Der Zeitpunkt für die Premiere des neuen Außenbordmotors wirkt wie bewusst gewählt: Als Branchenriese Brunswick uns den Mercury V10 Verado im November 2022 im Norden Floridas vorstellt, läuft zeitgleich nur wenige Kilometer entfernt der erste Raketen-Countdown des neuen US-Raumfahrtprogramms Artemis. Das Motto hier wie dort: Viel Schub für die Menschheit.
Auf den „Mercury Experience Days“ am 17. und 18. Juni 2023 könnt ihr den Mercury V10 in Düsseldorf im Medienhafen ausprobieren. Und mit float sogar einen Mercury Avator, den ersten Elektroaußenborder des Branchenriesen, gewinnen. Mehr Infos gibt’s vor Ort. Jetzt anmelden. Wir sind für euch da!
Während die NASA nach 50 Jahren wieder Menschen zum Mond fliegen lassen will, liegt für Mercury das Vorbild zeitlich deutlich näher: Die neuen 5,7-Liter-Motoren, die wir nahe Orlando kennenlernen, schließen eine letzte Lücke bei Brunswicks starken Benzinmotoren.
Und zwar die zwischen dem Zwölfender V12 Verado mit 600 PS (hier im float-Praxistest) und dem Mercury Racing 450R, den wir nach unserer Probefahrt Mercurys Maximal-Maschine genannt haben.
Die Nummer 2 hat 400 PS
Der neue Motor in Zahlen: Als erster V10-Saugmotor bei Außenbordern passt der 316 kg leichte Motor in den gleichen 26-Zoll-Einbauraum wie die weit verbreiteten V8-Mercurys. Zum Vergleich: Der V12 Verado ist mit 572 kg mehr als 30 Prozent schwerer. Das Einbaumaß sorgt für sehr gute Kompatibilität der V10-Motoren mit aktuellen Bootstypen. Die 350 respektive 400 PS (je nach Leistungsstufe) begnügen sich dabei mit Standard-Superbenzin (95 ROZ).
Die „adaptive Geschwindigkeitsregelung“ – man könnte es, kaum weniger eckig formuliert, auch automatisierte Leistungsanpassung nennen – hält die Motordrehzahl unabhängig von der Last konstant. Damit wird das Fahren bei hohem Wellengang angenehmer und auch das Schippern bei niedrigen Geschwindigkeiten geschmeidiger. Das fiel uns bereits bei der Premiere des V8 Verado 2018 (siehe float-Praxistest) positiv auf.
Vor Alligatoren wird gewarnt
In Brunswicks eigenem Test-Revier Lake X, von Buschland umgeben, liegen an zwei Testtagen zwei Dutzend sehr unterschiedliche Motorboote für unsere Probefahrten bereit. Auf dem von Mercury-Gründer Carl Kiekhaefer in den 1950er-Jahren gekauften Binnensee lernen wir den Mercury V10 Verado in verschiedenen Konfigurationen kennen.
Und machen noch dazu Bekanntschaft mit den speziellen Eigenheiten des erdig braunen Testgewässers: Denn noch am Morgen erst ist ein junger Alligator von gut anderthalb Metern Länge im grasumstandenen Naturhafen gesichtet worden.

Wir sind ausführlich unterwegs mit vier Booten, die für das gesamte Leistungsspektrum des Mercury V10 Verado stehen. Wir fahren die brandneue Sea Ray 260 (ausführlicher float-Bericht folgt) mit Single-Motorisierung – und das federbettweiche Pontonboot Harris 250 Grand Mariner.
Außerdem sind wir an Bord des schnellen US-Sportfischerboots Caymas 28 HB – und schließlich auf Schnellfahrt mit der ganz großen Freeman 47 T. Das bullige Fischerboot hat vier, jeweils 400 PS starke Außenborder am Heckspiegel. Europäer müssen das nicht verstehen: Es ist möglich, an dem 14,32 Meter langen Boot bis zu sechs Motoren parallel laufen zu lassen.
Ein Mercury kreischt nicht
Relevant für Europa sind vor allem die Varianten mit ein oder zwei Motoren. Bei einer Leistung von 350 oder 400 PS pro Motor nimmt es nicht wunder, dass die Laufkultur – also die Geräuschentwicklung, Reaktionsfreude und Kraftreserven beim Beschleunigen – des neuen Verado hervorragend ist. Selbstverständlich kavitiert hier kein Propeller, auch nicht bei sehr scharf eingeschlagenen Kurven oder dem Queren selbst produzierten Schwells.
Vom leisen Wummern bei Kanalfahrt bis zum angenehmen Vollast-Laufton bei V/max geht das akustische Spektrum – ein Mercury kreischt nicht. Auch „klassische“ Werte wie die Zeit zur Beschleunigung von Null bis zur Gleitfahrt und das Maximaltempo sind klasse.
Prompt und verlässlich
Die Caymas 28 HB – einem klassischen Anglerboot, mit dem Sportfischer möglichst schnell zu den Fanggründen offshore fahren – ist gut, um die souveräne Beschleunigung zu erleben und die ideale Marschfahrt als Cruiser, die hier bei rund 20 Knoten liegt. Am ehesten vergleichbar mit in Europa bekannten Modellen ist der Fischer-Flitzer beispielsweise mit der etwas stärker motorisierten Wellcraft 355.

