Was bringt einen Orca dazu, in das Ruder eines Segelbootes zu beißen? Warum greifen die großen Meeressäuger Boote vor Gibraltar an? Haben sie Hunger, sind sie wütend, stört sie Lärm? Thomas Käsbohrer, Autor und Segler, begegnete auf seinem Törn nach Irland selbst einem Orca in dieser Gegend. Er hatte Glück, das imposante Tier griff sein Boot nicht an.
Aber für Käsbohrer war die Begegnung der Anlass für sein Buch „Das Rätsel der Orcas“ im Millemari Verlag. In ihm ist er auf der Suche nach Antworten darauf, warum immer mehr Segelboote von Orcas angegriffen werden. Aber sind es überhaupt Angriffe?
Die Wissenschaftler bleiben neutral und sprechen von Interaktionen. So auch der Autor. Was genau bewegt die Orcas, oder Schwertwale – die übrigens der Familie der Delphine zugeordnet werden – so zu handeln, wollte Käsbohrer wissen. Er sprach dafür mit mehr als 40 SeglerInnen, die solche Interaktionen mit ihren Booten erlebt hatten.
Das Ruder weggebissen
Attackiert werden meist Segelyachten vor der Küste von Portugal, Spanien und Marokko. Die Yachten sind um die 15 Meter lang. 400 bis 500 beschädigte Schiffe wurden inzwischen gezählt, bei manchen waren die Schäden klein, bei manchen schwer, zwei Boote sanken. Fast immer ist es der Biss ins Ruder, der die Boote manövrierunfähig macht. Oft müssen sie von der Küstenwache abgeschleppt werden.

Käsbohrer hat gezählt: Ungefähr 7.000 Segelboote sind in der Region jährlich unterwegs. Davon haben etwa 10 Prozent Berührung mit den Meeressäugern, drei bis fünf Prozent aller Boote werden leicht bis schwer beschädigt, zwei sind nach Orca-Attacken gesunken. Das ist noch keine große Sache.
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Aber es werden mehr, so der Autor. Und die Angst der Segler, die auf der Route in die Karibik genau hier entlangsegeln, wird größer. Trifft es auch mich? Wie verhalte ich mich am besten? Wie kann ich vorsorgen, damit es nicht passiert?
Stillhalten und Gegenwehr
Das „Rätsel der Orcas“ ist in drei Teile aufgeteilt. Im ersten erzählen Betroffene detailgenau, wie es sich zugetragen hat, als die Schwertwale das Boot angriffen. Wie sie sich verhalten haben, wie die Tiere vorgegangen sind, welche Schäden sie am Boot hatten. Alle SeglerInnen, mit denen Käsbohrer sprach, haben die Interaktionen mit Videos und Protokollen dokumentiert. Die Beschreibungen lesen sich packend wir Kurzkrimis. Käsbohrer schreibt auch für Nichtsegler, erklärt Seglerlatein und Fachbegriffe im Bootsbau.

Der Mensch und andere Ursachen
Käsbohrer widmet sich im zweiten Teil den möglichen Beweggründen der Orcas. Er sprach mit Biologen, Walforschern, Tierpsychologen und anderen Experten über das Verhalten der Tiere. Man erfährt im Buch viel über die Lebensweisen der größten Säuger: dass sie in Mutter-Linien leben, darin eine eigene Kultur entwickeln. Und so auch lernen, wie sie Ruder von Segelyachten zerstören können.
Denn 2020 waren es nur drei Tiere, jetzt sind es 16, die aktuell in den besagten Regionen aktiv sind. Nie geht es um Menschen. Orcas greifen unsere Spezies nicht an, Menschen gehören nicht in ihr Beuteschema. Es geht immer nur um das Ruder. Wollen sie die Boote damit an ihrer Route hindern, die durch ihre Jagdgründe geht? Oder ist es ein Spiel? Tun sie es, weil sie es können?
Die großen Theorien
Es gibt verschiedene Theorien, die alle nicht zu einer schlüssigen Erklärung dieses Verhaltens führen. Verletzungen oder der Verlust eines Wal-Babies sind Argumente, der Lärm von Frachtern und Containerschiffen, die Konkurrenz um den begehrten Thunfisch, ihrer wichtigsten Nahrungsquelle. Auch Gifte im Meer wie PCB ziehen Wissenschaftler in Betracht.

Thomas Käsbohrer vermutet in seinem Buch, es könne ein ruppiges Spiel mit den Booten sein, weil die Schwertwale bei ihren Interaktionen nicht aggressiv und aufgeregt wirkten. Vielleicht begannen die Attacken auf Boote als Jagdtraining für die Jungen und haben sich als Spiel verselbstständigt.
Eine Reaktion auf ihre aus den Fugen geratene Lebenswelt. Denn nimmt man alle Menschen gemachten Störfaktoren zusammen, kann man sie durchaus verstehen. Doch denken Wale so? Und kann man es ihnen verdenken, fragt Thomas Käsbohrer die LeserInnen?
Schuldig oder nicht?
Das Buch von Thomas Käsbohrer liest sich packend und beschreibt kenntnisreich die Problematik. Es zeigt die vielen verschiedenen Facetten auf, die SeglerInnen helfen können, um sich ein umfangreiches Bild zu machen. Eine Lösung hat auch er nicht parat, denn es gibt bisher keine.
Das Buch schließt mit einem Fazit: „Je mehr ich mich mit den Orca-Attacken auf Segelboote vor der europäischen Westküste von Frankreich, Spanien, Gibraltar und vor Marokko beschäftigt habe, desto mehr glaube ich, dass uns ein Spiegel vorgehalten wird.“

Wie Orcas sich das Meer zurückholen – Warum sie Boote angreifen.
Paperback 24,95 €, eBook 19,99 €, Hörbuch 19,99 €
Englische Ausgabe demnächst im Handel
Mehr über das Verhalten der Orcas vor der Iberischen Halbinsel gibt es im Online-Vortrag Das Rätsel der Orcas vom Autor und Einhandsegler Thomas Käsbohrer am Dienstag, den 2. Mai 2023 ab 19:30 Uhr. Unkostenbeitrag 15,- Euro.
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