Zwei Klicks in der Navigations-App Savvy Navvy, dann ist die Strecke gesteckt. 26 Seemeilen, der kürzeste Weg an zwei Inseln vorbei, knapp 30 mit zwei Holeschlägen, angepasst an die Windverhältnisse. Wir liegen im Stadthafen von Kos, unser Ziel ist Emporios, eine Bucht auf der griechischen Insel Kalymnos. Es ist Mitte Juli und draußen tobt der Meltemi.
Seit zwei Wochen schon kennen die Wettermodelle nur eine Farbe: ein bedrohliches Rot. Täglich peitschen Böen mit 35 oder gar über 40 Knoten über das Meer. Ein Fischer sagt, so einen starken und unberechenbaren Meltemi habe er schon seit Jahren nicht mehr erlebt. Aber wir wollen weiter, quer durch die Ägäis. Richtung Nordwest gen Athen. Inselhopping durch das tosende Meer. Jeder Tipp, jede Empfehlung ist da wertvoll.

Einfacher, schneller, sicherer
Den Entschluss fasste er, als er 2014 an der Clipper-Rundfahrt um die Welt teilnahm. Auf der Regatta von San Francisco nach New York erlebte er, wie aufwändig Navigation trotz modernster Technik sein kann. „Das Aktualisieren von Seekarten, das Herunterladen von Wettervorhersagen, das Vorhersagen der Bootsgeschwindigkeit, das Ausweichen vor Böen mit mehr als 50 Knoten Wind – all das erforderte stundenlanges Arbeiten unter Deck, um den Kurs am Computer festzulegen“, sagt Liebrand. Er war überzeugt, es muss einen einfacheren Weg geben. 2017 kündigte Liebrand bei Google und gründete Savvy Navvy.
Das ist die Geschichte, die Savvy Navvy verkauft, die wie bei jedem Start-up mitentscheidend ist über Erfolg oder Pleite. Und Liebrands Geschichte überzeugt anscheinend. Seit 2019 sammelte er knapp zwei Millionen Euro ein – den Großteil über Crowdfunding. Doch was ist das Ergebnis?

Über Symbole lassen sich Informationen wie Wind, Wetter und Gezeiten abrufen, auf der digitalen Seekarte werden über Klick oder Fingerdruck Start und Ziel eingegeben. Savvy Navvy errechnet dann die beste Route unter Berücksichtigung der aktuellen Verhältnisse.
Klare Ansagen
Abfahrtszeit eingeben, schon erscheint auf dem Display die Route unter Angabe von Kommentaren, wie man sie in der Tat von Google Maps kennt, so etwas wie: „In 300 Metern rechts abbiegen.“ Braucht man das auf dem Meer? Und vor allem: Will man das?
In unserem Fall errechnet die App, dass wir nach dem Ablegen zunächst bei mäßiger Brise (10,8 Kn, 336°) hoch am Wind segeln müssen, bei einem Seitenstrom von 0,3 kn. Das ganze für 17 Minuten, bei errechneten 4,9 kn Geschwindigkeit mit Kurs 285°.
Nach dem ersten Kurswechsel, es ist das Kap von Kos, empfiehlt die App für einige Minuten unter Maschine gegen den Wind anzudampfen. Warum? Auch das wird angegeben. „Wind zum Segeln ungünstig“, heißt es in der Erklärung. Gleichzeitig werden aber perfekte 12,6 kn Wind angegeben, wenn auch gegenan. Warum der Algorithmus sich hier für eine Fahrt unter Maschine und nicht einen Kreuzschlag entscheidet, erschließt sich uns nicht.

Im weiteren Verlauf des Trips gibt die App Vorschläge unter Angabe der konkreten Bedingungen. In der Kurzform liest sich das so: anluven, hoch am Wind; abfallen; abfallen; Wende; Wende; abfallen; Kurswechsel, Bedingungen zum Segeln ungeeignet, wegen starken Windes (23,4 kn). 19 Empfehlungen zum Kurswechsel liefert die App für unseren Trip.
Funktionen ohne Ende
Auf Knopfdruck errechnet die App im Vorfeld auch alternative Abfahrtszeiten. Diagramme zeigen an, wie lange die Fahrt dauern wird (beim Einrichten der App müssen natürlich die Bootsdaten angegeben werden), wie viel der Strecke unter Segeln, unter Motor und gegen die Strömung zurückgelegt werden. Ein praktisches Tool.
Während des Segelns wird über GPS die eigene Position samt Geschwindigkeit und Kurs angezeigt, ein Abgleich mit der vorgeschlagenen Route ist daher einfach. Gut gelöst sind auch die übersichtlichen Displays. Neben der normalen Ansicht mit der Seekarte gibt es einen abgedunkelten Nachtmodus sowie zwei Satellitenmodelle.

