Die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) hat endlich den lang erwarteten Untersuchungsbericht zur Havarie des Lotsenschoners No. 5 „Elbe“ vorgelegt. Die Aufarbeitung des Unglücks auf der Unterelbe vor genau zwei Jahren bietet einige Überraschungen. Doch wer die endgültige Erklärung für die Kollision des Klassikers mit dem Frachtschiff „Astrosprinter“ erwartet, wird enttäuscht. Viele Fragen bleiben offen.
So gibt es keine plausible Antwort darauf, warum die „Elbe“ mit 43 Passagieren an Bord am 8. Juni 2019 überhaupt ablegte? War die Schiffsführung des Seglers schon lange vor dem fatalen Kollisionskurs überfordert? Und warum reagierten die Verantwortlichen an Bord des Unfallgegners erst so spät?
Wir blicken zurück: Am Pfingstsamstag 2019 verließ der historische Lotsenschoner No. 5, der zur Flotte der Hamburger Stiftung Maritim gehört, zum ersten Mal wieder seinen Heimathafen. Das Schiff hatte eine längere Werftzeit hinter sich, die ehrenamtliche Besatzung des Klassikers kam aus der Winterpause. Da scheint es nachvollziehbar, dass die Crew darauf fieberte, endlich wieder vor den Wind zu gehen. Am Ende ging man unter.
Chronik eines Chaos-Törns
Nach einer Reihe von navigatorischen Fehlern und Pannen kollidierte der Lotsenschoner mit einem Frachtschiff, gelangte mit knapper Not aus dem Fahrwasser und sank in Ufernähe. Mit sehr viel Glück gab es unter den 43 Mitseglern nur Leichtverletzte.
War das Reisefieber an jenem Frühjahrstag so stark, dass Schiffsführer und Besatzung Warnungen in den Wind schlugen und zudem überfordert waren? Das könnte man annehmen, denn die Chronik dieses Chaos-Törns liest sich wie eine angekündigte Katastrophe. In diversen Punkten wurde falsch entschieden. Jeder für sich hätte wahrscheinlich die fatale Zwangslage vermieden, in der die „Elbe“ am Ende der Reise steckte.
Der Wind war zu stark
Es fängt mit dem Wetter an: Für den Segeltag waren vom Wetterdienst fünf bis sechs Beaufort, in Böen sogar neun Windstärken vorhergesagt. „Das hätte die Schiffsführung eigentlich schon dazu bringen müssen, diesen Tagesausflug abzusagen“, folgert die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung in ihrem Bericht. Denn seit dem Werftaufenthalt hatte der historische Lotsenschoner ein neues Sicherheitszeugnis erhalten.


Es erlaubte Tagesausflüge mit Gästen nur bis maximal fünf Windstärken. Davon will der Schiffsführer des Lotsenschoners nichts gewusst haben. Oder hat er die Rechtslage gekannt? Und aufgrund seiner jahrzehntelangen Erfahrung als Kapitän und Elblotse geglaubt, es werde schon nichts schiefgehen? Es wäre nicht ungewöhnlich für allzu selbstbewusste Fahrensleute.
Das Rigg war beschädigt
Das frisch sanierte Segelschiff war mit den unangenehmen Windverhältnissen jener Tage überfordert. Prompt erfolgte während des Törns ein erster Schaden. Die „Elbe“ war mit den Gästen etwa zwei Stunden elbabwärts gesegelt; gegen 13:30 Uhr wollte man wenden und am südlichen Stromufer zurück Richtung Hamburg.
Doch das Manöver bei Starkwind war zu viel für die Segel: Fock und Innenklüver bekamen Risse. Diese Schäden bewogen den Kapitän und den Steuermann dazu, das Kreuzen des Fahrwassers abzubrechen und als „Geisterfahrer“ am südlichen Stromufer gen Osten zu segeln, während sie sich mit der Segelbergung beschäftigten. Hätte der Lotsenschoner das Manöver nicht problemlos absolvieren können, zumal das Schiff inzwischen unter Motor fuhr?

Führungsfehler vor der Beinahe-Kollision
Aus dieser Fehlentscheidung resultierte nämlich prompt das nächste, gefährlichere Malheur. Denn die Crew wurde vor der riskanten Position als „Geisterfahrer“ sogar gewarnt. Nur wenige Minuten vor dem letzendlichen Crash gab es einen Beinahe-Zusammenstoß mit einem anderen Gewerbeschiff. Das Containerschiff „Hanna“ fuhr stromabwärts, also auf demselben Kurs, den wenig später der Unfallgegner „Astrosprinter“ fuhr.