Gemeinsam entwickelten der Elektromotoren-Hersteller Torqeedo, die Hanse Yachts AG und der Ruderhersteller Jefa-Marine den Rudder Drive, einen Cruise FP 4.0 Pod-Elektromotor, der so angepasst wurde, dass er direkt ins Ruderblatt der neuen Hanse 315 e-motion passt. Es ist die erste Segelyacht, die in Serie mit dem industriell hergestellten Elektroantrieb gefertigt wird.
Ein Motorantrieb direkt im Ruderblatt ist von der Idee her nicht neu, aber sie wurde bisher nicht konsequent umgesetzt. Die Vorteile für den Nutzer: Hervorragende Manövrierbarkeit der Yacht im Hafen durch direkte Propellerausrichtung, jede Menge Ökologie inklusive Energiegewinnung unter Segeln durch sogenannte Hydrogeneration und die Gewissheit, sich für einen Antrieb der Zukunft entschieden zu haben. Dafür gab es in den letzten Monaten reichlich Lob von der internationalen Fachpresse und entsprechende Preise – zuletzt den Pittman Innovation Award des US-amerikanischen SAIL Magazine.
„Wenn wir es machen, dann machen wir es richtig“
float sprach mit dem Entwicklungschef der Hanse Group Raoul Bajorat (47) und dem Applikations-Ingenieur und Projektleiter Maurice Bajohr (30) von Torqeedo auf der boot Düsseldorf über die Zusammenarbeit bei der Entwicklung des Rudder Drives. Ein Gespräch mit zwei Enthusiasten, die längst wissen, womit in Zukunft der Segelsport in Schwung kommen wird.
float: Wie kommt es eigentlich dazu, dass zwei Unternehmen, die sich im jeweiligen Spezialgebiet durchaus als Branchenprimus bezeichnen dürfen, plötzlich an einem Projekt zusammen arbeiten?
Raoul Bajorat: Durch die persönliche Bekanntschaft der CEOs von Hanse und Torqeedo gab es vor etwa eineinhalb Jahren die Gelegenheit, dass sich die führenden Köpfe beider Unternehmen zusammen setzten, sich zwanglos gegenseitig erzählten, woran sie gerade arbeiten. Beide Unternehmen hatten damals wie heute spannende Projekte in der Entwicklung, bei denen es aber auf den ersten Blick nicht unbedingt Überschneidungen gab. Als ich die Anregung bekam, einen Antrieb mit Torqeedo zu entwickeln, dachte ich, dass es gut wäre, etwas richtig Funktionelles, vielleicht sogar Revolutionäres aus dem Know-how-Mix unserer beiden innovativen Unternehmen zu entwickeln. Nach weiterer Grübelei kam ich auf die Idee: ‚Klar, wir bauen das Ding ins Ruder‘.
Ich war mir natürlich im Klaren, dass ich keineswegs der Erste mit dieser Idee war, aber die vielen Vorteile waren plötzlich so offensichtlich, dass ich mich wirklich spontan fragte, warum das noch keiner in Serie umgesetzt hat. Es fällt erstens der komplette Motor, auch als Rumpfdurchdringung weg, und zweitens wird die Manövrierbarkeit deutlich besser, weil mit Propeller im Ruder die Propellerausrichtung von vornherein vorgegeben wird. Und das Ganze direkt aus dem Stand, vorwärts wie rückwärts. Hinzu kommen dann drittens all die ökologischen Vorteile, die ein Elektromotor mit sich bringt.
float: Das hört sich alles ziemlich einfach an: Mal eben schnell eine zündende Idee haben und dann locker drauflos arbeiten.
Maurice Bajohr: Das war tatsächlich so! Nachdem uns Raoul seine Idee näher gebracht hatte, machten wir ein paar Tests und freundeten uns dann ziemlich schnell mit seinem Entwurf an. Wir brauchten ja keine Berührungsängste zu haben, auf dem Terrain der Außenborder kennen wir uns schließlich am besten aus. Am Anfang wurden wir angesichts des ziemlich kleinen Motors in so einem großen Schiff gefragt, ob das denn überhaupt funktionieren könne. Und wir mussten immer wieder sagen: Ja, logisch, klar, das klappt. Es kommt eben nur auf die sachgemäße Abstimmung aller beteiligten Komponenten an.
float: Nun ist die Theorie und später die Entwicklung eines Prototyps das Eine, aber wie bekommt man so eine sicherlich geniale, aber letztendlich ja auch exotische Idee ausgerechnet in ein Serien-Fahrtenschiff?
Raoul: Man muss von Anfang an auch weitere Vorteile eines Elektromotors in seine Überlegungen einbeziehen, die man vielleicht erst auf den zweiten Blick sieht. Man hat keinen Diesel mehr an Bord: keinen Geruch, keine Verschmutzung, wenn mal ein paar Tropfen daneben gehen. Ich muss nicht mehr extra tanken fahren, sondern hole mir meine Energie aus der Landstromsteckdose an meinem Stegplatz. Also sonntagabends keine Kreiselfahrerei mehr vor der Marina-Tankstelle, bis die Zapfsäule frei ist. Zudem fährt der Motor sehr leise, die Schubkraft lässt sich exzellent bis in kleinste Nuancen dosieren, was sich unter anderem auch auf die Genauigkeit beim Rückwärtsfahren auswirkt. Und zu allem Überfluss gibt es noch eine App dazu.
Maurice: Und was die Hanse-Kollegen besonders freute: Das ganze Motorsystem beim Rudder Drive ist extrem leicht ins Schiff einzubauen.
Float: Wie muss ich mir denn nun die Zusammenarbeit bei so einem Projekt genau vorstellen? Sitzt man da Tag und Nacht mit rauchenden Köpfen beisammen oder sieht man sich nur alle halbe Jahre?
