„Jede Schiffsführung ging von einer Kursänderung des anderen Schiffes aus, was dazu führte, dass beide Schiffsführungen nichts taten“, so drückt es die BSU diplomatisch aus. Formell befand sich die „Astrosprinter“ im Recht, da die „Elbe“ mehrere elementare Regeln verletzte.
Dennoch bleibt die Frage, ob auf der Elbe uneingeschränkt das Recht des Stärkeren gilt. Oder hat nicht etwa ein Schiff mit erheblich größeren Ausmaßen und stärkerer Maschine eine höhere Verantwortung für die Sicherheit?

Der Kapitän war unter Deck
Die Bordelektronik hat die Katastrophe dokumentiert. Zur Kollision kam es exakt um 13:54:16 Uhr. Der Kapitän des Frachters bekam davon aber gar nichts mit. Wie das? Er befand sich unter Deck. Den Aufprall will er „für eine größere Welle“ gehalten haben, heißt es bei der BSU. Das Kommando hatte er nur zehn Minuten zuvor an seinen Wachoffizier übergeben. Nur ein unglücklicher Zufall? Formal in Ordnung, findet die BSU.
Erst unmittelbar vor dem Crash griff der Elblotse ins Steuer der „Astrosprinter“ und wich korrekt nach Backbord aus. Den Aufprall konnte er damit nicht verhindern, wohl aber mildern. Der Wulstbug des Frachters bohrte sich unter Wasser ins Vorschiff der Elbe, der vordere Schonermast brach. Doch warum war ein Ausweichen nach Steuerbord nicht möglich?
Der Pfingstsamstag 2019 brachte Glück im Unglück. Von den 28 Fahrgästen und 15 Besatzungsmitgliedern der No. 5 „Elbe“ wurden acht Personen leicht verletzt. Der Lotsenschoner erreichte aber noch aus eigener Kraft die nahe gelegene Mündung der Schwinge am Südufer, wo das Schiff nach der Kollision sank.
Der Klassiker wurde später geborgen, der strukturelle Kollisionsschaden am Rumpf wurde inzwischen im dänischen Hvide Sande repariert. Seit Herbst 2020 ist der Traditionssegler, nach aufwändiger Wiederherstellung, endlich wieder zurück in Hamburg.
Wachdienst nicht organisiert
Bereits kurz nach dem Unfall meldete die Wasserschutzpolizei das Unglück an die Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU). Dann begann eine der aufwändigeren Untersuchungen in der Geschichte der Behörde. Jede Untersuchung der BSU hat ausdrücklich empfehlenden Charakter, um aus dem Unglück Lehren für die Schifffahrt zu ziehen. Sie darf aber nicht als Rechtsgutachten verstanden oder genutzt werden. So auch die Aufarbeitung des Falls „Elbe“.

In der folgenden Pressemitteilung 03/21 der BSU heißt es aufs Wesentliche zusammengefasst: „Der Schoner fuhr unter Segeln und hatte gerade eine Wende vollzogen, um nach Hamburg zurückzufahren. Nach der Wende gab es Schäden an den Vorsegeln. Während die Besatzung damit beschäftigt war, diese Segel unter Kontrolle zu bekommen, wurde es versäumt, die Fahrwasserseite der eigenen Fahrtrichtung entsprechend zu wechseln. So fuhr No.5 ELBE erst knapp an der ihr entgegenkommenden HANNA vorbei und kollidierte dann mit der ASTROSPRINTER.“
Als maßgebliche Ursache identifiziert die BSU, dass die „Elbe“ nicht auswich. Im Untersuchungsbericht heißt es dazu wörtlich, dass sie dazu „verpflichtet gewesen wäre“, gemäß „den Vorgaben aus §§ 2 Abs. Nr. 1 SeeSchStrO i. v. m. Regel 9 Buchstabe a KVR (Kollisionsverhütungsregeln).“
Der Besatzung des Lotsenschoners empfiehlt die BSU, künftig im Sicherheitshandbuch „Regelungen zur Durchführung eines sicheren Wachdienstes“ aufzunehmen und die Besatzungsmitglieder besser zu schulen. Der Frachtercrew empfehlen die Ermittler, rechtzeitig mit Ausweichmanövern zu beginnen und/oder Kommunikation zu beginnen. Ruft man sich vor Augen, was unter guter Seemannschaft zu verstehen ist, erkennt man die BSU-Tipps als das, als was sie gemeint sind: kleine Ohrfeigen.

Schiffsführer hatten viel Erfahrung
Wer sich näher mit den umfangreichen Untersuchungen und daraus folgenden Einschätzungen der Gesamtsituation des Unfallherganges beschäftigen möchte, um daraus Erkenntnisse für sich abzuleiten, sei die Verkehrsrechtliche Bewertung der Ereignisse ab Seite 89 im BSU-Bericht empfohlen.
Die Stiftung Hamburg Maritim und Freunde des Lotsenschoners No. 5 Elbe, von float um eine Stellungnahme gebeten, verweisen auf ihre Pressemitteilung. Da heißt es lediglich, die Stiftung beschäftige „sich intensiv mit dem gerade veröffentlichten Untersuchungsbericht“ der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung.

Man werte jetzt, genau zwei Jahre nach dem Vorfall, „die darin enthaltenen Handlungsempfehlungen zur Erhöhung der Sicherheitsstandards aus“. Das kann dauern: „Da dieser Vorgang jedoch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Aussage zum Inhalt des Berichts gemacht werden.“
Kollisionsschott wird empfohlen
Die Folgerungen der BSU aus dem Unglück führen auch zu Konsequenzen für die gesamte Flotte der Traditionsschiffe. Denn nur viel Glück verhinderte, dass „Elbe“ nicht sank und das Versagen ihrer Crew Menschenleben kostete. Vor Ort hielten sich zu dem Zeitpunkt zufällig Rettungskräfte von Feuerwehr und DLRG auf, die fast augenblicklich halfen.
Für alle Traditionsschiffe mit mehr als zwölf Gästen an Bord empfehlen die BSU-Fachleute seit dem Unglück den Einbau von so genannten Kollisionsschotts. Diese wasserdichten Trennwände verhindern, dass bei größeren Leckagen der gesamte Rumpf, bei historischen Schiffen zumeist nicht unterteilt, vollläuft. Damit kann ein schnelles Sinken unterbunden werden.
Eine solche verpflichtende Maßnahme aber könnte für viele historische Schiffe, die zum Beispiel beim Hamburger Hafengeburtstag oder Windjammerparaden anlässlich der Kieler Woche oder in Rostock unterwegs sind, das finanzielle Aus bedeuten. Die Umbaukosten sind enorm hoch und von den Betreibern vermutlich kaum aufzubringen.
Das fatale Rudermanöver
Das Video der Katastrophe stand wenige Tage danach auf Youtube. Es zeigt den Kollisionskurs und bricht unmittelbar vor dem Zusammenstoß ab. Deutlich zu hören: Das Flattern der beschädigten Vorsegel, das fünffache Tuten der „Elbe“ und das hektische Kommando des Schiffsführers („Hart Backbord“). Ab 0:39 ertönt es mehrmals, dann folgt das falsche Manöver.