Liegt das Entstehungsjahr auf 1936, womit die O-Jolle im vergangenen Jahr 80 Jahre alt geworden wäre, oder hat die Olympiajolle doch mehr Jahre auf dem Kiel? Unser Autor hat intensiv recherchiert.
Die O-Jolle ist die einzige deutsche Jollenkonstruktion, die jemals als offizielles Olympiaboot aufgestellt worden ist, und das auch nur für die Spiele von 1936. Heute ist die Einmann-Olympiajolle eine Nationale Klasse des Deutschen Segler-Verbands mit internationaler Verbreitung in vielen europäischen Nachbarländern. Viele Segler der Klasse empfinden ihre O-Jolle als „ältere Dame mit Temperament“. Doch wie alt ist die O. eigentlich?
„Ein Mann – ein Segel – ein Boot“
Die Entstehungsgeschichte des Boots hängt eng mit den 1936 in Berlin und Kiel als Ausrichtungsort für die Segelwettkämpfe stattfindenden olympischen Sommerspielen zusammen. „Ein Mann – ein Segel – ein Boot“ lautete das in der Zeitschrift Die Yacht, dem amtlichen Blatt des Deutschen Segler-Verbands, ausgegebene Motto für eine neu zu schaffende Einmannklasse für die olympischen Segelwettbewerbe.
Das neue Einhandboot soll die bis dahin verwendeten 12-Fuß-Dingis (mit etwa 9 Quadratmetern Segelfläche) und das amerikanische Monotyp-Scharpie (mit rund 8,5 Quadratmetern Segelfläche) ersetzen. Der Hamburger Dr. Edgar Behr, der 1932 Deutschland in der Jollenklasse bei den Olympischen Spielen vor Los Angeles vertreten hat, unterstützt diese Idee, da er von den bisher bei Olympia eingesetzten Dingis nicht überzeugt ist.
Bei den deutschen Jollenseglern und -konstrukteuren ist man zwar überzeugt, dass im Deutschen Reich im Vergleich zum Ausland hervorragende Arbeit im Jollenbereich geleistet wird. Doch kommen nationale Kleinbootklassen wie das 12-qm-Einheitssharpie, der Einheits-Zehner, die 15-qm-Bundeswanderjolle und die entsprechende Kreuzerjolle des D.S.Vb. (wie der Deutsche Segler-Verband damals noch abgekürzt wurde) nicht infrage: Denn die olympischen Segelwettbewerbe sollen auch für eine Einmannklasse ausgeschrieben werden.

Bierpreis-Erhöhung für den Baustart
1932 stellt der Dahme-Jacht-Club auf dem „Bundestag“ des Deutschen Seglerbunds (D.S.B.) einen Antrag zur Schaffung einer für Binnengewässer brauchbaren Einmannjolle für Olympia. Initiator ist der Segler und Werftbesitzer Hans Bebensee. Schon kurz darauf werden in Abstimmung mit dem D.S.Vb. die wesentlichen Bauvorgaben für den neuen Bootstyp herausgegeben.
Das karweel geplankte Rundspantboot soll einen geraden Mast mit 10-qm-Cat-Hochtakelung und vier Latten im Segel besitzen. Die Außenmaße: Länge 5 m, Breite 1,5 m, Freibord vorn mindestens 50 cm. Der Tiefgang mit Schwert soll höchstens einen Meter betragen, das Schwert (mind. 5 mm) im festen Bolzen drehbar sein. Die Stärkenabmessungen sollen denen der 10-qm-Bundeswanderjollen entsprechen.
Eine sicher preiswertere Knickspant-Konstruktion in Sharpie-Bauweise kam vor allem für die Berliner Segler nicht infrage. Im Mai 1933 beschließt der DJC als erster Verein den Bau einer O-Jolle nach den Plänen von Bebensee auf der Werft von Walter Keßler. Das Boot wird mit Spenden in Raten der gesamten Mitgliedschaft und aus Kantinen-Überschüssen bezahlt – nach einer Bierpreiserhöhung, wie eine Chronik des Dahme-Jacht-Clubs verrät.
