Der Zugang zur Welt des Strickens ist geräuschvoll. Auf das schrille Klingeln der alten Werksglocke öffnet sich die unscheinbare Tür im Hinterhof der Strickerei. Der Ton verwandelt sich im Inneren in ein Surren und Schnurren. In der Halle stehen Strickmaschinen in Reih und Glied und verrichten ihre Arbeit fast allein. Früher waren hier an die hundert Menschen beschäftigt, heute sind es noch 30 Mitarbeiter, die Strickwaren herstellen. Die Muster sind bunt und zahlreich. Gestrickt wird hauptsächlich für alte Damen, die noch im Einzelhandel einkaufen. Und seit einiger Zeit auch Troyer – unter dem Namen Rymhart.
Karl Siegel, Strickerei-Besitzer in vierter Generation, kommt uns in anthrazit entgegen: Wollshirt, Hosenträger, Jeans, Birkenstock. Er führt uns in sein Büro und serviert Ingwertee. Der gelernte Tischler, der vor 30 Jahren in das Geschäft seines Vaters einstieg, lernte die Strickerei von der Pike auf. Er kann die Maschinen programmieren und selbstverständlich auch bedienen. Am liebsten am Wochenende, weil er dann ganz in Ruhe an neuen Modellen experimentieren kann.

Sein ganz eigener Pullover
An so einem Wochenende kam der leidenschaftliche Segler auf den Gedanken, sich einen passenden Pullover für die Zeit auf dem Wasser zu stricken. Ganz für sich allein sollte er sein, sagt der Sechzigjährige. Karl Siegel bestellte also 30 Kilo Wolle, experimentierte mit Garnen, Fadenstärken und Nähten und baute sich seinen ganz eigenen Troyer. Lange tüftelte er an der Architektur und den Details: den Bündchen, dem Perlfang-Muster, dem Reißverschluss und immer wieder an der Verarbeitung der Wolle.

Als sein Troyer schließlich fertig war, wollten seine Söhne auch einen haben, erzählt Karl. Und seine Freunde. Und die Kollegen. Dann haben sie gleich mehrere gestrickt und weitergegeben und auch einige in den eigenen Werksladen gehängt. Und immer wieder kam der Satz: Kalle, Du musst die verkaufen! Aber es gab keinen Vertrieb dafür. Und wer würde denn 200 Euro für einen Arbeitspullover bezahlen? Auch wenn er das wert ist. Und dazu noch der Vertrieb! Durch einen glücklichen Zufall kam es 2010 dann doch dazu, dass Karl beschloss, einen Online-Shop zu eröffnen und den Seemannspullover mit in die Produktion zu nehmen. Im Jahr darauf wurde der Troyer eine Marke und bekam einen eigenen Namen.
Dem Sinn verpflichtet
Sie nannten ihn Rymhart. ‚Rüm hart, klaar kiming’ – weites Herz, klarer Horizont, wie die friesischen Kapitäne einst sagten. Zu der Lust, Sachen „ordentlich“ zu machen, wie Karl es sagt, kam die Überzeugung, dass er nur noch Dinge tun will, die sinnvoll sind. Und er hat auch ein Wort dafür: gedeihlich, so sollen die Dinge sein, die er produziert. Arbeitspullover sind so. Sie sollen aus reiner Wolle sein, möglichst lange halten, repariert werden, wenn sie kaputt gehen oder umgetauscht werden, wenn sie nicht mehr passen: Gegen einen anderen Troyer für einen kleinen Aufpreis.
Der alte wird als Second-Hand-Pullover zu einem guten Preis an jemand anderen verkauft. Das entspricht ganz der Post-Wachstums-Ökonomie, deren Anhänger der erfahrene Geschäftsmann ist. Denn Wachstum in einer endlichen Welt sei nicht zu Ende gedacht, findet Karl Siegel.