Dass in jeder Welle mehr oder weniger große Kräfte fließen, weiß jeder, der auch nur einen Fuß ins Meer gehalten hat. Selbst die kleinste anrollende Welle setzt immerhin so viel Energie frei, dass man einen Zug am Fuß verspürt. Mutigere kennen das faszinierende Gefühl, wenn einen die brechende Welle bis an den Strand trägt. Und wie verheerend Wellenkräfte sein können, sieht man alljährlich an den Auswirkungen der Winterstürme: Da werden Molen beschädigt, Klippen stürzen ins Meer, Ozeanriesen werden auf hoher See große Löcher in den Stahlrumpf geschlagen. Von den verheerenden Kräften und Auswirkungen der Tsunami-Wellen ganz zu schweigen.
Seit jeher versucht der Mensch, diese Kraft zu bändigen. Und seit einigen Jahrzehnten will man die Energie der Meereswellen auch nutzbar machen: als erneuerbare Energie zur Gewinnung elektrischen Stroms.
Unerschöpfliche Energiequelle
Ähnlich wie die Sonnen- und Windenergie können die nahezu immer aktiven Wellen Kräfte und Energien liefern, die uns von der Natur geschenkt werden. Der Mensch muss lediglich die Technik zu dieser Symbiose beisteuern – woran es bislang meistens noch haperte.
Wissenschaftler auf der ganzen Welt haben die unterschiedlichsten Prinzipien entwickelt, um die Energie der Wellen „anzuzapfen“. Viele sind über den theoretischen Status nicht hinaus gekommen, andere scheiterten an der mitunter harten Realität der erwähnten Stürme. Denn um möglichst viel Energie aus Wellen zu ziehen, suchten die meisten Hersteller mit ihren Prototypen Regionen auf, wo die Wellen im Mittel am höchsten sind. Wie zum Beispiel die Nordsee oder den nördlichen Atlantik. Das dürfte sich in Kürze ändern.
Die internationale Fachwelt beobachtet mit Spannung zwei Wellenenergie-Projekte, die das Zeug zur Serienreife haben.
Der deutsche Olympiasegler Jan Peckolt (Bronze in Peking/Quingdao 2008 im 49er gemeinsam mit seinem Bruder) lässt derzeit nach jahrelangen Testphasen erstmals seine neue Nemos-Technologie vor dem belgischen Oostende im Wasser installieren. Gefördert vom Deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und Sponsoren wie Continental, DST, Schaeffler und ESOS, hat Peckolt eine völlig neue Art der Wellenenergienutzung entwickelt. Er lässt Schwimmkörper an der Wasseroberfläche treiben, die im Auf und Ab der Wellen dümpeln. Über Seile und Rollen ist der Schwimmkörper mit dem Meeresboden verbunden. Die durch Wellengang verursachte Bewegung im Seilsystem wird über einen Generator in elektrische Energie verwandelt.

Clever am System angeschlossen
Peckolts Firma Nemos in Duisburg hat große Chancen, das vielleicht effizienteste Wellenenergie-System entwickelt zu haben, da nicht nur die Vertikalbewegungen der Wellen, sondern auch die horizontalen und schrägen Bewegungen genutzt werden. Außerdem sollen die Schwimmkörper von einem Computersystem immer optimal zur Wellenrichtung ausgerichtet werden.

Als besonders durchdacht lobt man die Nemos-Entwicklung zudem wegen seines pragmatischen Lösungsansatzes: Peckolt verbindet seine Schwimmkörper buchstäblich mit Offshore-Windanlagen, wo der durch Wellenkraft erzeugte Strom gleich in die bereits vorhandenen Leitungen der Windanlagen Richtung Land fließen kann. Probleme mit der Schifffahrt können in der Nähe der großen Windräder per se nicht auftreten, da Offshore-Windparks zumindest für die großen Pötte Tabuzone sind.
Wellen wie Herzfrequenzen
Die zweite vielversprechende Variante zur Nutzung von Wellenergie heißt lapidar „C3“ und kommt aus Schweden. Die Methode des Start-Up-Unternehmens Corpower wurde im gewissen Sinne vom wichtigsten Organ im menschlichen Körper kopiert, dem Herz. Denn Firmengründer Stig Lundbäck ist eigentlich Kardiologe und hat folgerichtig eine Menge Ahnung von Pumpvorgängen und -systemen.

Lundbäcks C3-Prinzip: Eine von außen etwas unscheinbar wirkende, im Inneren aber mit Technologie gespickte Boje wird am Meeresboden verankert. Läuft nun eine Welle unter der Boje hindurch, bewegt sich die Boje nach oben und wieder nach unten. Diese linearen Bewegungen werden über ein Getriebe und Zahnräder in Rotationsbewegungen umgesetzt. Damit wird ein Stromgenerator angetrieben, der in ähnlicher Form bereits erfolgreich in Windkraftanlagen zum Einsatz kommt. Selbst Wellenhöhen bis zu 32 Metern sollen für das System kein Problem darstellen. Im Gegensatz zu Nemos, das bei starkem Seegang einfach untertaucht und auf Tiefe bei deutlich reduzierter Leistung den Wellenbergen trotzt, bleibt die Corpower-Boje an der Wasseroberfläche und produziert so selbst in den härtesten Stürmen weiterhin Strom.

Und das nicht zu knapp: Corpower zeigt sich auf seiner Website und in technisch orientierten Foren selbstbewusst und kalkuliert mit einer fünfmal höheren Stromproduktion als vergleichbare Systeme. Im atlantischen Küstenklima komme die C3-Boje etwa auf 250 kW Nennleistung. Entsprechend brauche man lediglich 32 dieser Anlagen, bis die Leistung einer Windkraftanlage erreicht wäre.
Die Corpower-Spezialisten gehen übrigens davon aus, dass mit Wellenenergie schon in naher Zukunft zehn bis 20 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs produziert werden könnten. Das entspricht ungefähr dem Anteil der Energie, die heute weltweit aus Wasserkraft gewonnen wird.

Gerade feiert die C3-Boje von Corpower ihre Einsatzpremiere vor den Orkney-Inseln in der schottischen See. Ein Gebiet, das nicht gerade wegen seiner lieblichen Wetterlagen bekannt ist und durchaus eine Härteprobe für die C3 darstellt. Dort erforscht das Europäische Marine Energy Center schon seit Jahren ebenfalls Wellen- sowie Gezeitenenergie und bietet die entsprechende wissenschaftliche Infrastruktur. Auch, um gleich vor Ort den von C3-Bojen produzierten Strom in das entsprechende Netz einzuspeisen.

Spannende Zeiten also für alle, die an wahrhaft alternativen Energien und deren Nutzung interessiert sind. Und ist es nicht eine faszinierende Vorstellung, dass uns in Zukunft diese eine Welle, auf der man gerade surft, irgendwo da draußen ihren Anteil für das Surfen auf der eigenen Welle produziert hat?