Fassen wir zusammen: Schon 1932 wird also ein Antrag gestellt, eine brauchbare Jolle für Olympia zu beschaffen. Legt man dieses Jahr zugrunde, wird die O-Jolle im aktuellen Jahr 2017 schon 85 Jahre alt.
Als Jollensegler noch kämpfen mussten
Der Riss des neuen Boots hat seinen Ursprung in frühen Entwürfen des Jollenkonstrukteurs Reinhard Drewitz, der als Mitglied der 1908 gegründeten Wettfahrtvereinigung Berliner Jollensegler (W.B.J.) die Entwicklung vieler Jollenkonstruktionen entscheidend beeinflusst hat. Die Segler dieses rührigen Vereins machten sich für die Akzeptanz der Jollensegelei gegen die Widerstände im D.S.Vb. stark, wo man kleinen Booten keine rechte Daseinsberechtigung hatte zugestehen wollen. Einige der Risse und Konstruktionen von Drewitz, die um 1912 entstanden, zeigen schon deutliche Übereinstimmungen mit der späteren O-Jolle.
Auch andere Konstrukteure und Bootsbauer zeichnen und bauen nach den Verbandsvorgaben neue Segelbootmodelle. So starten 1933 bei der Scharmützelwoche die ersten drei Boote zu einer Vergleichswettfahrt. Im Oktober 1933 sind es schon elf Boote, die am ersten Olympia-Ausbildungslehrgang teilnehmen. Ganze Versuchsreihen einander ähnlicher, aber noch unterschiedlicher Olympiajollen segeln ab 1933 auf den Binnengewässern.
Angeregt durch das starke Interesse an der Klasse schreibt der Berliner Verein Seglerhaus am Wannsee (VSaW) sogar einen Jugendpreis aus, den das Vereinsmitglied Hellmut Stauch gewinnt. Bis zu welchem Alter man noch der Jugend zugerechnet wurde, ist nicht bekannt… – übte der Sieger der Wettfahrten doch bereits den Beruf des Architekten aus. Legt man also das erste Wettfahrtjahr 1933 als Gründungsdatum fest, könnten wir im kommenden Jahr 2018 den 85. Geburtstag der Klasse feiern.

Kontinuierliche Optimierung
Nachdem das Internationale Olympische Komitee seine Zustimmung für die Olympiajolle gegeben hat, kommen Konstrukteure, der technische Ausschuss und Segler, unter ihnen eben auch Hellmut Stauch, immer wieder zusammen, um Erfahrungen auszutauschen und die Olympiajolle zu optimieren. Stauch legt einen eigenen Entwurf der O-Jolle vor, die auf der Paul Langners Werft in Berlin-Friedrichshagen gebaut wird. Bei den von ihm bestrittenen Wettfahrten schneidet er regelmäßig als Bester ab.
Unter den Steuerleuten der Jollensegelei finden wir viele talentierte Kameraden, die als Leichtgewichte mit durchschnittlichen 125 Pfund gegenüber den großen Figuren bei Brise unverhältnismäßig stark benachteiligt sind.
Der Erfolgssegler resümiert: „Zusammenfassend muß ich zunächst die grundsätzliche Feststellung machen, daß die Boote lebendig und schnell sind. Sie können von einem Mann bequem gefahren werden. Es wäre meines Erachtens unbedingt richtig, den Typ als solchen beizubehalten und nach den vorliegenden Erfahrungen abzuändern.“ Er und andere plädieren für eine Vergrößerung der Breite und die Verringerung des Freibords: „Als Breitenmaß für den Rumpf wäre etwa 1,60 m dem bisher vorgegebenen Mindestmaß vorzuziehen. Die Stabilität des Bootes würde, verbunden mit niedrigerem Freibord, wesentlich besser sein.“
Auch der deutsche Olympiateilnehmer in Los Angeles, der schon erwähnte Dr. Behr, fordert zugunsten der Stabilität eine größere Breite: „Unter den Steuerleuten der Jollensegelei wie auch bei dem Nachwuchs finden wir viele talentierte Kameraden, die als Leichtgewichte mit durchschnittlichen 125 Pfund gegenüber den großen Figuren von 180 Pfund und darüber im Einhandboot bei Brise unverhältnismäßig stark benachteiligt sind, während sich das schwere Gewicht bei Leichtwind nicht oder kaum störend bemerkbar macht.“ So werden in der Folgezeit die gebauten Boote entsprechend abgeändert.
