Es ist immer das Gleiche. Kaum erzähle ich meinen Bootsnachbarn in der Türkei, dass ich nach Deutschland fliegen werde, um mir bei einem Praktikum neue Segel für meine Moody 425 bauen zu lassen, sehe ich in verdutzte Augen. „Wozu der Aufwand?“ Allein im Hafenviertel von Marmaris reiht sich doch Segelmacher an Segelmacher. Und dann kommt sie, die immer gleiche Frage: „Was kosten denn Segel in Deutschland?“
Eine verständliche Frage, die aber etwas kurz greift. Denn sie unterstellt: Segel ist gleich Segel. Würde man die gleiche Frage bei einem Motor stellen? Wohl eher nicht. Man würde nach dem Hersteller fragen, nach Leistung und Hubraum. Nach Details. Und die gibt es auch bei Segeln. Nur fragt danach kaum jemand.

Und so hole ich jetzt tief Luft, wenn mir die Frage gestellt wird, und beginne meinen Vortrag. Über die vielen Dutzend verschiedenen Tücher, über die Vor- und Nachteile von Gewebe und Gelege. Ich philosophiere über Dacron, Sandwich-Mylar oder Hydranet. Schwadroniere über Kett- und Schussfestigkeit, Tafetta und UV-Schutz. Diskutiere über die Denier-Zahl bei Garnen. Und doziere über das perfekte Profil.
Naja, zumindest tue ich so, als hätte ich das alles wirklich verstanden. Aber dazu waren die zwei Wochen Praktikum in der Segelmacherei dann doch etwas zu kurz. Sie reichten aber aus, um zu verstehen, wie aufwändig und vielschichtig es ist, ein neues Segel zu bauen.
Ein segelverrückter Tüftler
Schleswig, Anfang Februar: Ich sitze an einem grünen Segelmachertisch in einer roten Halle direkt an der Schlei. Und bin ein bisschen nervös. Praktikumsbeginn mit 46 Jahren. Kaum habe ich meinen Seesack fallen gelassen, die Straßenschuhe gehen saubere Sandalen getauscht, da habe ich auch schon Staubsauger und Besen in der Hand. Saubermachen. Schließlich sind Dreck und Staub die größten Feinde weißer Segel.

Hier, im Schatten des markanten Wikingturms, ist die Werkstatt von Frogsails, eine Segelmacherei, 2011 von Sven Kraja gegründet. Der Betrieb ist klein, man kann sagen: familiär. Svens Lebensgefährtin Gitta kümmert sich um den Papierkram. Dann ist da noch Diana, Anfang 30, eine gelernte Bootsbauerin, die gerade eine zweite Ausbildung zur Segelmacherin macht. Und noch ein Sven. Vor anderthalb Jahren kam er über die Schleswiger Werkstätten zu Frogsails – und hilft seitdem in der Segelmacherei aus.
Seit der Gründung hat Frogsails rund 600 Segel produziert. Für Yachten, Eis- und viele Strandsegler. Daher kenne ich Sven auch. Vom Strandsegeln. Wir segeln beide im Yachtclub Sankt Peter-Ording. Zusammen haben wir an etlichen Regatten teilgenommen, sind gemeinsam zu Europa- und Weltmeisterschaften gefahren. Aus Clubkameraden wurden Freunde.

Ein Strandsegler als Segelmacher
Sven ist Deutschlands erfolgreichster Strandsegler. Den Titel des Deutschen Meisters hat er seit Jahren im Dauerabo, 2012 wurde er sogar Weltmeister. Das hat vor ihm noch kein Deutscher geschafft. Nachher übrigens auch nicht. Gitta, seine Lebensgefährtin, ist auch Strandseglerin – und amtierende Vizeweltmeisterin.
Natürlich fährt das Power-Paar Frogsails, wie mittlerweile Strandsegler auf der ganzen Welt. Ständig tüftelt Sven an neuen Schnitten, erprobt neue Materialien, entwirft neue Prototypen. Ein Freak, immer auf der Suche nach neuen Herausforderungen. Auch bei so innovativen Projekten wie der Bente hat er mitgearbeitet.

Für mich ist Handwerk ungewohnt. Als Autor kenne ich mich nur mit einem Werkzeug aus – dem Laptop. In den zwei Wochen meines Praktikums will Sven das ändern und mir das Segelmachen näher bringen. Anschauungs- und Übungsobjekt: Genua und Rollgroß für meine Dilly-Dally. So hatten wir es geplant, im Oktober in der Türkei.

Als ich im Herbst in die Türkei übersiedelte, war es Sven Kraja, der mir half, die Dilly-Dally von Marmaris nach Kas zu segeln. Zusammen mit seinem alten Freund Kai-Uwe Eilts brachte er die 30 Jahre alte Lady auf Vordermann. Er war begeistert von dem Schiff, haderte allerdings mit den Segeln: alte, ausgeblichene Laken. Die Lieken angefressen, die Nähte aufgelöst. „Du brauchst neue Segel“, sagte er.
Die alten waren für ihn vor allem eines: ein Sicherheitsrisiko. Bei einer Sturmfahrt starrte Sven unentwegt auf die gereffte Genua. Sie hielt, dennoch reifte eine Idee: Was, wenn ich bei ihm ein Praktikum machte? Dabei könnten wir gleich neue Segel für mein Schiff bauen.