Eine Merry Fisher mit Flybridge? Was die französische Werft Jeanneau dazu veranlasst hat, die eigentlich kompakten Familienbooten vorbehaltene Modellreihe in Länge und Höhe auszubauen, ist klar: Länge läuft. Wir haben kürzlich nun das größte – und höchste – Modell an der französischen Mittelmeerküste kennengelernt, die Jeanneau Merry Fisher 1095 Fly.
Dass Länge läuft, gilt nicht nur für die Rumpfgeschwindigkeit, sondern im übertragenen Sinne auch für die sich wandelnden Wünsche von Menschen, die aktuell über den Kauf eines Bootes nachdenken. 2021 gilt nämlich: Acht Meter sind das, was vor zehn Jahren noch sechs Meter waren: die Einstiegsgröße.
Entsprechend hat auch die Mittelklasse heute Abmaße oberhalb der Zehnmetergrenze. Auch bei Merry Fisher – der Lieblings-Serie der Deutschen, wenn es um Jeanneau-Motorboote geht – wird alles größer. Es geht hin zum waschechten Reiseboot. Aus der so charmanten wie treffenden Beschreibung für diese Boote, „pêche-promenade“ (französisch für Fischen und Promenieren), können wir das Wörtchen „pêche“ getrost streichen.
Länge läuft, und Höhe auch
Nun kommt also die MF 1095 mit Oberdeck, genannt Merry Fisher 1095 Fly. Auf dem Zehn-Meter-Boot geht es zu wie an Bord einer „richtigen“ Flybridge-Yacht. Das Boot kommt zwar aus der Tradition der Tagesboote, ist aber in seiner aktuellen Form ein richtiges Schiff für den Familienurlaub.

Was die Fly-Version gegenüber der 2018 vorgestellten Merry Fisher 1095 – ohne Dachgeschoss, nennen wir sie einfach Coupé – unterscheidet, ist das Mehr an Platz. Eine ganze Etage kommt hinzu. Mit den spektakulär geräumigen Privaträumen ganz unten und den ordentlich dimensionierten Bereichen auf dem Hauptdeck hat sie drei Ebenen, auf denen es sich vortrefflich reisen lässt.
Oben ist alles auf Funktionalität getrimmt
Alles ist zwar eine Nummer kleiner als bei der Schwestermarke Prestige, die für ihre Flybridgemodelle bekannt ist. Aber alles ist da, was man sich wünscht, wenn man auf dem Wasser in der Ober(deck)klasse unterwegs ist. Auf dem Dach der Merry Fisher gibt es von dem einfachen, aber vollständig ausgestatteten Fahrstand den direkten Blick auf das Geschehen im Bugbereich.
Zur Orientierung und Kontrolle dient das Multifunktionsdisplay von Garmin, fürs Vorankommen der Doppelgashebel von Yamaha. Von Yamaha stammt auch das Motorendisplay, das am Außenfahrstand – wie unten beim Hauptfahrstand – als weitere Anzeige verbaut ist.
Oben hat Jeanneau bei der Merry Fisher 1095 Fly alles auf Funktionalität getrimmt. Ein Tisch lässt sich hier, neben der breiten Luke, einsetzen, eine große Liegewiese zum Sonnenbaden für zwei Personen ist auch da. Alle in allem ist das Dachgeschoss der ideale Ort, um beim Blick übers Meer den Apérol, Sundowner oder Schlürschluck zu genießen.
Die Kinder würde ich bei Sturm nicht oben aufs Dach lassen.
Bei dem Nach-Sturm-Wetter, dass wir am Testtag haben, würde ich allerdings nicht die Kinder oben aufs Dach lassen. Denn bei starkem Wellengang rollt das Boot doch merklich – also anders als üblicherweise bei glatter See oder auf Binnengewässern.