Freie Klasse oder Einheitsklasse
Es folgt eine Diskussion, ob die Olympiajolle eine Freie Klasse oder Einheitsklasse werden sollte. Eine Entscheidung über den Status wird zunächst nicht gefällt. Wie bei den Binnenfahrtklassen hatte man bewusst lediglich Grenzmaße festgelegt, damit sich in diesem Rahmen die Konstrukteure und Segler auf den Regattabahnen messen und die Konstrukteure weiter über sinnvolle Veränderungen nachdenken können.
Der Weg zur Einheitsklasse ist aber vorgezeichnet und wird ein Jahr später festgelegt. Ein Grund dafür ist, dass die Jolle auch ein Meisterschaftsboot werden soll. Denn das Streben nach Meisterehren soll nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten nach dem Willen der gleichgeschalteten Segelfunktionäre nur in Einheitsklassen erfolgen.

Von der Auswahl zur Einheitsklasse
In seinem Beitrag im Segelmagazin Die Yacht im Frühjahr 1934 bedauert der Konstrukteur Reinhard Drewitz noch, dass nicht weitere Konstruktionen erprobt werden können. Denn für ihn ist der Findungsprozess um den besten Riss noch nicht abgeschlossen. Ihm geht es vor allem um die Frage, ob eher ein Leichtwetter- oder Schwerwetterboot für Olympia geeignet ist. Spätestens nach der Kieler Woche aber ist die Findungsphase abgeschlossen.
Erst kommen die Konstruktionen von Drewitz, Stauch, Rutsch und Brandt in eine nähere Auswahl, dann bleiben die Jollen „Darling V“ von Drewitz und „Seehund ex Adi“ von Stauch übrig – wahrscheinlich auch, weil auf deren Konstruktionen auch die besten Steuerleute segeln. Da die Zeit drängt, einigt man sich auf den Riss von Stauch. Seine O 34 wird trotz Gleichwertigkeit der von Drewitz gezeichneten und gesegelten Jolle vom Olympiaausschuss als Musterboot festgelegt.
In der Bootswerft W. Rutsch in Berlin-Schmöckwitz werden zwei Probeboote gebaut, von deren Mallen dann Stahlschablonen abgenommen werden. Ende September 1934 werden die endgültigen Bauvorschriften der Öffentlichkeit vorgestellt, auf die man auch im Ausland zur Vorbereitung auf die Segelolympiade gespannt gewartet hat. Bemerkenswert an dieser über drei Jahre dauernden Entwicklung ist wohl, dass man sich langsam und überlegt an die endgültige O-Jolle herangetastet hat. Sieht man 1934 als entscheidend – das Jahr, in dem die Bauvorschrift festgelegt wurde –, so hätte die Klasse schon 2014 ihren 80. Geburtstag begehen können.
Mehr dreifache Geburtstagskinder
Ähnlich vielfältige Geburtstagsdaten wie bei der O-Jolle gibt es auch für die Historie der 15-qm-Wanderjollen, der heutigen H-Jolle. Mitglieder im damaligen Deutschen Segler-Bund (D.S.B.) beantragten auf dem Bundesseglertag 1921 die Schaffung einer 15-qm-Wanderjolle. Aber erst 1932 wurden dann die entsprechenden Vermessungsbestimmungen herausgebracht. Dazwischen, im Jahr 1925, hatte der Seglerverband die 15-qm-Binnenfahrtjolle, die F-Jolle, vorgestellt. Die Segler dieser Klasse können also regelmäßig drei Geburtstagsjubiläen feiern – und das tun sie mittlerweile auch.