Sea.AI heuert auf immer mehr Schiffen an. Auch bei der Regatta Transat Jacques Vabre klammert sich der digitale Assistent bei einigen Imoca-Rennyachten an die Mastspitze – und hält Ausguck nach Treibgut, Walen und anderen potenziellen Hindernissen.
Die erfolgreiche Regattaseglerin Clarisse Crémer hat ihn ebenfalls an Bord, und sie weiß nur Gutes zu berichten. Unter anderem, wie das elektronische Späh-System sie 2020 bei der Vendée Globe vor einer Kollision bewahrte. Aktuell segelt sie mit Sea.AI-Warnsystem beim Transat Jacques Vabre in der Imoca-Klasse unter den ersten zehn.

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Die Straße als Vorbild: Vor 20 Jahren hatte der Kollisionswarner in Deutschland Premiere. Toyota bot ihn in seiner Luxus-Limousine Lexus LS 430 an. Heute ist der Sicherheits-Assistent, der über Radar und Infrarot-Sensoren Fußgänger und andere Objekte auf der Fahrbahn identifiziert und einen Alarm im Cockpit auslöst, fast schon Standard. Und auf dem Wasser scheint die Entwicklung ähnlich zu verlaufen.
Das Startup Sea.AI hat ein solches Produkt als eines der ersten zur Serienreife gebracht und bei der Vendée Globe und anderen prominenten Hochseeregatten erfolgreich getestet. Nun befindet man sich bereits in der Vermarktung und hat dafür das Produkt diversifiziert: Es gibt den Kollisionswarner in Ausführungen für Großschiffe, für Segelyachten und größere Motorboote sowie für Rennyachten.
Über den Sinn eines solchen elektronischen Assistenten braucht kaum diskutiert zu werden: Überall im Meer schwimmen nicht nur Boote aller Art, sondern tückisches Treibholz und verloren gegangene Container. Auch Zusammenstöße mit Walen sind ein Risiko. Im Küsten- und Binnenbereich wächst zudem die Gefahr von Kollisionen durch die wachsende Verkehrsdichte.
Schwimmer in bis zu 150 Meter Entfernung
So ist es äußerst wahrscheinlich, dass auch auf dem Wasser Kollisionswarner an Bord bald schon ein ganz normales Feature sein werden wie GPS oder AIS-Transceiver. Denn die hilfreiche, KI-gestützte Technologie wird immer besser – und immer erschwinglicher. Bei Sea.AI liegt der Einstiegspreis inzwischen bei 10.990 Euro. Nicht viel für einen digitalen Steuermann, der nicht trinkt, nie schläft und bei Nacht und Nebel das ganze Schiff im Millionenwert samt Besatzung retten kann.

Für diesen Preis erhält man das System „Offshore One“ für seegehende Segelyachten ab acht Meter. Das Kit enthält die charakteristische dreiäugige Kamera (für Wärmebild und optische Orientierung), die mit dem Rechengehirn in einer kompakten Einheit im Masttopp installiert wird, sowie die dazugehörige Software inklusive Schnittstelle zum gewünschten Endgerät.
Damit lässt sich über das Smartphone, Tablet, Plotter oder ein anderes Multimedia-Interface das Fahrwasser observieren. Bis zu hundert Meter vor dem Bug identifziert Offshore One kleinere Objekte wie zum Beispiel Schwimmer oder die aus dem Wasser ragende Ecke eines treibenden Containers, bis zu tausend Meter weit späht das elektronische Auge andere Yachten auf Gegenkurs aus.
Version „Competition“ für den Regattasport
Warum wird es immer besser? Weil jedes Boot, das ein Produkt von Sea.AI an Bord hat, seine Daten mit dem zentralen Firmenrechner teilt und so von dem maschinellen Lernen der künstlichen Intelligenz profitiert. Es wird also immer kompetenter im Erkennen von echten Gefahren, die Wahrscheinlichkeit von Fehlalarmen sinkt permanent. Die erlernten Fertigkeiten machen es auch möglich, dass der Kollisionswarner sich nicht damit begnügt, ein Objekt identifiziert zu haben. Er kann es auch verfolgen, um eine neuerliche Kollisionsgefahr durch Kurswechsel auszuschließen.
Als Oscar, ein Akronym für Optical System for Cognition and Ranging, war das Projekt vor wenigen Jahren gestartet. Nun findet es als Sea.AI zusehends Verbreitung und ist damit auf dem direkten Weg zur „Demokratisierung“, also der Verbreitung im Massenmarkt. Die nächstgrößere Ausführung „Sentry“ (englisch für „Wachtposten“) eignet sich laut Hersteller für kommerziellen und behördlichen Einsatz auf großen Einheiten und ebenso auf Motoryachten.