Drum geht’s wieder hinunter, über die breite Bordleiter ins Achtercockpit. Wenn das gute Stück nicht benötigt wird, lässt sich die ausgestellte Leiter flach machen und an der hinteren Wand des Deckshauses Platz sparend verstauen.
Ist die Leiter somit aus dem Blick, wird die Größe des Heckbereichs offenbar. Hier, am zentralen Tummelplatz, steht auch die große Sitzbank in L-Form. Sie bietet Platz für fünf Personen, wenn der Tisch montiert ist. Anders als bei der Cap Camarat 12,5 WA und anderen Tagesbooten ist jedoch die Bordbar – mit Kühlschrank, Grill und Eiswürfel-Maschine – nicht unter freiem Himmel platziert.
Inside Merry Fisher
Die Bordküche der Merry Fisher 1095 Fly hat Jeanneau im Salon untergebracht, hinter der dreigeteilten Schiebetür. Hier ist auch ein ordentlich dimensionierter Esstisch untergebracht, um den herum zwei einander gegenüberliegende gepolsterte Bänke stehen. Das Kaffeeplätzchen. Davor ist rechts, ganz klassisch, der Steuerstand.


Das Boot besitzt, wie die von uns direkt nach der Premiere getestete Merry Fisher 895, eine Seitentür direkt neben dem Steuerstand. Damit hat der Steuermensch optimale Bewegungsfreiheit, um über das tiefe Gangbord auch solo anzulegen.
Immer wieder schön zu sehen ist, wie das Bett für unerwartete Gäste in den Salon integriert ist. Bei der Jeanneau Merry Fisher 1095 läuft der Aufbau schneller als beim Bedienen eines Klappsofas.
Die Rückenlehne der vorderen Bank wird dazu in Fahrtrichtung geschoben, der Tisch abgesenkt und das Polster zwischen den Bänken eingefügt.
Der Blick vom Esstisch ist atemberaubend und unverstellt. Die Fensterfront läuft rundum und erfeut das Auge des Bordgasts durch eine 360-Grad-Aussicht. Auch bei enger Kurvenfahrt hat der Steuermensch den kompletten Rundumblick. Nur nach oben gibt es – anders als bei der MF 1095 Coupé ohne Dachgeschoss – das Reinweiß der Decke und kein großes Glasdach.
Drei Zimmer unter Deck
Über zwei Stufen geht es in den offenen Niedergang. Obacht, die erste Stufe kommt recht unvermittelt. Hier treffen wir auf dermaßen viel Wohnraum, dass ich mich wundere, dass den Konstrukteuren dennoch ein äußerlich schlank wirkendes Schiff gelungen ist.
Linker Hand geht die Mittschiffskajüte mit Platz für zwei Personen ab. Geradeaus führt der Weg zur Eignerkajüte. Alles hier ist sehr kompakt, jedoch mit genug Platz für zwei Personen. Auch an den Kleiderschrank wurde gedacht. Eine Schiebetür trennt die Bugkajüte vom öffentlichen Bereich und dem Niedergang.
Rechterhand ist die dritte Kajüte mit weiteren zwei Schlafplätzen direkt unter dem Fahrstand platziert. Doch da ist noch eine Tür. Dahinter befindet sich das Bad mit separater Dusche. Und wieder fällt auf: Länge läuft – auch beim Platzangebot unter Deck!
In Fahrt stets gutmütig
Wir legen ab, die beiden Außenbordmotoren schnurren, während wir auf dem Weg durch den Hafenkanal die Fender einholen. Der Weg übers Deck gestaltet sich backbordseitig, wo das Gangbord deutlich schmaler ist, etwas kniffeliger als auf der geräumigen Steuerbordseite. Vor der Hafenausfahrt liegt der Schwell des Gewittersturms, der gestern über die Küste gefegt ist.

