Als ich vor langer Zeit The Sting zum ersten Mal sah, habe ich mich gleich dreifach verliebt: In den Plot, in Paul Newman und in Robert Redford. Vor allem Redford ist seitdem für mich sowas wie ein Heiliger. Jedenfalls wenn er auf der Leinwand zu sehen ist.
Redford ist alt geworden, und in der letzten Zeit sieht man ihn nicht mehr so oft. Umso erfreuter war ich, als vor einigen Tagen der Kinofilm All Is Lost im Free-TV gezeigt wurde. Großartig! Endlich mal wieder ein Segel-Spielfilm.
Bereits 2014 schlugen die Wogen bei den Seglern hoch. Nachdem der Film am Montag im Fernsehen lief, war es nicht anders. So konnte man sich auf den Segelplattformen und in den Foren und Kommentaren einiges zum Film durchlesen. All Is Lost wird von vielen Seglern geradezu seziert. Es hagelt Kritik, natürlich. Bei jedem Youtube-Video, in dem Achterliek und Niederholer zu sehen sind, dauert es nicht lange, bis über Bauch und Stand, Zug, Holepunkte und Vorspannung diskutiert wird.
Und auch bei diesem Kinofilm ist das so: Jeder weiß etwas, und fast jeder weiß es besser. Da wird über mangelnde Ausrüstung gemeckert, über fehlende Dinge, schlechte Seemannschaft, schlechten Segelstand und so weiter. Angeblich soll es wohl auch anders aussehen, wenn man einen Container rammt. Manche stellen Berechnungen an, wann das Schiff sinken würde und wie viele Pumpenhübe man für die Lenzpumpe braucht, andere schimpfen über die Rettungsinsel. Und überhaupt: Redford ist im wahren Leben ja gar kein Segler. Eine Funklizenz scheint er auch nicht zu besitzen, sonst würde er nicht „SOS“ (was jeder Kinogänger versteht) funken, sondern „Mayday“ oder „Pan Pan“ (was kein Kinogänger versteht). Auch kann man sich fragen, ob er zum Laminieren des Lecks überhaupt das richtige Epoxy benutzt (West Systems, immerhin!) und ob das Härter-Harz-Gemisch stimmt.
Willkommen in der Kinowelt! Gute Plots brauchen Konflikte und Probleme, deren Lösung die Geschichte ergeben. Ohne Probleme keine Geschichte – jedenfalls keine, die man sehen will. Protagonisten müssen Fehler machen, sonst funktioniert ein Film nicht. Sogar Batman macht Fehler.
Kino ist nie real
Würde Redford alles so machen, wie es sich der gestandene Seemann wünscht, wäre der Film nach fünf Minuten zu Ende. Redford hätte das Leck geflickt und wäre im Anschluss mit perfekt getrimmten Segeln am Horizont verschwunden. So wäre der Film realistisch und der Segler vielleicht zufrieden, zumindest mit dem seglerischen Teil des Streifens. Es geht aber in Filmen nicht um Realismus. Es geht um Dramaturgie. Darunter leidet oft der Echtheitsbezug, weil Logik und Segeltrimm auch nicht wichtig sind. Jedenfalls nicht im Kino.
Jeder NASA-Mitarbeiter wird sich bei Apollo 13 kaputt lachen. Echte Indianer bekommen bei Der mit dem Wolf tanzt Bauchweh. Kaleus torpedieren vor Wut ihren Fernseher, wenn sie Das Boot sehen. Echte Kommissare leiden jeden Sonntag um 20.15 Uhr unter Kopfweh. Es ist so: Fiktion ist nicht real. Kinofilme sind zur Unterhaltung gedacht, nicht zum Lernen. Sogar Biografien werden zur Unterstützung der Dramaturgie so lange geändert, bis der Unterhaltungswert passt. Das ist Kino.
Wenn es um die Darstellung des Realen gehen würde, gäbe es nur noch Dokus, eventuell auch harmlose Liebesfilme, und selbst die sind unrealistisch. Darum geht es aber nicht. Ich denke, man sollte einen Film wie All Is Lost anders betrachten: Er ist kein Blauwasser-Kurs. Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu: „Eine Metapher aufs Leben an sich.“ Das ist zumindest eine mögliche Interpretation.

Ich finde All Is Lost großartig! Was für ein Gefühlsgemenge! Einerseits durchaus spannend und in Anbetracht aller auftretenden Probleme des Skippers auch zermürbend. Andererseits wohltuend langsam erzählt, sehr detailliert und ungewöhnlich ruhig und unaufgeregt, fast wie an Bord. Man erfährt nicht einmal den Namen des Skippers und fragt sich die ganze Zeit, wann er endlich flucht, wieso er so besonnen und ruhig agiert. (Bis er mit einem langgezogenen „Fuuuuuuuuck“ überhaupt mal spricht.)
