Die „Talisman“ begann als reines Segelschiff: Als der berühmte Segelyachtbauer Henry Rasmussen sie zeichnete, waren Hilfsmotoren auf Lustbooten, wie man die schnellen Segler fürs Freizeitvergnügen vor über 100 Jahren nannte, noch verpönt.
Jetzt ist der Urzustand wieder hergestellt – beinahe, denn ein nahezu unsichtbarer und unhörbarer Flautenschieber hat den lange eingebauten Dieselmotor ersetzt.
Natürlich kann es sich nur um einen Elektromotor handeln. Er mobilisiert die Talisman auch bei Flaute, ohne durch Lärm, Abgas und Vibration unangenehm aufzufallen. Damit alle Aufmerksamkeit auf der Schönheit des Segler liegt, wie schon 1920. Damals lief der so genannte Tourenkreuzer als Baunummer 944 bei der berühmten Yachtwerft Abeking & Rasmussen in Lemwerder bei Bremen vom Stapel.
Selbst bei A&R, die zahlreiche legendäre Regattayachten bauten und sich mit den Hansa-Jollen auch unter Jollenseglern Meriten erwarben, genießt die Talisman einen Sonderstatus. Sie ist nämlich die erste Stahlyacht, die dort entstand. Doch sogar Stahl sieht nach 99 Jahren alt aus, und so war der Zweimaster 2019 reif für eine grundlegende Instandsetzung.

Dabei ging es um mehr, als bloß die zahlreichen Schäden, die ein Gewitter 2014 und allgemein der Zahn der Zeit angerichtet hatten, zu beheben. „Wie hätte Henry Rasmussen sein eigenes Boot hundert Jahre nach der Konstruktion verbessert?“, war die Fragestellung, unter der die renommierte dänische HCC Badeverft sich der 23 Meter langen Kielyacht widmete.
Elektrifizierung bei Klassikern populär
Unter Klassiker-Seglern ist Elektrifizierung ein angesagtes Thema, sagt float-Autor Tommy Loewe aus Hamburg, selbst stolzer Eigner einer alten Holzyacht, übrigens gleichfalls ein Opus von A&R: „Auch ich träume von einem Elektromotor.“
2021 habe ein Symposium für Klassiker-Besitzer sich eigens damit beschäftigt, anhand zweier Anwendungsfälle die Möglichkeiten auszuloten: der Gaffel-Drachen von André Herbst und einer 12mR Yacht vom Beginn des vergangenen Jahrhunderts.
Weitere Projekte, die die Szene mit Interesse verfolgt: ein Schärenkreuzer aus den 1950er Jahren mit Innenborder sowie zwei Knarr-Boote, von denen eines zumindest von einem Torqeedo-Außenborder auf einen POD-Drive umgerüstet wurde, weil das Handling einfacher und die Optik schöner ist.

Die französiche Kreuzerjacht Rafale aus den 1930er Jahren – ein echter Hingucker auf jedem FKY-Event – soll in der Saison 2024 ebenfalls einen E-Antrieb erhalten, um lautlos in die Häfen einlaufen zu können. Ihr Eigner, ein Ingenieur, der auf der Straße schon lange elektromobil ist, hat den Antrieb selbst entworfen. Loewe: „Er soll leicht und vergleichsweise preiswert sein, es fehlen nur noch ein paar Chips für die endgültige Fertigstellung.“
Viele weitere Eigner schöner alter Holzjachten liebäugeln mit einem E-Antrieb, ergänzt der Segler. Loewe: „Der hohe Preis und fehlendes Vertrauen in die neue Technologie sind oft noch ein Hindernis, das von aber sicher früher oder später überwunden wird.“
Eine gewaltige Sicherheitsreserve
Bei der Talisman mangelte es weder an Geld noch an Vertrauen. Die Frage, wie der legendäre Yachtdesigner Rasmussen wohl vorgegangen wäre, kulminierte beim Antrieb. Ursprünglich hatte die Talisman, wie damals üblich, keinen Hilfsmotor besessen. Wer ein Lustboot besaß, verfügte auch über die Crew, das Schiff notfalls bis an den Steg zu segeln oder zu pullen.
Ein 35-PS-Diesel als Flautenschieber und Manövrierhilfe kam erst sieben Jahre später dazu. Also lag es nahe, nahezu komplett auf erneuerbare Energien umzustellen: Jetzt fährt die Yacht mit Windkraft (wie schon vor 102 Jahren) oder wahlweise mit einem Torqeedo-Innenborder.

Der Motor vom Typ Deep Blue mit 100 kW/136 PS bringt das Stahlschiff in Fahrt, wenn nicht genügend Wind weht. Zum Manövrieren erhielt die Talisman zusätzlich ein 25 kW / 35 PS starkes elektrisches Bugstrahlruder. Verglichen mit den 35 PS der ersten Zeit ist das nicht nur eine gewaltige Sicherheitsreserve, es ist auch ein Zugewinn an Komfort. Unter günstigen Bedingungen kann eine erfahrene Person allein das Schiff mit geborgenen Segeln an- und ablegen.
Die Energie holt er Motor sich aus einem 120 kWh starken Akku, den Solarzellen auf Deck permanent nachladen. Allein mit der vollen Batterieladung aus dem Landstrom soll die Talisman maximal 189 Seemeilen bei sechs Knoten Fahrt absolvieren können, also rund 32 Stunden ununterbrochen motoren.