Langsam gleitet unsere 46 Fuß lange Motoryacht mit dem Heck auf den Schwimmsteg zu. Dort wartet die helfende Hand fürs Anlegemanöver. Links von uns liegt, mit weniger als einer halben Schiffslänge Abstand, die gemauerte Wand der Mole. Dann ziehe ich den Joystick der Jeanneau Prestige 460 mit Schwung nach hinten – volle Fahrt rückwärts. Das schwere Boot nimmt Fahrt auf, der Steg kommt näher. Noch näher. Und dann…
Kurz bevor ich unwillkürlich Joystick oder den Doppel-Gashebel nach vorne gezogen hätte, um die offensichtlich kaum vermeidbare Kollision beim Anlegemanöver zu verhindern, verlangsamt unsere Prestige 46 ihre Fahrt. Rund einen Meter vor dem Schwimmsteg kommt die Motoryacht zum Liegen. DockSense sei Dank! Auch seitlich bricht das Boot nicht aus, egal wie sehr ich den Joystick des Antriebssystems zwiebele.

Mit GPS, Kameras und Algorithmen
Die Prestige 460 im alten Hafen von Cannes liegt still. Der „Virtual Bumper“, der durch GPS, Kameras und viel Rechenleistung gesteuerte Abstandhalter namens Raymarine DockSense funktioniert. Bernd Gröneveld von Raymarine Deutschland, der mit an Bord ist, erklärt das Prinzip: Konkret bremst DockSense das per Joystick gesteuerte Boot ab, sobald es sich dem Steg oder anderen Hindernissen nähert. Wie hinter einer unsichtbaren Gummilippe bleibt das Schiff liegen. Dafür sorgt die Objekt- und Bewegungserkennung per Kamera – und jede Menge Software, die von Raymarine im Süden Englands entwickelt wird.
Das im Januar erstmals in Miami gezeigte System ist die erste Lösung für die Freizeitschifffahrt, um mit einem Boot assistiert anzulegen. Fest montierte Baken in den Boxen der Marinas, wie es 2018 von Volvo Penta beim autonomen Anlegen einer 68-Fuß-Motoryacht gezeigt wurde, sind für DockSense nicht notwendig.

Thermokameras machen Wasser durchsichtig
Chris Jones, der im Süden Englands an der Entwicklung von DockSense beteiligt ist, erklärt den technischen Hintergrund. „Wir haben Algorithmen entwickelt, so dass man mit Thermokameras heute buchstäblich übers Wasser sehen kann. Sogar die Struktur der Wasseroberfläche können wir erkennen. Durch spezielle Algorithmen machen wir das Wasser gewissermaßen transparent.“ Alles, was im Wasser schwimmt – Jones nennt es unübersetzbar „non-water objects“ – macht die Technologie sichtbar und bringt es aufs Multifunktionsdisplay. Und löst auf Wunsch einen Alarm an den Bootsführer aus.