Der kleine Angus lebt mit seiner Mutter und mehreren Geschwistern Ende des 17. Jahrhunderts auf St. Helena. Schon in dieser Zeit ist die abgelegene Insel, die rund 200 Jahre später Ort der Verbannung für Napoleon Bonaparte werden soll, eine Besitzung der britischen Krone, die dazu diente, deren Schiffe mit frischen Vorräten zu versorgen. Selten verirrt sich jemand hierher, das Klima ist rauh, die Natur ärmlich.

Der Mann, der Jahrzehnte danach Leiter der Sternwarte in Greenwich und Namensgeber für den berühmten Kometen werden wird, beobachtet auf St. Helena tagsüber Vögel und nachts den Sternenhimmel. Zugleich nimmt er den siebenjährigen Angus, bei dessen Mutter er wohnt, unter seine Fittiche – und bildet ihn darin aus, seine eigenen Wahrnehmungen zu dokumentieren.
Der Junge träumt davon, eines Tages die Insel hinter sich lassen zu können. Nach London möchte er, und dort noch mehr lernen, um so zu werden wie sein großes Vorbild. Während seine Mutter zur Haushälterin und Geliebten des Pastors wird, der dem Jungen Lesen beibringt, wird das Leben der Inselbewohner durch die wachsende Tyrannei des Gouverneurs zusehends erschwert.
Gleichzeitig wütet auch hier der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten. Religiöse Fanatiker verschleppen Angus uneheliche Geschwister. Eines taucht verstummt wieder auf, das andere bleibt spurlos verschwunden. Und auch Angus wird bedroht.
Der Junge zählt Vögel und beobachtet Sterne
Der feinsinnige und wissbegierige Junge hält sich in dieser Situation stur an der Aufgabe, die ihm der Forscher vor seiner Abreise aufgab, fest. Er zählt Vögel und beobachtet Sterne.
„Niemand auf der Insel ist derselbe wie ich und niemand sieht den Himmel besser als ich durch das Loch der Araukarie. Wenn es einem so vorkommt, hat man ein hohes Gefühl in sich und kann keinen Moment still stehen und nichts denken. Aber wenn sich in der Nacht mehr Wolken oder Nebel zusammenballen, legt sich das Gefühl und wird wieder normal. Eigentlich hat der Mensch ein Meer in sich.“
Mit den täglichen Beobachtungen der Greueltaten reift der Verstand des Jungen. Mit derselben Akribie und Genauigkeit, mit der er seine Beobachtungen beschreibt, benennt er, ohne es wirklich zu verstehen, die Grausamkeiten, die er sieht.
Da niemand die Insel verlassen darf, schickt der Ziehvater den Jungen als blinden Passagier auf einem Segelschiff mit einem Brief auf geheime Mission nach London. Mit Halleys Unterstützung soll er dem König Bericht erstatten, damit dieser der Tyrannei ein Ende setze.
Doch der Junge wird während der Überfahrt nach London entdeckt. In London angekommen, schlägt er sich zu seinem Meister durch, wird von dessen Frau erst abgewiesen und dann doch vorgelassen. Langsam entwickelt sich Vertrauen zueinander.
Glaube versus Wissenschaft
Der Roman erzählt die Geschichte eines Jungen in den Zeiten der Aufklärung. Widerstreitende Vorstellungen von Wissen und Glauben, das Streben nach Befreiung von den Unterdrückern und die Erforschung der Natur sind der inhaltliche Nährboden für den Romans.

„Auf etwas Neues zu kommen heißt, dass man etwas messen kann, nachdem man die Art gefunden hat, wie man es misst“, stellt der Junge aufgeklärt fest.
Jalonen fordert seine Leserschaft heraus
Angus selbst wird dabei zum Exempel seiner wissenschaftlichen Studien. Er lernt seiner begrenzten Welt zu entfliehen und zahlt dafür einen hohen Preis. 100 Jahre später wird der Philosoph und Sprachwissenschaftler Ludwig Wittgenstein sagen: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“
Jalonen fordert seine LeserInnen heraus. Das Buch ist keine leichte Lektüre, aber er belohnt seine LeserInnen mit sprachlicher Dichte, Poesie und zeitgeschichtlichen Hintergründen. Angus steht für die Entwicklung des Humanismus in einer Zeitenwende zwischen Himmel und Erde, Gott und Mensch. Wir wissen schon, wie das Ringen ausgeht – Angus weiß es noch nicht.

Olli Jalonen
mare Verlag Hamburg
544 Seiten, gebunden, mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-86648-609-6
26 Euro
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