Die Meere ersaufen im Plastik. Umweltforscher haben errechnet, dass seit den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts mehr als 150 Millionen Tonnen Plastik in die Meere gelangt sind. Jedes Jahr kommen mehrere Millionen Tonnen hinzu – Tendenz steigend. Seit Jahren kämpfen weltweit kleine und große Initiativen gegen die Plastikflut an, hauptsächlich in Küstenanrainerstaaten.
Sie sammeln den Müll an den Stränden und entwickeln Müllsammelanlagen, die auf hoher See die pazifischen und atlantischen Plastikstrudel vom groben Plastikmüll befreien sollen. Oder sie fahren mit Müllsammelbooten entlang der Küsten und in den Häfen, so wie zuletzt bei der Aufräumaktion an der Schlei, der von einem selbstgemachten Plastikmüll-Skandal betroffen ist. In Binnenrevieren wie der Berliner Spree gibt es regelmäßig Sammelaktionen wie die Müllregatta per Kajak.

Wer das Meer liebt, muss Plastik hassen
Wassersportler sind dabei aus naheliegenden Gründen besonders engagiert. Der Segelabenteurer Yvan Bourgnon stellte kürzlich auf der Erfindermesse in Genf seinen exotisch klingenden Müllmaran vor, einen riesigen Mehrrumpfsegler, den groben Plastikmüll von der Wasseroberfläche abschöpfen soll.

Die Stiftung der britischen Segellegende Ellen MacArthur geht das Problem von der anderen Seite an. Die frühere Einhand-Rekordweltumseglerin bringt mit ihrer Initiative The New Plastics Economy (Budget: 10 Millionen US-Dollar) eine Gruppe von Unternehmen, Metropolen-Bürgermeistern, politischen Entscheidungsträgern, Wissenschaftlern, NGOs und Bürgern zusammen, um Kunststoffe neu zu gestalten. Ihr Hauptaugenmerk liegt dabei auf Verpackungsmaterialien.

Eine App gegen Plastik-Verpackungen
Der mit Abstand größte Teil des Plastiks in den Ozeanen ist Verpackungsmüll – etwas, wogegen Konsumenten durchaus etwas tun können. Durch Verzicht, Verweigerung oder Empörung. Bei diesem Gedanken setzt auch der Verein Küste gegen Plastik aus St. Peter Ording an.
Unter der engagierten Leitung von Jennifer Timrott (48) kämpft der Verein seit 2013 für saubere Meere und Küsten. Timrott und ihre stetig wachsende Zahl von MitstreiterInnen organisieren Müllsammelaktionen an den Stränden, sensibilisieren Urlauber für Umweltprobleme durch Plastik und versuchen, etwa in Zusammenarbeit mit dem BUND, den Einzelhandel in Küstenortschaften von plastikfreien Verpackungen zu überzeugen.
Ihr bisher größter Coup und die langfristig wohl erfolgreichste Aktion gelang und gelingt dem Verein Küste gegen Plastik jedoch digital – mit einer App. „Wir sind davon überzeugt, dass der Kampf gegen Plastikmüll in den Meeren nur dann erfolgreich sein kann, wenn wir das Übel direkt angehen“, sagt Jennifer Timrott im Gespräch mit float. „Strände aufräumen und Müll beseitigen ist wichtig und unabdingbar. Müll vermeiden ist jedoch die einzige Lösung, die auch langfristig greifen kann.“
Der Handel ist erschreckend zäh und unwillig
Die Umweltschützerin spricht vom Verpackungswahn, der mit steigender Tendenz auch im Lebensmitteleinzelhandel auszumachen sei. „Obwohl das Problem mit oftmals völlig unnötigen Plastikverpackungen bei den Verantwortlichen im Handel hinreichend bekannt ist“, so Timrott, „reagiert man dort erschreckend zäh und unwillig.“ Nur selten ließen sich Produzenten durch Argumente überzeugen. Was fehle, sei „der Druck“ von außen.
Hier setzt die App Replace Plastic an. Damit kann jeder umweltbewusst denkende und agierende Konsument unerwünschte Verpackungen an die Hersteller melden. Und das funktioniert so: Nach dem Starten der App auf dem Android-Smartphone oder iPhone öffnet sich ein Scanner. Mit ihm wird der Barcode eines Produktes eingescannt und direkt an den Verein Küste gegen Plastik gemeldet.
Hier werden die Beschwerden gesammelt und zu den jeweiligen Herstellern geschickt. So kann jeder direkt im Supermarkt oder im Einzelhandel seinem Ärger über unnötige und übertriebene Verpackungen Ausdruck verleihen. Und damit den Herstellern signalisieren, dass man als mitdenkender Konsument gegen diese Art von Verpackung ist – und wünscht, dass sich das ändert.


Bis zu 600 Beschwerde-Scans täglich
„Damit entkräften wir ein immer wiederkehrendes Argument der Verpackungsindustrie und der jeweiligen Produkthersteller“, erklärt Jennifer Timrott. Dort behauptet man nämlich, dass der Verbraucher die Verpackungen eben genau so wünsche.
Über 30.000 Produkte und ihre Verpackungen wurden bereits mittels der App Replace Plastic moniert. „Die App wird immer häufiger geladen und konsequent genutzt“, freut sich Timrott. „Derzeit kommen etwa 500 bis 600 Scans täglich bei uns an.“
Und das Prinzip „Wir wehren uns“ beginnt zu wirken. „Die meisten der so angesprochenen und angemahnten Produkthersteller reagieren eher positiv“, erklärt die App-Aktivistin. „Das Feedback kommt an!“ Dabei sei mitunter auch ein hausinterner Konflikt zu beobachten. Etwa wenn sich Nachhaltigkeitsbeauftragte darüber freuen, dass sie mit der App endlich Argumente gegen die Marketingabteilung in der Hand haben. „Dass sich Angesprochene komplett verweigern, ist eher selten“, sagt Jennifer Timrott im Gespräch mit float.


Replace Plastic ist eine von vielen Initiativen an der Küste
Obwohl die App Replace Plastic bei den Konsumenten ganz offensichtlich gut ankommt und immer mehr Hersteller beim Thema Verpackung zum Nachdenken anregt, ist sich die Vereinsvorsitzende durchaus darüber im Klaren, dass ihr Engagement der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein ist. Es reiche ihr jedoch, sagt Timrott, wenn sie mit ihren Aktionen und der App Replace Plastic Menschen inspiriere – und sie ganz offensichtlich damit etwas anstößt.
„Es gibt sinnvolle Kreislaufkonzepte, wie sie etwa auch von der Ellen Mac Arthur-Stiftung propagiert werden,“ erklärt die Aktivistin. „Die Hersteller sind keineswegs gezwungen, an den bisherigen Verpackungsmaterialien festzuhalten.“ Deshalb sei Empörung und konsequentes Verbraucherverhalten so wichtig, weil so jeder einen Beitrag gegen Plastikmüll leisten kann, der schließlich in den Meeren landet.
Erfolgsgeschichten im Kampf gegen Plastikmüll von „Küste gegen Plastik“ und mehr Informationen zur App Replace Plastic gibt es hier. Der Verein lebt von Unterstützung.
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Mehr zum Thema Plastikmüll in den Meeren zeigt dieses Erklärvideo.
2 Kommentare
[…] etwas über einem Jahr gibt es sie jetzt: die Replace-Plastic-App von Jennifer Timrott und dem Verein Küste gegen […]
[…] habe heute die App „Replace Plastic“ entdeckt. Auf der Seite floatmagazin.de stehen nähere Informationen zum Hintergrund der […]