Ich erinnere mich noch an meinen ersten Außenborder, das war so ein vorsintflutliches Ding russischer Produktion namens Wietierok 8M. Die Typenbezeichnung ist mir ins Gedächtnis gemeißelt, sie steht für acht PS. Er knatterte und stank und schaffte es mit Mühe, unser Boot auf etwa sieben Knoten zu bringen. Was war ich beeindruckt…
Heute stehe ich vor einem gigantischen Motor, fast größer als unser ganzes Boot von damals! Er heißt Mercury Racing 450R. Und die Abkürzung bedeutet nichts anderes, als dass hier die Energie von rund 56 meiner kleinen Wietieroks rauskommen soll.

Das Ding scheint aus einer anderen Welt zu stammen. Es ist der stärkste Außenborder, den Mercury je gebaut hat. Ein reiner Rennmotor, aber mit 95-Oktan-Tankstellensprit betrieben und für jeden zugänglich, der Willens und finanzstark genug ist.
Enger Zylinderwinkel
Den Mercury Racing 450R hat Mercury inhouse entwickelt. Er wird in Wisconsin auf der firmeneigenen Mercury Racing Produktionslinie hergestellt und basiert auf dem gleichen 8-Zylinder-Block aus Vollaluminium wie der kleinere 300 PS starke Verado V8, den wir unter dem Titel Kennzeichen V mitsamt der neuen Mercury-Motorenreihe vorgestellt haben.
Der Motor hat einen ungewöhnlich engen Winkel von 64 Grad, um das System so kompakt wie möglich zu halten. Trotz des Mehrgewichts des Kompressors wiegt der Mercury 450R mit 313 kg nur 42 kg mehr als der 300 PS starke V8 Verado. Zudem ist es Mercury gelungen, den Kompressor unter der gleichen schlanke Motorhaube wie den 300 PS starken V8 zu verpacken, ein Wolf im Schafspelz sozusagen.
Bestes Leistungsgewicht
Ganz oben ist Mercury damit zwar noch nicht, aber die Spitze befindet sich in Sichtweite: Derzeit stärkstes Solo-Aggregat für den Renneinsatz ist der 627SV von Seven Marine, ein 627 PS starker V8, ebenfalls mit Kompressor, der allerdings auch knapp eine halbe Tonne auf die Waage bringt.
Der Mercury Racing 450R wiegt dagegen knapp 40 Prozent weniger und ist somit flexibler einsetzbar. Im Bereich von 400-PS-Außenbordern hat die neue Maschine sogar das beste Leistungsgewicht von allen, heißt es bei Mercury Marine.

Maximal sechs in Reihe
Der Hersteller hat seine Maximal-Maschine aber zugleich auch so konstruiert, dass er bequem in Reihe laufen kann. Der Montageabstand, gemessen jeweils von der Mitte eines Motors zu der eines benachbarten Aggregats, beträgt nur 66 Zentimeter. Damit kann ein Chor von bis zu sechs Maschinen dieser Bauart im Heck in Reihe röhren – nicht weniger als 2.750 PS. Zum Vergleich: Der stärkste Seriensportwagen der Welt, der Bugatti Chiron, bringt es gerade einmal auf 1.500 PS.
Auf der Pressevorstellung in Cannes stehen die neuen Motoren zum Testen bereit. Julijan, mein BOB-Jury-Kollege aus Slowenien, und ich haben nicht lange überlegt. Wann hat man schon mal die Möglichkeit, Boote zu fahren, die von Rennmotoren angetrieben werden? Im Yachthafen stehen gleich zwei Konfigurationen bereit für den Höllenritt: die doppelt motorisierte Nuova Jolly Prince 38 CC und eine Bernico R7 mit Einzelmotorisierung.
Acht Tiger schnurren
Wir gehen natürlich zuerst an Bord der doppelt motorisierten Prince 38 CC. Als erstes probieren wir den X-Haust-Geräuschunterdrücker aus. Er sorgt im Hafen dafür, dass die Steg-Nachbarn auch nach unserer Rückkehr noch mit uns reden. Als wir den Hafen verlassen haben, schalten wir ihn wieder aus. Die acht Tiger, die da in der Kiste schnurren, klingen klasse. Satt, rund und vielversprechend – denn bisher haben wir den Gashebel ja nur gelupft.

Die Drehzahl im Leerlauf beträgt 600 U/min und beschleunigt das Boot auf 3,5 Knoten. Die Gewalt der Maschine verdeutlicht sich bereits in der Schwierigkeit, an Bord unserer journalistischen Chronistenpflicht nachzugehen: Wir versuchen, Tempo und Spritverbrauch bei jeder Steigerung der Drehzahl um 500 Umdrehungen zu notieren. Aber ab 30 Knoten und fast 3.500 Touren geben wir auf. Jetzt geht es nur noch darum, sich festzuhalten und gelegentlich die Tränen vom Gesicht zu wischen. Gut, dass wir Rettungswesten tragen und noch genug Kraft in den Armen haben.
Beeindruckende 74 Knoten
Die maximale Geschwindigkeit sind 60 Knoten – und wir sind ein bisschen stolz, dass wir die Höchstgeschwindigkeit erreicht haben. Das gleiche Boot bringt bei glatter See sogar 66 Knoten bei 6.400 U/min, sagt Mercury. Der See sollte für eine Testfahrt bei Vollgas entsprechend lang sein, ergänzen wir im Geist.

Die etwas sportlichere Bernico klettert bei unserer kleinen Ausfahrt auf dem Speedbarometer noch weiter und kommt auf beeindruckende 74 Knoten, umgerechnet 136 km/h. Das ist unsere Höchstleistung: Uns schlackern die Backen, und mit weichen Knien gehen wir schließlich wieder an Land.
Vielen Kunden ist die Höchstgeschwindigkeit wichtig. Klingt ja auch wirklich imposant. Aber interessanter sind für uns Beschleunigung, Stabilität und Fahrspaß. Und wir notieren nach dem glücklichen Landfall: Es gibt so gut wie null Vibrationen oder Motorerschütterungen, und dazu dieser Sound, wunderbar!