Bei Kurvenfahrt zeigen die Motoren erneut, dass sie prompt und verlässlich reagieren – kein Luftziehen, kein merkliches Absinken der Drehzahl. Mit der Caymas 28 HB aus Tennessee erreichen wir 46 Knoten in den dunkelbraunen Gewässern des Lake X – das entspricht 85,29 km/h. Der Boat Captain berichtet, dass sogar 47,6 Knoten erreicht wurden. Beeindruckend, wie schnell wir mit diesem Doppelstufenrumpf von Michael Peters Yacht Design zum Fisch kommen können.
Geh’ und spiel’ mit dem Riesen
Zwei Nummern größer ist die Freeman 47. Das Motto der Werft: „Anders als alles, was Sie je erlebt haben.“ Ich stimme zu. Dazu trägt sicher die Tatsache bei, dass hinter dem loftgroßen Achterdeck für viele, viele Angler gleich vier der 400 PS starken V10-Verados montiert sind. Was geht? Geführtes Fahren – ans Steuer dürfen wir nicht.

Der Antritt ist dabei ebenso leichtfüßig wie kraftvoll wie bei allen anderen Booten, die wir an beiden Testtagen kennenlernen. Die vierblättrigen Revolution-X-Propeller mit 27 Zoll Steigung tun das Übrige, um das Boot in 8,1 Sekunden auf 26 Knoten Fahrttempo zu bringen. Dabei herrscht weitgehend Ruhe vom Heck her. Nur bei der Übung, das Boot exakt auf der Stelle zu halten – mehr zu Skyhook weiter unten im Text – arbeiteten die vier Kraftpakete sehr geräuschvoll.
Mit 64 Knoten, entsprechend 119 km/h, schiebt das Mercury-Quartett uns acht Journalisten und das schwere 14-Meter-Boot über den See. Der Verbrauch ist mit 133,5 Gallonen – entsprechend 505 Litern – pro Stunde beim Maximum allerdings auch relativ aus der Zeit gefallen.
Auch den „Captain’s Call“ gibt es immer noch. Wahlweise lässt sich der Motor annähernd stumm schalten, oder aber mit kehligem V8-Brummen betreiben, „wenn du die PS so richtig hören willst“. Nö, heute nicht.
Wolke auf dem Wasser
An Bord des Pontonboots Harris 250 Grand Mariner erwarte ich nicht viel: ein Sofa auf dem Wasser. Etwas zum eher gemächlichen Tuckern, nicht wahr? Dieses Vorurteil hatte mich für Jahre getäuscht. Die beiden Pontons sorgen dafür, dass das Boot ähnlich einem Katamaran auf dem Wasser zu floaten scheint – und geringer Widerstand ist bekanntlich gut fürs komfortable, treibstoffsparende und auf Wunsch schnelle Fahren.
Die Pontons wirken wie Wavepiercer. Sie schneiden die Wellen wie weiche Butter und sorgen für tolle Spurtreue auch bei Highspeed. Unsere Wolke auf dem Wasser erreicht 41 bis 43 Knoten auf dem See, und wir fragen uns: Kommt bald Sturm auf? Es ist aber nur der orkanartige Fahrtwind, der das Haupthaar ergrauter Bootstester umschmeichelt.

Dem Komfort-Programm der Werft entsprechend, erfreut mich die Harris 250 auch durch die Integration der drei Motoren an Bord – dem Hauptmotor und zwei Bug- und Heckmotoren – mit dem Joystick. Die Motorguide-Trollingmotoren vorn und hinten fahren bei Bedarf herunter ins Wasser und dienen als Ersatz für traditionelle elektrische Bug-und Heckstrahler.
Die Magie entsteht dann, wenn man mit dem Joystick das Boot beim Anlegen punktgenau Richtung Steg dirigiert. Das macht Spaß, besonders wenn man – wie auf einem Sofa – mit zwölf Freunden bequem weit oben sitzt.
Dass Pontonboote noch immer das am schnellsten wachsende Boots-Segment in den USA sind, verwundert angesichts der Komfort-Versessenheit der Amerikaner nicht. Universell beliebt sind die floating hi-speed couches als Sport-, Ausflugs- und Dinner-Boot – nur schnell und bequem muss es sein.
Macht die Sea Ray zur Rakete
Die brandneue Sea Ray 260, die wir ebenfalls in Florida kennenlernen, fährt sich mit dem V-10 Verado als Einzelmotorisierung beinahe zu gut. Die 350-PS-Variante des neuen Verado V-10 ist das Maximum, das sinnvoll sind. Mit einem 300 PS starken Motor sind Eignerin oder Eigner ebenfalls bestens bedient.