Die Version „Competition“ für den Hochsee-Regattasport schließlich ist erst vor kurzem dazugekommen. Sie gibt es in zwei Ausführungen: Competition 320 zum Systempreis von 26.990 Euro und das Top-Produkt Competition 640 für 38.990 Euro. Sie enthalten ebenso wie alle Produkte von Sea.AI Kamera- und Rechnereinheit sowie Software.
Die Topversion 640 späht, dem hohen Tempo foilender Rennyachten angepasst, noch weiter: Schwimmer oder ähnlich kleine Objekte können sogar bis zu 150 Meter entfernt, kleinere Boote bis 750 Meter weit identifiziert werden.
Kooperation mit X-Yachts aus Dänemark
Die erfolgreich gestartete Marktdurchdringung wird auch durch eine erste Werftkooperation deutlich: So haben die dänischen X-Yachts begonnen, Sea.AI als Ausrüstungsbestandteil an Bord ihrer Boote zu integrieren. Erstmals erhielt eine X49E mit Elektroantrieb im Sommer 2022 den Kollisionswarner. Innerhalb von 2.700 Seemeilen Fahrt in der ersten Segelsaison habe das System mehrere potenziell gefährliche Zusammenstöße vereitelt, so berichtet Sea.AI.

Eine besondere Herausforderung stellen die Polarmeere dar. Um hier mehr Daten zu gewinnen, kooperiert Sea.AI seit dem Sommer mit dem französischen Reiseveranstalter Latitude Blanche, Spezialist für Entdecker-Kreuzfahrten zum hohen Norden. Sein Expeditionsschiff Polarfront, ein ehemaliges Wetterschiff aus Norwegen, sammelt Daten für die Software des Kollisionswarners.
Der nächste Schritt ist naheliegend – und schon projektiert: Sea.AI will sein System mit den klassischen Navigations-Medien Radar und AIS verheiraten. Damit würden bis zu 360 Grad rund ums Schiff redundant überwacht, was die Exaktheit der Prognosen beträchtlich verbessern würde. Der Name des Multi-Media-Kollisionswarners: Exos 24.
Exos 24 mit selbstständigem Kurswechsel
Wie der Name nahelegt, soll das System im kommenden Jahr eingesetzt werden. Und zwar auf der Vendée Globe 2024. Es geht in Richtung autonomes Navigieren: Boote sollen selbstständig einen Kurswechsel vollführen, wenn die Software eine Kollisionsgefahr erkannt hat. Die Projektpartner sprechen auch von einem „Hindernis-Vermeidungs-System“.

In dem Projekt haben sich neben Sea.AI auch die Unternehmen Pixel Sur Mer und Ensta Bretagne zusammengefunden. Die beiden IT-Firmen werden bei der Algorithmen-Entwicklung kooperieren. Dazu ziehen sie außerdem das Forschungsteam von Robex hinzu – einem Unternehmen, das es zu Expertise bei unterseeischen Forschungsrobotern gebracht hat.
Natürlich ist die Imoca-Klasse lediglich das Testfeld für die Welt: Sea.AI betont immer wieder, dass alle Erkenntnisse aus der Sicherheits-Unterstützung auf Hochseeregatten am Ende der gesamten Seefahrt zugute kommen sollen. Das erinnert an den Motorsport: Auch hier diente das Engagement der Hersteller auf der Rennstrecke am Ende allen. Der Kreis schließt sich.