Raoul: Das ist wie bei anderen technischen Projekten auch: Zunächst müssen weitere, für die Entwicklung wichtige Partner ins Boot geholt werden. Bei uns ist das die Firma Jefa Marine, die eine spezielle Ruderanlage für den Rudder Drive entwickelt hat. Dann werden Skizzen gemacht, man telefoniert, es folgen erste 3D-Bilder auf dem Computer, alles wird dichter, enger, näher… und irgendwann kommt man zusammen.
float: Das klingt aber sehr entspannt. So etwas braucht doch reichlich Testphasen – habt ihr auch im Wassertank gearbeitet oder den Motor samt Ruder gleich ans Boot gesteckt?
Maurice: Wenn wir es machen, dann machen wir es richtig – das war unser gemeinsames Motto. Wir haben zuerst das Prinzip des Rudder Drives an einer ungleich größeren Hanse-Yacht getestet. Einfach um zu sehen, ob sich die Theorie zumindest ansatzweise auch in der Praxis umsetzen lässt. Wir sind mit der 385 – die einige Tönnchen schwerer ist als die Hanse 315, die jetzt in Serie den Rudder Drive haben wird – einfach mal ein paar Meilen den Fluss rauf und runter gefahren. Und das hat super geklappt. Schon bei diesen ersten Versuchen lernten wir Wesentliches: So haben wir den Ruderausschlag verbessert und den optimalen Arbeitspunkt für den Propeller-Einsatz bestimmt. Aber grosso modo waren wir davon überzeugt: So soll es sein und kaum anders.
float: Es gab doch bestimmt auch mal so richtig fiese Rückschläge, oder?
Maurice: Nein, ehrlich gesagt nicht. Das lag aber in erster Linie daran, dass wir drei Unternehmen, also Torqeedo, Jefa und Hanse auf Augenhöhe miteinander gearbeitet haben. Keiner hat dem anderen in sein Fachgebiet reingeredet. So gab es höchstens mal ein Learning, aber keinen Rückschlag.
float: Neben der technischen Harmonie, spielen aber auch noch andere Fakten bei der Einführung von etwas grundsätzlich Neuem in der Wassersportbranche eine Rolle. Ist es nicht schwierig, bei einem „Riesen“ wie der Hanse Group solche innovativen Ideen umzusetzen?
Raoul: Um ehrlich zu sein, am Anfang haben wir uns bei Hanse gesagt, okay, wir machen das jetzt mal, und wenn es nicht funktionieren sollte, dann rüsten wir das Boot eben wieder auf konventionellen Antrieb um. Jedenfalls haben wir den Test auf der 385 ja nicht alleine gemacht. Wir hatten viele Kollegen aus anderen Abteilungen dabei, sogar der Vorstand kam aufs Schiff – und siehe da: Alle fanden den Rudder Drive richtig gut. Entsprechend gut war unser Etat, um das Prinzip zu entwickeln. Schließlich haben wir ein ganzes Schiff um das Prinzip Rudder Drive herum gebaut. Es stimmt natürlich: So ein Projekt muss gerade in einer Werft mit hoher Serienproduktion auch durch Abteilungen gebracht werden, die das Projekt ausschließlich nach kaufmännischen Aspekten abklopfen. Aber auch dort war und ist man zuversichtlich.
Maurice: Es stimmt schon, die Marine-Branche ist nicht übermäßig innovationsfreudig. Aber vergleichen wir uns mal mit der Auto-Branche: Dafür, dass sich derzeit Automotive mit dem Elektromotor immer noch schwer tut, sind wir in der Wassersportbranche mit dem Thema schon ziemlich weit vorne dabei. Das sieht man etwa daran, dass wir beim Rudder Drive bereits mit dem vierten Motor in Serie gehen. Typ 1 war ein reiner Prototyp, dann folgten zwei Zwischenmodelle und Elektromotor Nummer 4 steckt jetzt in der Serien-Hanse.
float: Gut, dann machen wir gedanklich den Motor mal aus und segeln nur noch. Welchen Einfluss hat denn der Propeller im Ruder auf das Segelverhalten? Das muss man doch merken!
Raoul: Wer es nicht weiß, bemerkt auch nichts beim Steuern. Wir haben das Boot in den Testphasen beim Segeln häufig bis ans Limit gebracht und dabei kein auffälliges Ruderverhalten entdecken können. Wir sind auch bewusst auf die ungünstigste Position gegangen: Flacher Kiel, kurzes Ruder. Wenn es dann klappt – und es klappte hervorragend! – dann funktionieren auch die anderen Kielvarianten. Hydrodynamisch haben wir mit dem Rudder Drive sogar bessere Werte als mit dem Saildrive. Vom hervorragenden Steuerverhalten unter Motor im Hafen mal ganz zu schweigen.
float: Womit wir bei der klassischen Journalistenfrage wären: Wo um alles in der Welt ist denn der Haken?
Maurice: Wenn denn unbedingt einer sein muss – wie bei bisher allen Elektromotoren ist auch der Anschaffungspreis mit einem Rudder Drive höher als bei Verbrennungsmotoren. Zudem ist die Reichweite per se kleiner als bei der Verbrennungsvariante. Doch genau daran arbeiten wir derzeit sehr erfolgreich: Dank des mitlaufenden Faltpropellers kann Energie gewonnen werden. Wir nennen das Hydrogeneration, und ohne uns jetzt hier allzu sehr auf die Schulter klopfen zu wollen: Das ist die Zukunft! Ein Elektromotor, der beim Segeln wieder neue Energie gewinnt!
float: Wir werden es ausprobieren! Wir bedanken uns für das Gespräch.


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