„Evo“ wird einfach nicht müde. Stoisch steuert er die Dilly-Dally auch in der fünften Nacht in Folge über den Atlantik. Die hohen Wellen aus Westen lassen ihn kalt, ebenso die Kreuzseen aus Ost und Nord. Es scheint, als habe er einen siebten Sinn für die Wogen, teilweise drei bis vier Meter hoch, die sich in den vergangenen Tagen auf dem Atlantik aufgebaut haben, und unsere Moody 425 wie einen vom Strand abgetriebenen Spielball auf dem weiten Meer tanzen lassen.
Etwas mehr als 600 Seemeilen sind es von Gibraltar auf die Kanaren, die am 17. Dezember nach gut 2.500 Seemeilen durchs Mittelmeer vor uns liegen. Wir rechnen mit gut fünf Tagen und Nächten. Kurs Südsüdwest, immer im gebührenden Abstand zur Küste Afrikas. Vor Marokko tummeln sich bei Nacht viele Fischer auf dem Wasser, die nur schwer zu orten sind. Und sie spannen teilweise meilenlange Netze knapp unter der Wasserlinie.
Die Wetterbedingungen sind alles andere als perfekt. Aber tagelang hingen wir bei strömendem Regen und Sturm vor Gibraltar fest. Als der Wind sich endlich legt, legen auch wir ab. Nichts wie weg. Es sind nur noch wenige Tage bis Weihnachten, und das Fest der Liebe wollen wir lieber in kurzen Hosen im Süden verbringen als mit einem Südwester unterhalb des wolkenverhangenen Affenfelsens.
Schiffschaukel in Endlosschleife
Die Wettermodelle zeigen nur noch moderaten Wind an. Was aber bleibt, ist eine unangenehme Welle auf dem Ozean, die sich langsam von West auf Nord drehen soll. Für uns heißt das: Schiffschaukel in Endlosschleife.

Die Überfahrt auf die Kanaren wird zudem der erste Belastungstest für unser neues Crew-Mitglied. Auch wenn ich es ungern zugebe, aber der Neuzugang ist der wichtigste „Mann“ an Bord. Während wir uns im Schichtdienst durch die tiefschwarzen Nächte quälen, muss er am Steuer eisern durchhalten. Rund um die Uhr, eine knappe Woche lang. Es ist ein Belastungstest der besonderen Art für ihn.
Die Rede ist nicht von Serkan, unserem Freund aus der Türkei, der uns auf dem Atlantik begleiten wird, nein, ich meine unseren neuen Autopiloten, den Raymarine Evolution 200. Wir haben ihn in Ermangelung an Kreativität „Evo“ getauft. Immerhin besser als „Hermann“, so hieß der Autopilot auf dem Boot meines Vaters. Wie wir feststellten, haben die meisten Autopiloten auf Booten einen menschlichen Namen. Selten einen coolen. Aus welchem Grund auch immer.
Langsames Sterben
Wer küstennah segelt, lernt schnell den Komfort eines Autopiloten zu schätzen. Wer auf Langfahrt ist, merkt schnell, dass der Autopilot das wichtigste Crew-Mitglied und damit unersetzbar ist. Nicht nur steuert er besser, weil präziser, als beispielsweise ich. Auch wird er nicht müde. Wie beispielsweise ich.

Als wir im Frühsommer in der Türkei aufbrachen, ahnten wir noch nicht, dass unser alter Autopilot, dessen Alter wir nicht einmal kannten, uns bald verlassen wird. Vielleicht war er auch nur bockig, weil er von uns keinen Namen bekommen hatte. Nördlich von Sardinien begann das langsame Sterben. Oft hört man, dass vor dem Tod noch einmal das ganze Leben an einem vorbeizieht. So ähnlich war es auch bei unserem Autopiloten.
Erst spuckte er noch einmal sämtliche Fehlermeldungen aus, mit denen er in jungen Jahren programmiert worden war, dann begann das Organversagen. Erst fantasierte der Flux-Kompass, woraufhin wir ihn ersetzten. Dann konnte der Autopilot die eingehenden Daten nicht mehr empfangen oder auswerten. Zumindest temporär. Und schließlich, kurz vor dem spanischen Festland, war er gänzlich kraft- und antriebslos. Der Linearantrieb streikte komplett. Wir mussten das Steuer übernehmen. Erst da merkten wir, wie unentbehrlich unser Autopilot ist und wie sehr er uns entlastet.
Vertrauensverlust
Schon auf Nachtfahrten zuvor hatten wir stundenweise das Ruder übernehmen müssen. Zähe Stunden allein an Deck, ohne Kaffee- und Pinkelpausen. Das Steuer immer fest in der Hand. Und wenn der Autopilot doch noch einmal zurückkam, dann fehlte das Vertrauen, ob er durchhalten oder sich wieder sang- und klanglos in den Stand-by-Modus verabschieden würde. Mehrmals hatten wir das erlebt. Wenn die Segel plötzlich wild im Wind schlugen, wurden wir immerhin frühzeitig gewarnt. Unter Maschine allerdings tuckerten wir stur in die falsche Richtung – oder drehten Kreise.

Im spanischen Cartagena gönnten wir dem Antrieb des alten Autopiloten noch einmal eine Erfrischungskur, tauschten die Ritzel aus, die sich über viele tausend aufreibende Meilen abgerieben hatten. Und doch hatten wir das Vertrauen verloren. Vertrauen, das wir für die nahenden Atlantikpassagen jedoch dringend brauchen.