Der Segeltrimm war mir egal. Einzig eine doppelt genutzte Szene (wenn die Fock an der Kamera vorbei wischt) fand ich persönlich etwas billig, was den Schnitt angeht, Weil der Clip zweimal exakt gleich reingeschnitten wurde. Ansonsten stören mich weder der Aufprallwinkel des Containers noch falsch einsteigende Wellen, weder komische Treibanker noch die fehlende Ausrüstung. Mich stört auch nicht, dass der Protagonist wirklich seltsame Dinge macht und Bier trinkt, während Wasser im Schiff ist. In der WIrklichkeit machen Menschen in Notsituationen auch oft komische Dinge. Das ist, je nach Typ Mensch, sogar realistisch – und es regt den Zuschauer auf, was sicherlich gewollt ist.
Man kann sich über diesen Film freuen: Wer hätte gedacht, den großen Robert Redford je in einem Kinofilm an Bord einer Segelyacht zu sehen? Immer nur Piratenfilme machen mich als Segler jedenfalls nicht glücklich.
10 Kommentare
Mag sein, daß Unterhaltung das erste Ziel des Filmes war. Aber warum müsen sich Unterhaltung und realistische Handlungen/Vorgänge/Schäden ausschließen? Mir schälen sich die Fußnägel hoch wenn ich einen hahnebüchenen Schwachsinn wie im Untrgang der Pamir oder eben hierbei sehe. Es wäre mit einfachen Mitteln anders möglich gewesen.
In „Wind“ ist die Synchronisation etwas zweifelhaft, aber die Segelszenen mehr oder weniger realistisch. Da wird plötzlich ein Masttopspi ausgepackt, wobei jeder halbwegs bewanderte Segler weiß, daß 12er nur fraktionierte Spis fahren durften. Das ist aber unter der Vorgabe der Unterhaltung noch zu verschmerzen.
Im Falle des Untergang der Pamir hätte man auch die Segel mit einfachen Mitteln schlagen lassen können, anstatt schlaff herunterzuhängen.
Im Falle vom vorliegenden Film wäre ein Leck welches von einem Container hervorgerufen wird ebenfalls einfach machbar gewesen. Stattdessen kommt derartiger Blödsinn heraus, daß selbst Nichtseglern bei Nachdenken merken müssen, daß es so nicht geht.
Demnach ist die Frage, welcher Zacken den Machern aus der Krone gebrochen wäre, wenn sie Segler am Set gehabt hätten, die ihnen erklärt hätten wie es geht und wie nicht.
„Da wird plötzlich ein Masttopspi ausgepackt, wobei jeder halbwegs bewanderte Segler weiß, daß 12er nur fraktionierte Spis fahren durften.“
Du bist ja geil. Und das unter dem Artikel… Wenn man so drauf ist sollte man segelfilme meiden, es sei denn es handelt sich um den mitschnitt der letzten One Design Regatta…
Der Film ist nicht für meine Frau geeignet. Habe die Aufnahme vorsichtshalber gelöscht…
Ich habe den Film auf DVD. Sehe ihn immer wieder gerne. Zur Unterhaltung und nicht um richtiges Reagieren in Notsituationen zu lernen.
Genau: Der Film ist eine Metapher aufs Leben an sich, eine klassische Heldenreise, kein Segellehrfilm. Nicht zufällig fanden ihn meine Freunde aus dem Theaterbereich großartig. Aber man muss ihn schon auf der Ebene auch gucken wollen. Wer das nicht mag, bleibe lieber gleich bei Master und Commander 😉
Hej
M&C ist suuuper!
Besonders hervorzuheben das Filmzitat:
„…Das ist Seemannschaft…“
(Ich glaube es stammt vom Segeloffz)
Gruß M.
Wollte ich auch gar nicht bestreiten – Master und Commander ist nur eine ganz andere Art Film. Und man soll halt nicht Äpfel mit Birnen vergleichen…
Ich glaube, die Kritiker des Films sind genau die gleichen Segler, die sich in Foren über schief hängende Fender oder „falsche“ Segelstellungen bei anderen aufregen. Euch Kritikern möchte ich zurufen: Bleibt locker! Genießt den Film und bleibt bei euren eigenen Schiffen, wenn ihr denn welche habt.
????
Kein großer Film, ich habe ihn noch mal gerne gesehen, die Aufregung verstehe ich auch nicht.