Sie hat einhand die Dänische Südsee durchsegelt und ihre Erlebnisse aufgeschrieben. Daraus ist ein Buch geworden, das dem maritim geneigten Lesepublikum ein Dauerschmunzeln ins Gesicht zaubern wird. Für float hat die Autorin ihre Lieblingsstellen herausgesucht.
Manche Menschen sind mit einer erzählerischen Begabung gesegnet, die man als Mitglied der schreibenden Zunft neidlos anerkennen muss. Svenja Neumann gehört dazu. Mit ihrem jüngst erschienenen Buch „Ærødynamisch – Mein Segelsommer in der dänischen Südsee“ wird sie gefeiert, wo immer sie es vorstellt. Und das zu Recht, denn selten sind Segelabenteuer mit so viel Sprachwitz und auf ähnlich vergnügliche Weise zu Papier gebracht worden. Ærødynamisch ist Svenja Neumanns erstes Buch, aus dem Stand und ohne jede schriftstellerische Erfahrung entstanden.
Svenja nimmt ihre Leserschaft auf mehr als nur eine Reise mit: Wir erfahren, wie sie als berufstätige Mutter und Ehefrau das Segeln für sich neu entdeckt, nachdem sie als Kind den Indoktrinationsversuchen ihres Vaters, einem Marineoffizier, hartnäckig widerstanden hat. Nach einem Zwei-Tages-Trip ohne Mann und Kinder auf einem Traditionssegler namens „Qualle“, den sie aus einem Impuls heraus unternimmt, ist es um sie geschehen.
Sie schreibt: „Die Nadel am nostalgischen Steuerkompass schwooft im Walzertakt über die Gradanzeige. Hinter der Fehmarnsundbrücke macht sie noch 20 Grad große Ausfallschritte nach backbord und steuerbord. Die eigenwillige Richtungsanzeige ist stur. Mindestens genauso stur wie ich. Als wir irgendwo mitten in der Lübecker Bucht sind, habe ich sie endlich auf zehn Grad Kursschwankung heruntergehandelt. Es lebe der Kompromiss. Die Qualle trottet im Wiegeschritt nach Süden. Das Holz und der runde Messingrahmen an der Steuersäule fühlen sich warm an. Meine Gedanken auch. Genau wie die Schatten der Segel wandern sie mit jeder Gradschwankung langsam hin und her. Ach, wozu brauche ich die Adria? Ich will Ostsee.“

Danach gibt es kein Halten mehr, dem Erwerb der erforderlichen Segelqualifikationen folgt beinahe zwangsläufig die Anschaffung eines Bootes. Auch Mann und Kinder ergeben sich notgedrungen Svenjas neuer Leidenschaft:
„Zusammenfassen lassen sich die Ereignisse in etwa so: Zu einem Meilenbuch mit dem einsamen Eintrag »Kiel–Wismar: 76 Seemeilen« gesellt sich bald eigenes Ölzeug. Hier treten die Begriffe »Inshore« (gehobene Strandbekleidung), »Coastal« (jenseits der 3-Meilen-Zone selbstzerstörend) und »Offshore« (alles ab den Faröern) erstmals in mein Leben. Ebenso die Ahnung, dass ich wohl eher der »Inshore«-Zielgruppe angehöre und sich beim Outdoor-Ausstatter ähnlich geeignete Bekleidung zum halben Preis finden ließe. Aber es geht schließlich ums Prinzip. Das Wohlwollen der Familie schlägt in Sorge um, als ich beginne, das AIS-Signal der Qualle zu stalken. Der erste Blick nach dem Frühstück gilt nun nicht mehr dem Stundenplan der Kinder, sondern der aktuellen Position des Schoners auf Marine Traffic. »Du solltest an deinen Prioritäten arbeiten«, rät mir mein Gatte eines Morgens.“
Das tut sie prompt und bucht für Oktober den Theoriekurs zum Sportbootführerschein. „Bis dahin übe ich, wann immer es geht – was meinen Geschäftsreisen einen ganz neuen Sinn verleiht. In der 1. Klasse des ICE mit Kursdreieck und Stechzirkel zu hantieren, anstatt wie die anderen Businesskostümierten auf einen Laptop einzuhacken, hat etwas Verwegenes. Die Navigationsaufgaben umweht ein Hauch von Pathos – James Cook hat sicher auch mal klein angefangen. Da kann das Tagesgeschäft schon mal in den Hintergrund rücken.“