Die Community denkt mit
Besonders gelungen ist die Integration von Ankerplätzen, Häfen und Marinas in die Seekarte. Die Symbole werden beim Einzoomen sichtbar. Nach einem Klick erscheint ein übersichtliches Fenster mit näheren Informationen. Über den Liegeplatz (Festmacherboje, Mooringleinen, Anker, heckwärts anlegen), die Ankerbucht (Wetterschutz und Ankergrund) und die Umgebung (Strand, Dock, Wasser, Snack) sowie einige Kommentare von Seglern zu dem ausgewählten Stop. Ergänzt wird das Ganze durch die Wetterdaten vor Ort. Diese Informationen kommen bekannt vor? Richtig! Denn Navvy Savvy bedient sich der guten und beliebten App Navily, die Segler mit ihren Erfahrungen füttern.
Wir sind mittlerweile auf Kalymnos. Das Wetterfenster war günstig. Kaum haben wir an einer Boje festgemacht, pfeift der Meltemi durch die Bucht. Auch unterwegs hatten wir in Spitzen 32 Knoten Wind, aber die Abdeckung durch die Inseln hat uns meist eine hohe Welle erspart. Sind wir den Anweisungen der App gefolgt? Nicht ganz.

Die Grenzen des Algorithmus
Allerdings trommelt Navvy Savvy ziemlich laut ob des verwendeten Wettermodells. Vielleicht zu laut. „Meteomatics Mix kombiniert ECMWF mit mehr als 25 anderen Wettermodellen unter Verwendung lokaler topographischer Bedingungen und intensiver Nachbearbeitung der Daten“, heißt es in der Selbstdarstellung. „Wir kombinieren Wettermodelle mit hochauflösenden Geländemodellen, Landnutzungsdaten und astronomischen Daten. Dadurch erreichen wir einen Detaillierungsgrad, der für unsere Kunden einen erheblichen Mehrwert darstellt. Dabei liefert das von uns entwickelte Mix-Modell für jede Koordinate weltweit die passende und verfeinerte Ausgabe aus allen verfügbaren Modellen.“
Bestätigen können wir diese Aussagen nur bedingt, besonders, wenn die Kurse anspruchsvoll sind wie derzeit in der Ägäis. Aber wie sagte schon der Fischer? „Dieses Jahr ist der Meltemi besonders stark und unberechenbar.“ Da kommt auch der beste Algorithmus nicht mit.
Definitiv lohnenswert
Trotzdem hat uns die App überzeugt. Zur Planung ist sie hervorragend geeignet, weil sie sehr einfach zu bedienen ist. Ein Plus ist die Kombination aus Seekarte (wenn auch nicht extrem detailliert) und Informationen zu Ankerplätzen und Häfen. Die Angaben zu Wetter und Gezeiten sind hilfreich, sollten in jedem Fall aber noch einmal überprüft werden. Aber das versteht sich eigentlich von selbst.

Unser Fazit: Das Paket aus Seekarte mit Wetter- und Gezeitendaten sowie Revierinformationen ist definitiv eine hilfreiche Unterstützung bei der Törnplanung. Dass sich ein Törn aber nicht so planen lässt wie eine Autofahrt, sollte dabei jedem Segler selbstverständlich sein.
*Unser Autor Jens Brambusch durchquert derzeit auf seiner Dilly-Dally, einer Moody 425, das Mittelmeer von Ost nach West. Ziel ist, Ende des Jahres mit Freundin, Hund und Katze über den Atlantik zu segeln. Wer seiner Reise folgen will, kann dies auf float oder dem YouTube-Kanal Sailing Dilly-Dally tun.