„Segelgarderobe für Fahrtensegler“ lautet der Titel des nächsten Onlineseminars. Meine Freundin reibt sich bereits die Hände. Ob aus Vorfreude auf das nächste Thema oder weil es doch ein bisschen frisch draußen ist. Wir haben den 30. Januar und selbst in der Türkei, wo wir auf einer Moody 425 leben, ist es kalt und regnerisch. Das perfekte Wetter also, um an dem Blauwasserseminar der ARC, der Atlantic Rallye for Cruisers, teilzunehmen.
Im kommenden Jahr soll es auch für uns so weit sein. Dann wollen wir den Sprung über den großen Teich wagen. So Corona und die Bestimmungen der Karibikinseln es zulassen. Die Enttäuschung, dass es sich bei Segelgarderobe gar nicht um modische Schwerwetterkleidung handelt, sondern um verschiedene Typen von Vorsegeln, ist schnell verflogen. Denn ein besonderes Segel beflügelt fortan unsere Gedanken. Es ist ein Segel mit Flügel. Ein sogenannter Parasailor.

Für das Mittelmeer fühlten wir uns bislang mit unserer Segelgarderobe gut ausgestattet. Bei Frog-Sails in Schleswig hatte ich in einer Art Praktikum bei Segelmacher Sven Kraja zugeschaut, wie mein neues Groß und die Genua geschneidert wurden. Für Schwachwindtage habe ich einen Gennaker an Bord.
Da wir die meiste Zeit zu zweit an Bord sind und Bordhund und -katze sich nach wie vor weigern, an der Decksarbeit teilzuhaben, muss ein leichtes, großes Vorsegel vor allem einfach zu bedienen sein. Im Idealfall auch einhand. Das sind unsere ganz banalen Kriterien.
Parasailor – das Segel aus der Wundertüte
Das „ideale Vorwindsegel“ wird beim Blauwasserseminar der ARC aber noch an ganz anderen Kriterien festgemacht: ein einziges Segel für verschiedene Windstärken und Windwinkel, dämpfende Wirkung bei Böen, ein zentrales Entweichen der Luft (um das Geigen zu reduzieren), und damit sich der Bug nicht in die Welle steckt, sollte eine Kraft nach oben gerichtet sein.
Das Segel sollte Winddreher gut wegstecken können und nicht sofort einfallen, und wenn doch, sich ohne großen Knall wieder entfalten. Zudem sollte es sich vom Autopiloten einfach steuern lassen, haltbar und UV-resistent sein.

Das klingt nach einer Wundertüte. Aber all diese Kriterien, so heißt es bei dem Seminar, würde der Parasailor erfüllen. Angeblich hätten in der Vergangenheit bei der ARC bereits Crews direkt nach dem Start auf den Kanaren den Parasailor gesetzt und erst in der Karibik wieder eingeholt. Selbst Böen von bis 35 Knoten soll das Segel made in Germany getrotzt haben. Zu schön, um wahr zu sein?
Spinnaker mit Loch und Flügel
Aber was ist überhaupt ein Parasailor? Kurz gesagt: Ein Spinnaker mit Loch und Flügel, der auch als Gennaker eingesetzt werden kann. Um aber zu verstehen, wie viel technisches Know-how in diesem Segel steckt, das Erkenntnisse aus Wasser- und Luftsport kombiniert, muss etwas weiter ausgeholt werden.

Hartmut Schädlich, ein begeisterter Fahrtensegler und Gleitschirmflieger, gilt als der Vater des beflügelten Segelns. Vor mehr als 20 Jahren entwickelte er mit dem Luft- und Raumfahrtingenieur Manfred Kistler eine erste Version des Flügel-Spinnakers. 1999 meldete Schädlich sein Segel mit einer durchgehenden Öffnung im oberen Bereich und integriertem Stausystem – eben dem aus dem Gleitschirmbereich entliehenen Flügel – zum Patent an.
Leicht zu segelnder Hightech-Spinnaker
Die Idee: Die Öffnungen im Segel lassen den Luftstrom gezielt abfließen. Und zwar genau auf den Gleitschirm, der dann durch die Anströmung sowohl Auftrieb als auch Vortrieb liefert. Dadurch soll der Wirkungsgrad des Segels einerseits verbessert und andererseits durch den Auftrieb der Bug des Bootes entlastet werden.
Zudem wirkt der Flügel wie eine Art horizontale weiche Segellatte, die dem Spinnaker Form und Halt gibt. Das Segel steht somit stabiler, auch bei Leichtwind und Welle, und fällt kaum ein. Dadurch kann der Hightech-Spinnaker auch ohne Spinnaker-Baum gefahren werden, was sich das Handling gerade für kleine und unerfahrenere Crews deutlich einfacher gestaltet.

Ganz neu war die revolutionäre Idee allerdings nicht. Bereits in den 1950er-Jahren gab es ein ähnliches Segel, das sogenannte Venturi-Segel, benannt nach dem italienischen Physiker Giovanni Battista Venturi, der im 18. Jahrhundert den „Venturi-Effekt“ entdeckte. Venturi hatte herausgefunden, dass ein schnell strömender Luftstrom durch Druckabfall eine Sogwirkung auf die Umgebung ausübt.