Wir erreichen auf dem See die – wenige Tage zuvor schon einmal vom Werksteam gemessene – Höchstgeschwindigkeit von fast 46 Knoten, bei 6.381 Umdrehungen pro Minute und einem immer noch angenehmen Motorengeräusch. Die 26 Fuß lange Runabout läuft, wie alle unsere Testboote, mit einem Revolution-X-Prop mit 20 Zoll Steigung. Bei höherer Drehzahl hat der Motor noch ungewöhnlich viel Reserven. Jeder Schubs am Gashebel führt zu weiterem Schub – deutlich merklich bis in die höchsten U/min-Lagen.
Interessant ist der Blick auf den Spritverbrauch bei unterschiedlichen Drehzahlen: Das Optimum – also die maximale Reichweite – bei Gleitfahrt liegt bei 4.000 U/min, wobei das gesamte Band von 3.500 bis 5.000 U/min auf einem vergleichbaren Niveau liegt. 310 Kilometer Reichweite bietet das Boot bei 4.000 U/min mit einer Füllung des 283 Liter fassenden Tanks.
Die neue Sea Ray 260 ist, in allen Motorvarianten, ein rundum freundliches Schiff für Familien und sportliche Touren – und damit meine ich Wassersport am Haken oder auf dem Board, nicht Flitzen. Mehr zur Sea Ray 260 in Kürze im float-Bericht.
Von Props und Generatoren
Neu sind die auf den V10 Verado abgestimmten Revolution-X-Propeller. Mit großem Durchmesser, breiten Flügeln und – das ist die dritte Zutat – einer niedrigen Getriebeübersetzung geben sie dem ohnehin starken Motor große Durchzugskraft – wie wir an Bord merken werden. Merke: Je größer die Steigung ist, umso mehr Schub nach vorne kann der Propeller leisten.
Mit starken Lichtmaschinen im Motor will Mercury die Stromerzeugung per Generator an Bord überflüssig machen. Die als Extra in den V10 integrierbare 48/12-Volt-Lichtmaschine kann mit dem Bordstrom-Managementsystem Fathom e-Power gekoppelt werden. Lithium-Ionen-Akkus versorgen alle „Hotel Loads“, also Stromverbraucher an Bord und werden von den Motoren selbst permanent aufnachgeladen.
Am Lake X, dem Testzentrum von Brunswick, hatte das System seinen Auftritt als Sidekick: Ursprünglich von Mastervolt entwickelt, wird Fathom jetzt unter dem Namen der Brunswick-Marke Navico vermarktet. Namensgeber für Fathom ist übrigens die klassische nautische Einheit Faden für Tiefenmessungen. Ein Faden entspricht sechs Fuß oder der Spannweite beider Arme eines ausgewachsenen Mannes. Sagt Wikipedia.
Integration in die Mercury-Welt
Sehr nützlich ist die Integration aller Bedien- und Hilfssysteme, die Mercury Marine bietet, in den neuen Motor. Dazu gehört die Fahrt mit zuvor gesetzten Wegepunkten im Autopilot-Modus. Zusammen mit dem automatischen Trimm kommt das Bootfahren hier dem Autofahr-Komfort schon sehr nahe.
Auch der virtuelle Anker Skyhook, bei dem die Motoren das Boot GPS-gesteuert auf derselben Position halten, ist so ein SmartCraft-Feature. Es ist sinnvoll in flotten Fließgewässern, wenn man vor der Schleuse wartet, oder beim Umsteigen von Boot zu Boot auf See.
Speziell ist das Mercury-System durch drei verschiedene Modi. Entweder ist die Bootsspitze der Fixpunkt, und das Boot schwoit um den Bug herum. Oder, beim Drift Hook, ist das Heck fix. Oder das Boot behält die Ausrichtung, in der es bisher gewesen ist.
Die Ansteuerung von Bug- und Heckstrahler, deren punktgenaue Bedienung einige Kenntnis erfordert, ist in den Joystick integriert. So kann die komplette Steuerung bei Hafenfahrt oder kleinteiligen Manövern auf See einfach über den Drehknauf des Joysticks gemacht werden. Und so muss man nicht, der vielarmigen Hindu-Göttin Kali gleich, die Rumpfdüse separat nutzen.
Technische Daten Mercury V10 Verado
Leistung: 400 / 350 PS
Hubraum: 5,7 Liter
Gewicht: 316 kg
Zylinder: 10
maximale Drehzahl (U/min): 6.400
Getriebeübersetzung: 2,08:1
Schaftlängen: 20, 25, 30, 35 Zoll
Aussicht auf mehr
Mercurys 2021 vorgestellter V12-Verado war der erste Außenbordmotor der Welt, der über ein automatisches Zweigang-Getriebe verfügt. Der neue V10 Verado muss ohne dieses Feature auskommen. Auch das spektakuläre Feature, dass sich nur die Antriebseinheit unter Wasser neigt, aber nicht der gesamte Motor, ist dem größten Verado vorbehalten.
Dafür gibt es bereits eine weitere Ankündigung – Achtung, Spoiler: Die V10-Verado-Motoren sind mit dem neuen elektrischen Steuersystem von Mercury für Multi-Außenborder kompatibel, das im Februar 2023 auf den Markt kommen soll. Etwa zeitgleich wird der Launch des ersten Modells von Mercurys neuer Elektro-Außenborderserie Avator erwartet. Viel Zukunft voraus.