Nach mit viel Glück bestandener Segelprüfung tritt „Hobo“ ins Leben der Familie – eine gerade mal sechseinhalb Meter kleine Dehlya 22, mit der erste Segelabenteuer auf der Flensburger Förde bestritten werden.
„In einem stillen Moment ohne Kinder segelten Marc und ich auf die dänische Seite der Förde, um unseren Claim abzustecken. Ich parkte in der erstbesten Zauberbox, die immer länger wurde, je näher wir dem Steg kamen. Irgendwann waren die Heckleinen zu Ende und meine Arme auch, also ließ ich los. Praktischerweise hatte ich die Leinen zuvor nicht belegt. Also hingen sie herrenlos an den Dalben, die glücklicherweise mit Haken versehen waren. Marc und ich hingegen trieben es vogelwild quer durch drei Boxen, gaben uns Tiernamen und nahmen den Steg nach einigen Selbstentfesselungsversuchen schließlich von hinten. Besteigen konnten wir ihn dennoch nicht, der Außenborder war im Weg. Mittlerweile hatten sich etliche Schaulustige eingefunden und schlossen hoch dotierte Wetten auf den Fortbestand unserer Ehe ab.“

Trotz solcher Widrigkeiten hat sich in Svenjas Kopf ein Gedanke festgesetzt: einen ganzen Sommer auf dem Boot verbringen und eines der schönste Segelreviere der Ostsee erkunden, wo es doch schon direkt vor der eigenen Haustür liegt. Kurzerhand bittet sie ihren Chef um eine dreimonatige Auszeit und hofft, auch ihren Mann Marc von dem Plan begeistern zu können. Der aber kann sich nicht vorstellen, „drei Monate eingepfercht in einem schwimmenden VW-Bus“ zu verbringen und beschließt: „Das kannst du ohne mich machen!“ Der Kompromiss: sechs Wochen dänische Südsee für Svenja, einhand, ohne Mann und ohne Kinder.
„Bist du alleine?“ fragt der allererste Liegeplatznachbar in Svenjas frisch begonnener Segellaufbahn. „Klar. Ich segle einhand. Schon immer. Also, ich meine, fast immer, also genau seit… äh, gestern. Und du so?“
Es folgen Segelabenteuer par excellence: interessante Begegnungen mit Menschen, Inselfähren, Ansteuerungstonnen und zu flachem Wasser – und eine steile Lernkurve im Solo-Segeln. Adrenalinschübe und unverfroren vergnügliches Hafenkino inbegriffen.
„In engen Kreisen holpert Hobo mit festgelaschter Pinne über die kurzen Wellen. Ich liege vor dem Ankerkasten auf den Knien und versuche vergebens, vier Fender zu verstauen. […] Letztes Jahr hat das doch noch gepasst! In jedem Wellental jault die Schraube des Außenborders asthmatisch auf. Mein blauer Lifebelt will mich zurück ins Cockpit zerren. Moment noch. DER. BLÖDE. DECKEL. GEHT. NICHT. ZU! […] Ein verhaktes Fall und eine Patenthalse später nehme ich Kurs auf Ærøs Nordspitze. Die liegt in 35 Grad. Glaube ich. Jedenfalls war es irgendwas mit einer Fünf am Ende. Es lüftelt mit drei Windstärken aus Nordwest. […]. Kann man sich im Kleinen Belt verfahren? Auf den popeligen 13 Seemeilen zwischen Mommark und Søby? So allmählich müsste sich Skjoldnæs-Leuchtturm über der Küstenlinie abzeichnen. Aber von dem Turm fehlt jede Spur.“


Am Ende ihres Sommerabenteuers in der Südsee steht für die Segel-Elevin eine Erkenntnis, die die Seele hebt und die sich alle jobgestressten Midlifer hinter die Ohren schreiben sollten: „Braucht nicht jeder im Leben eine Sache, der er sich hingeben kann? Ohne nach dem Sinn zu fragen? Die glücklich macht? Dieser Törn war so eine Sache. Ich könnte platzen vor Glück, Stolz, aber auch vor Sehnsucht. Jetzt schon.“
Und wer meint, die Autorin würde sich mit dem Erlebten zufrieden geben, irrt:
Ich habe da so Visionen. Ostseerunde … Marc meint immer noch, ich solle mit meinen Visionen mal zum Arzt gehen. Ich war da. Kein Befund.
Für das Erstlingswerk von Svenja Neumann kann die float-Redaktion eine klare Lese-Empfehlung aussprechen. Es ist insbesondere geeignet für graue Wintermonate, in denen man Sonne, Seewind und Bordleben schmerzlich vermisst. Aber Achtung: Wer dieses Buch liest, läuft Gefahr, sich unwiderruflich mit dem Segelvirus zu infizieren, auch ohne jemals zuvor einen Fuß an Bord eines Bootes gesetzt zu haben.

Die Autorin
Svenja Neumann (Jahrgang 1972) hat ihren Bürojob aufgegeben und lebt als freie Autorin mit ihrer Familie in der Nähe von Hamburg. Die kleine Dehlya wurde inzwischen gegen eine familientauglichere Friendship 28 eingetauscht, die folgerichtig „Hobo Zwo“ heißt und ihren Liegeplatz an der Flensburger Förde hat.

Das Buch
Ærødynamisch – Mein Segelsommer in der dänischen Südsee
Verlag Delius Klasing Bielefeld
ISBN: 978-3-667-11273-6, 246 Seiten mit 43 Fotos, Flexbindung
Preis: 22,90 Euro