Wir nehmen Kurs hinaus aufs offene Meer, vor uns die gut zwei Meter hohe Dünung. Das Testprogramm abzuspulen erweist sich schnell als illusorisch. Doch wir lernen etwas anderes, viel Wichtigeres kennen: die Seetüchtigkeit des Zehn-Meter-Bootes bei eher unwirtlichen Bedingungen. Selbst bei vergleichsweise hohen Wellen verhält sich die Merry Fisher 1095 Fly stets sehr gutmütig.
Die richtige Motorisierung?
Was uns allerdings am Testtag dann doch Schwierigkeiten bereitet, ist die Motorisierung. Am Heck der Jeanneau arbeiten zwei Yamaha-Außenborder mit zweimal 300 PS. Mit ihnen dauert es immer eine ganze Weile, bis das Boot aus dem Drehzahlkeller steigt und wirklich auf Touren kommt. Einmal im Schwung, fährt sich die Merry Fisher 1095 Fly wirklich sehr gemütvoll.

Ob sich die Kombination mit einem anderen Motorenhersteller anbietet, kann abschließend nicht festgestellt werden. Bei schönem Wetter und nicht allzu viel Seegang sind 600 PS sicher eine mehr als ausreichende Motorisierung. 2018 erreichten wir bei unserem Test in der Bucht von Cannes mit der Fly-losen Merry Fisher 1095 und gleichstarker Motorisierung ohne Mühe 38,6 Knoten. Länge läuft selbstverständlich auch im eigentlichen Wortsinn: Der Rumpf verleiht der Merry Fischer 1095 Fly erhebliches Tempo.


Die beiden Motoren sind hinter der Heckbank zwar unseren Blicken verborgen, aber nicht unseren Ohren. Die Anwesenheit des Duos bleibt akustisch immer präsent. Denn die Geräuschkulisse, die das Paar bietet, ist schon recht laut – und war uns schon 2018 die Erwähnung wert, dass hier 600 Rösser vernehmlich mit den Hufen scharren.
Technische Daten Jeanneau Merry Fisher 1095 Fly
Länge | 10,45 m | |
Breite | 3,37 m | |
Tiefgang | 0,69 m | |
Gewicht | 5,86 Tonnen | |
Motorisierung | 2 x 300 PS | |
CE-Kategorie | B (küstenferne Gewässer) | |
maximale Passagierzahl | 9 Personen |
Messwerte (wie gefahren)
Drehzahl (U/min) | Geschwindigkeit (Knoten) | Verbrauch (Liter/Stunde) |
600 | 1,9 | 4,6 |
1000 | 3,6 | 9,6 |
2000 | 7,4 | 26,1 |
3000 | 8,8 | 50,5 |
4000 | 13,9 | 96,2 |
5000 | 30,4 | 149,4 |
6000 | 36,2 | 200,8 |
Die große Schwester
Das zweite Modell der Baureihe mit Obergeschoss ist die ebenfalls neue Merry Fisher 38 Fly. Hier nennt die Werft das Konzept den „Fokus auf Behaglichkeit und Cocooning“ – das passt für heutige Zeiten, wo man selbst an Land nicht viele Leute treffen kann.
Die MF 38 Fly ist gut einen Meter länger als unser Testboot. Und anders als alle Merry-Fisher-Modelle hat nicht das polnische Designbüro Centkowski & Denert sie gezeichnet, sondern Toni Castro. Allerdings sieht man den Booten ihre (Werft-)Mutter deutlicher an als die individuelle Handschrift der Designer.
Wer ein neues Reiseboot dieser Größe sucht und auch nur mit dem Gedanken spielt, ein Flybridge-Boot zu wählen, bekommt mit der Merry Fisher 1095 Fly sehr viel davon. Vor allem: Der Preisunterschied im Vergleich zur Coupé-Version ist nur gering. Dafür springt das Obergeschoss optisch nicht übermäßig ins Auge und ist auch in Sachen Seitenwind verträglich. Allemal bieten beide Versionen viel, viel Platz fürs Reisen.