Er weiß, was Sie gegessen haben, ob Sie Medikamente genommen, Kopfschmerzen, oder einen Joint geraucht haben, euphorisch oder niedergeschlagen sind. Oktopoden können das alles und viel mehr durch „Handauflegen“, also durch Berührung mit ihren hunderttausenden Saugnäpfen an ihren acht Tentakeln, die je ein Gehirn besitzen. Mit diesen hochsensiblen Saugnäpfen erstellen sie Analysen, die jedem biochemischen Labor Konkurrenz machen könnten. Das ist Oktopus-Intelligenz.

Darüber hinaus sind diese vermeintlich gruseligen Wesen zur Empathie fähig. Sie erkennen Menschen wieder, finden sie nett oder eben nicht. Letztere werden schon einmal so gründlich geduscht, dass jedes Lama neidisch würde. Manche sagen, Oktopoden wären wie Hunde. Etwas unnützes Wissen für den nächsten Kneipenabend: Die Männchen benutzen einen ihrer Tentakel als Geschlechtsorgan. Der hat keine Saugnäpfe.

Woher wir das wissen? Aus diesem harmlos daher kommenden großartigen Buch. Man nimmt es zur Hand und ist zunächst ratlos: Was soll das sein? Ein Roman? Über eine Tintenfischliebe? Ein Sachbuch? Wo sind dann die Bilder? Über 300 Seiten, die Kraken behandeln? Möchte man das lesen? Man sollte. Sie sollten.
Die Naturfilmerin und Autorin Sy Montgomery nimmt Sie mit – ans Becken im New-England-Aquarium und ins Meer, lässt Sie Oktopoden auf unnachahmliche Weise kennenlernen und sterben sehen. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Oktopus liegt bei drei bis vier Jahren.

Übrigens legen Oktopoden Millionen von Eiern, die sie an der Decke der Bruthöhle aufhängen. Die Muttertiere sterben, sobald die Nachkommen schlüpfen, ohne dass ihnen irgendetwas beigebracht wurde oder Wissen weitergegeben werden konnte. Jeder überlebende kleine Oktopus muss sich seine Welt von Neuem und völlig allein erschließen. Möglicherweise ist das ein Grund, warum es mit der Weltherrschaft noch nicht geklappt hat. Aber: Unterschätzen Sie niemals einen Oktopus. Und gehen Sie mal wieder ins Aquarium.

Sy Montgomery: Rendezvous mit einem Oktopus
mare Verlag Hamburg
336 Seiten, 28 Euro
Ein Video des New England Aquariums über Sy, einen Giant Pacific Octopus, benannt nach der Buchautorin: