Der auf Computer spezialisierte Heise-Verlag berichtet vor einer Woche über einen Seeunfall. Wieso das? Ganz einfach: Der Zusammenstoß eines Boots mit einer Fähre war auf die Nutzung eines iPads zurückzuführen. Wesentlich dabei: Lag der Fehler beim iPad und der App oder beim Benutzer?
Der Seeunfallbericht, um den es geht, beschreibt eine Nebelsituation mit Sichtweiten von maximal 180 Metern. Schauplatz ist der Humber River nahe der britischen Ostküste. Hier kommt es am 19. Mai 2016 zur Kollision der Fähre „Petunia Seaways“ und der historischen Barkasse „Peggotty“. Der komplette Unfallbericht der zuständigen Marine Accident Investigation Branch (MAIB) wurde nun veröffentlicht. Die Einschätzung des MAIB lautet im Wesentlichen: „Die iPad-App gab den Männern falsches Vertrauen in ihre Fähigkeit, im dichten Nebel zu navigieren.“ Die Konsequenz daraus: Der Besitzer der „Pegotty“ wurde zwangsbeurlaubt, und dem Schiffsführer der „Pentunia Seaways“ wurde zeitweise seine Zertifizierung für den River Humber entzogen.

Ohne WLAN und mit veralteten Karten
Das war geschehen: Bei einer Probefahrt im Rahmen des Verkaufs der später havarierten Barkasse verlässt der Schiffsführer mit einem Vertreter des Interessenten den Hafen im Nebel. Beiden ist klar, dass das Radar wegen des gelegten Masts nicht zur Verfügung steht. Schiffsführer und Mitfahrer, beide sind Inhaber eines RYA-Yachtmasters, beschließen, bei der Nebelnavigation auf AIS-Daten zu vertrauen und nutzen hierfür ein Tablet von Apple. Per AIS lassen sich bekanntermaßen die Positionen anderer, entsprechend ausgerüsteter Schiffe zuverlässig und weltweit anzeigen.
Kurz nach Verlassen des Hafens verliert das iPad allerdings das WLAN-Signal, und die Navigations-App stellt ihren Dienst ein. Diesen Umstand bemerkt die Barkassen-Crew allerdings nicht sofort. Ansonsten standen an Bord noch ein Kartenplotter (mit veraltetem Kartenmaterial) und papierene Seekarten (ohne Navigationsbesteck) zur Verfügung.
Erst kurz vor dem Zusammenstoß bemerkt die Crew der Barkasse, dass sie nicht mehr auf dem geplanten Kurs ist, als sie nämlich ein Nebelhorn hören. Das Signal stammt von der Fähre, wo man auf dem Radar eine nicht ganz klare Reflektion gesehen hat. Kurz danach kommt es zum Zusammenstoß. Die Barkasse sinkt, beide Besatzungsmitglieder können sich in einer Rettungsinsel in Sicherheit bringen. Auf der Fähre wurde die Kollision nicht bemerkt.
Nette Ergänzung, fahrlässig eingesetzt
Was lernen wir daraus? Technische Hilfsmittel wie Smartphones und Tablets sind eine nette Ergänzung für die Navigation. Für diesen Gerätetyp gibt es einige sehr gute Navigationsprogramme, die auch offline arbeiten. Sich aber einzig und alleine auf AIS-Daten in einer Karte zu verlassen, ist eine Fahrlässigkeit. Ohne eine Online-Verbindung sind diese Geräte nicht in der Lage, aktuelle AIS-Daten zu erhalten – ganz davon abgesehen, dass die meisten Sportboote kein aktives AIS an Bord haben, sprich ihre Daten gar nicht senden.
Die typischen AIS-Apps für Smartphones und Tablets eignen sich hervorragend, um zu schauen, wie das vorbeifahrende Schiff heißt, wo es hin will und wie groß es ist. Das kann allerdings nicht als Grundlage für die Navigation dienen.
In der Praxis habe ich öfter erlebt, dass die Daten dieser Apps zeitlich hinterher laufen. Sprich: Die angezeigte Position auf dem Smartphone entsprach nicht der tatsächlichen aktuellen Schiffsposition.
Smarte Zeiten vs. Seemannschaft
Auch in der heutigen modernen, smarten Zeit gelten die Tugenden der Seemannschaft. Bei dichtem Nebel den Hafen zu verlassen, ist ein Wagnis. Man sollte sich genau überlegen, ob das notwendig ist – denn nicht alles, was auf dem Bildschirm einfach aussieht, ist in der Realität auch umsetzbar. Mit Radarunterstützung sicherlich machbar, wird eine Nebelfahrt ohne Radarhilfe schon deutlich schwieriger.
Im Fall vom Humber River führte eine größere Summe an Fehlern zur Havarie: Hätte die Crew aktuelles Kartenmaterial auf dem Plotter gehabt und hätte sie diesen genutzt, wäre die Barkasse nicht versehentlich in die Fahrrinne gekommen. Hätte man Navigationsbesteck mitgehabt, hätte man den Kurs mittels GPS klassisch auf dem Papier mit-tracken können.
Bei guter Seemannschaft wäre diese Kollision vermeidbar gewesen – ein Glück, dass kein Mensch dabei zu Schaden kam.