Das Containerschiff „Hanna“ passierte die Elbe in nur rund 20 Meter Abstand – auf der falschen, nämlich der (linken) Backbordseite. Der Kapitän der „Hanna“ war über die Entscheidung des Elbe-Kapitäns, stromauf die falsche Fahrbahnseite zu befahren – noch dazu mit Gästen und eben auf der Backbordseite seines Schiffes – regelrecht empört. Das meldete er auch über Funk der Verkehrszentrale.
Konfusion über die eigene Position?
Obwohl auf dem Elbstrom dichter Berufsverkehr herrscht, unternahm niemand an Bord des Lotsenschoners den Versuch, mit eventuell nahenden Schiffen Kontakt aufzunehmen. Die BSU-Untersuchung legt sogar einen gravierenderen Schluss nahe: Der Kapitän der „Elbe“ sei sich zeitweise über die Position seines Schiffes nicht im Klaren gewesen. Bei Kenntnis hätte er „die Kollisionsgefahr erkennen und geeignete Manöver rechtzeitig durchführen können“, heißt es in dem öffentlich zugänglichen Bericht.
Dass würde auch erklären, warum der Kapitän den Kurs längere Zeit nicht änderte. Er erwartete offenbar, dass der entgegenkommende Frachter nach Steuerbord – also rechts – abbiegen würde, um dem Fahrwasserverlauf zu folgen, und wähnte sich schon nahezu am südlichen Ufer. Dann hätten sich „Elbe“ und „Astrosprinter“ (wie schon vorher die „Hanna“) an ihrer Backbordseite passiert.
Inkompetenz beim Manöver des letzren Augenblicks
Was tun, wenn ein Zusammenstoß auf dem Wasser droht? Das sollte jeder wissen, der ein Boot führen darf: Unmittelbar vor einer Kollision muss das „Manöver des letzten Augenblicks“ gefahren werden. Es gilt, vom ursprünglichen Kurs entschieden und sichtbar abzuweichen – und zwar möglichst auf parallelen Kurs.
Vor der Havarie des Lotsenschoners No. 5 war es umgekehrt: Die „Elbe“ steuerte wie ein Piratenschiff, das einen Feind entern will, exakt vor den Bug von „Astrosprinter“. Oder, wie ein Mitglied der Schiffsführung des Frachtschiffs im BSU-Bericht zitiert wird, „wie ein Mensch, der vor einen fahrenden Zug springt“. Offenbar führte ein Fehler zu dem fatalen Rudermanöver.
Als der Schiffsführer der „Elbe“, der am Bug des Schiffs mit dem Segelbergen beschäftigt war, im letzten Moment die heranstampfende „Astrosprinter“ wahrnahm, gab er mehrmals das richtige Kommando „Hart Backbord“. Doch Steuermann und Gäste bedienten das Ruder falsch: Sie schoben die große Pinne des Klassikers nach links, also nach Backbord. Und sie steuerten damit faktisch nach Steuerbord, genau vor den Bug der „Astrosprinter“. Im Video von Bord ist diese herzzerreißende Szene der letzten Sekunden vor dem Unglück deutlich erkennbar.
Panik oder Mangel an Seemannschaft?
Ist der Grund für das entgegen aller Logik durchgeführte Manöver wirklich der völlige Mangel an Seemannschaft – oder Panik und Nervenversagen angesichts der aufziehenden Katastrophe? In einer Fußnote heißt es in dem BSU-Bericht, Kapitän und Steuermann hätten ein Steuerbordmanöver beabsichtigt.
Aber wohin wollten sie dann steuern, um aus dem Gefahrenbereich zu gelangen? Die Kollisionsverhütungsregeln schreiben vor, dass man beim Ausweichen möglichst hinter dem Heck, nicht nicht vorm Bug des Kurshalters kreuzt.
Unmittelbar vor dem Aufprall gab der Steuermann der „Elbe“ fünf kurze Töne mit der Hupe. Das Signal ist aber so leise, dass es im Kommandoraum der „Astrosprinter“ unmöglich gehört werden konnte. Fünf Töne gelten in der Nautik als „letzte Warnung“ an einen Ausweichpflichtigen, bevor das Manöver des letzten Augenblicks eingeleitet wird.
Doch hier befand sich die Schiffsführung des Klassikers auf dem Holzweg: Ausweichpflichtig war einzig und allein die „Elbe“. Sie konnte sich auch nicht auf Sonderrechte als Segelfahrzeug berufen: Nach dem Riggschaden hatte der Kapitän die Maschine gestartet. Das frisch sanierte Segelschiff galt fortan als Motorschiff.
Ohne Funkschein und AIS unterwegs
Der Schiffsführer besaß – bei aller seemännischen Erfahrung und entsprechenden Dokumenten – kein Funkzeugnis. „Es gab aber keinen Hinweis darauf, dass der Schiffsführer die Seefunkanlage nicht bedienen konnte“, stellt die BSU fest. Dumm nur, dass die Funkanlage fast während der gesamten Reise schwieg. Erst nach dem Unfall wurde ein „Mayday“ abgesetzt. Das aber mit Erfolg.
Das AIS-Gerät der „Elbe“ funktionierte dagegen zeitweise nicht: Das automatisierte Identifikationssystem ist seit über 20 Jahren verpflichtender Standard in der Berufsschifffahrt, um Unfälle zu verhüten. Dabei sendet ein UKW-Transceiver an Bord in sehr kurzen zeitlichen Abständen wichtige Schiffsdaten wie Name, Position, Tempo, Kurs und Funk-Rufzeichen.
Die BSU entdeckte mehrere „Löcher“ in der Aufzeichnung des „Elbe“-AIS. Während dieser Zeit fuhr das Schiff quasi unsichtbar. Wesentlich dabei: Das System war während der letzten halben Stunde vor der Kollision nicht aktiv. Hätte das AIS des Lotsenschoners funktioniert, wäre die Schiffsführung des Kollisionsgegners womöglich früher auf die besondere Situation an Bord der „Elbe“ aufmerksam geworden.
Fehlverhalten der Frachtschiff-Crew?
Tatsächlich hätte man an Bord der „Astrosprinter“ rechtzeitig erkennen können, dass sich ein gefährliches Hindernis im Fahrwasser befand. Der Beinahe-Zusammenstoß mit der wenige Minuten voraus fahrenden „Hanna“ kam auch auf der Brücke der „Astrosprinter“ an, die Beschwerde der Schiffsführung bei der Verkehrszentrale wurde auch auf dem nachfolgenden Schiff gehört. Dennoch entschieden sich weder der Lotse an Bord noch die Schiffsführung, ihrerseits die „Elbe“ anzurufen. Oder auf andere Weise Kontakt aufzunehmen.