stattdessen nur zwölf Monate für die Entwicklung benötigt. Acht Monate später war der Prototyp im Wasser, der gleich ohne Probleme über 1000 Test-Seemeilen foilen konnte. Vier Monate später liegt die Icon in Cannes am Steg und entspricht bereits zu 90 Prozent dem Serienboot.
Tyde baut gerade eine Produktion in Portugal auf und partnert mit einem Komposit-Unternehmen in Lissabon. Hier entstehen bereits die Flügel und das komplette Foilsystem. Es gibt keine aufwändigen Transporte, was eine schöne Sache sei, findet Tobias Hoffritz im Gespräch mit float.

Gedanklich verortet ist das Projekt in und um Städte am Wasser, wie Venedig oder Stockholm. Dort, wo Hotels sehr nah am Wasser liegen. Die Icon bietet sich als Premium-Transportation-Konzept an. Tobias Hoffritz: „Wir mussten es erst einmal fahren und Erfahrungen machen, um zu wissen, wer die Käufer sein werden.“ Das luxuriöse Konzept wendet sich eher an Rolls-Royce-Besitzer als an den öffentlichen Fährverkehr.
Luxushotels, die ihre Gäste nachhaltig und klimaneutral abholen wollen, sieht der Entwickler als künftige Kunden. VIP-Shuttles in den Yachthäfen können damit Gäste von den Yachten vor Anker abholen. Und sicher wird sich auch der eine oder die andere solvente Privatperson finden, die gerne mit einem nachhaltigen Hightech-Boot auf sich aufmerksam machen möchte.

Während die Icon gerade ihre ersten öffentlichen Gäste transportiert, ist Tyde schon beim nächsten Projekt. 2024 will die Werft einen foilenden Daycruiser, mit Kabine, Dusche und Toilette, auf der boot Düsseldorf präsentieren.
Dieser Text erschien am 25. Mai 2023 erstmals auf float. Aktualisiert am 13. September 2023.