Er selbst hat nie erfahren, dass sein Roman einmal zu einem der größten Klassiker der Seefahrtliteratur werden sollte. Herman Melville – dessen Geburtstag sich am 1. August 2019 zum zweihundertsten Mal jährt – blieb Zeit seines Lebens als Autor nur mäßig erfolgreich. Sein metaphysisches Epos „Moby-Dick; oder: Der Wal“ schrieb er im Alter von 32 Jahren. Von den Auflagen, die noch zu Melvilles Lebzeiten erschienen, wurden weniger als 3.000 Exemplare verkauft.
Auch seine früheren Romane, in denen er seine Seereise-Erlebnisse verarbeitet hatte und denen zunächst eine gewisse Aufmerksamkeit zuteil wurde, gerieten schnell in Vergessenheit. Obwohl bis zuletzt literarisch aktiv, konnte Melville von der Schriftstellerei nicht leben. Zuletzt musste er eine Stelle als Zollinspektor im Hafen von New York annehmen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er starb 1891 im Alter von 72 Jahren, ohne die Wiederentdeckung seines größten Romans miterleben zu dürfen – und dessen Aufstieg zum Klassiker der Weltliteratur.
Ein weißer Wal, der Schiffe attackiert
Herman Melville stammte aus einer verarmten Kaufmannsfamilie. Er hatte sich schon in verschiedenen Berufen versucht, als er 22-jährig auf der Insel Nantucket auf einem Walfänger anheuerte und für mehrere Jahre als Matrose zur See fuhr. Sein Wissen über die Seefahrt stammte also aus eigenem Erleben; seine Beschreibungen vom Alltag an Bord eines Walfangschiffs waren authentisch. Nur einem mörderischen weißen Wal ist der Autor während seiner Zeit auf See nicht selbst begegnet.
Allerdings hat ein tatsächlich existierender Wal Pate gestanden für Kapitän Ahabs schwimmende Nemesis mit Namen Moby Dick: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts machten Geschichten von einem aggressiven Walbullen von außergewöhnlich heller Farbe die Runde. Er soll Schiffe angegriffen und Walfangboote versenkt haben.
Dieser Wal war unter dem Namen Mocha Dick bekannt, wohl weil er zuerst in den Gewässern der chilenischen Insel Mocha gesichtet worden war. Sicher hatte Melville von Überlieferungen dieser Art Kenntnis, die unter den Besatzungen der Walfangflotten kursierten.
Das Los entschied, wer sich opfern sollte
Dem Schriftsteller begegnete während seiner Zeit auf See noch eine andere Geschichte – über eine von einem Wal verursachten Schiffskatastrophe. Dieses Ereignis hatte sich tatsächlich zugetragen und faszinierte Melville über die Maßen. Im Jahr 1820 war die „Essex“, ein Walfänger aus Nantucket mit 20 Mann Besatzung an Bord, mitten in der Weite des Pazifiks von einem Pottwalbullen zwei Mal gerammt und versenkt worden.