Das Vermessen
Kas, Anfang Januar: Über eine Stunde dauert das Telefonat. Sven stellt tausend Fragen. Kaum eine kann ich beantworten. Fachchinesisch. „Warum ist das so kompliziert?“ denke ich. Im Internet hatte ich doch Angebote von Segelmachern gefunden, die waren viel einfacher: Maße eingeben, Paket wählen. So etwas wie „für Binnengewässer“ oder „für die See“. Geworben wurde mit einem „günstigen Preis“.
Im Kleingedruckten stand, wo die Segel gefertigt werden: irgendwo in Fernost. Erst jetzt, nach meinem Praktikum, bemerke ich, dass ich bei einigen Angeboten kaum etwas über die verwendeten Tuche und Materialien erfahren habe. Das war mir zuvor gar nicht aufgefallen. Denn auch für mich war Segel irgendwie gleich Segel.

Sven stöhnt. Dass er meine Segel nicht selbst vermessen kann, stört ihn. Haarklein erklärt er mir, welche Maße er braucht, ich soll Fotos machen von den Segeln, vom Mast, vom Furling-System. Und weil er mich kennt, besteht er darauf, dass ich zumindest das Rollgroß mit nach Deutschland bringe: Risikominimierung. Normalerweise geht er selbst an Bord, misst und berät. Wie Segelmacher das nun mal machen: Maßanfertigung statt Massenware.
Die Genua der Dilly-Dally mit ihren knapp 50 Quadratmetern stellt Sven vor eine besondere Herausforderung. Es ist eines der größten Segel, die Frogsails je hergestellt hat.
Gewebe oder Gelege?
Schleswig: Ich stehe vor einer Wand – und staune. Dutzende verschiedene Muster unterschiedlicher Tuche hängen dort. Und das nur von einem Hersteller. Hunderte weitere Muster sind in Kartons verstaut. Den Weltmarkt beherrschen gerade mal eine Handvoll Tuchhersteller. Insgesamt habe ich Wahl zwischen rund 300 verschiedenen Mustern.

Ich bin überfordert, suche Rat. Wir müssen das Angebot eingrenzen. Und fangen beim Preis an. Die Kosten pro Laufmeter variieren stark, je nach Tuch. Sie liegen irgendwo zwischen 20 und 100 Euro. High-Tech-Material aus dem Regattasport macht für eine behäbige Fahrtenyacht mit Rollgroß keinen Sinn. Wichtiger sind für mich Robustheit und UV-Beständigkeit. Also können wir aussortieren.
Gelege, also Laminate, kommen für meine Zwecke nicht in Frage. Bleibt Gewebe. Sven rät mir zu Dacron, dem klassischen Segeltuch aus Polyester. Immer noch habe ich etliche Muster vor mir, die sich durch Stärke, Beschichtung und Webart unterscheiden. Hier spielt die Kett- und Schussfestigkeit, also die Art, wie das Tuch gewoben ist, eine große Rolle. Jeder Tuchhersteller hat da seine eigenen Philosophie.

Dickes Tuch besser vermeiden
Am Ende entscheide ich mich für ein Tuch eines deutschen Herstellers: Dimension-Polyant, kurz dp. Wir wählen zwei unterschiedliche Stärken. Der Genua, die die Hauptlast trägt, gönnen wir ein dickeres Kleid mit 360 Gramm pro Quadratmeter. Das Rollgroß muss sich mit 320 begnügen. Ein zu dickes Tuch könnte nicht mehr in den Mast passen.
Sven bestellt die Ware. Und schon am nächsten Tag ist sie da. Es ist ein bisschen wie Weihnachten. Jetzt müssen wir die Rollen nur noch auspacken – und dann kann es losgehen. Ein bisschen Bammel habe ich vor den großen Nähmaschinen. Vollkommen zu recht, wie sich herausstellen wird.
Um das Design des Segels, das Plotten, den Zuschnitt, das Nähen und den nervigen Kleinkram geht es im zweiten Teil: So werden Segel gemacht.
Wer mehr über das Austeigerleben auf einem Segelboot lesen will: Brambusch macht blau. Und hier geht’s zum Blog.