Identifizieren, überwachen, warnen – klingt unverzichtbar, aber spaßfrei. Beim Navigieren auf See und im Hafen verlassen wir uns auf elektronische Helfer, angefangen bei GPS und Radar. Deren Bedienung ist begrenzt intuitiv. Unterhaltsam und spielerisch schon gar nicht.
Der US-amerikanische Spezialist für Navigationstechnik, Raymarine, steuert dagegen. Er erfindet immer neue elektronische Geräte, die das Bootsleben einfacher und sicherer machen. Und er verknüpft sie untereinander. So entsteht eine Technik-Spielwiese, die die Lebensqualität an Bord enorm erhöht. Wir haben uns vom Cyclone-Radar, der Kameraüberwachung per Dock Sense Alert und der Smartphone-Steuerung mit dem Yacht Sense Eco System bestens assistiert gefühlt.

Unser Törn beginnt konventionell, als Andrew King von Raymarine an Bord der nagelneuen 20-Meter-Motoryacht Cranchi Sessentasette das Cyclone-Radar einschaltet. Es sitzt auf einem Querträger über der Flybridge. Sieht aus, wie eben ein Radar aussieht. Auch das Bild, das es auf den großen Schirm zaubert, zeigt die bekannten, inzwischen farbigen Schatten. Nichts, was groß überrascht.
Augmented Reality ist kommentierte Welt
Entscheidend ist, was die Raymarine-Software daraus macht. Denn auf einen Fingertipp wird den Radarbildern eine Seekarte unterlegt. Augmented Reality, also erweiterte Realität, macht die meisten optischen Effekte sofort verständlich: Da vorn die kleinen Echos zeigen die Fahrwassertonnen, weiter hinten eine Insel, rechts am Ufer die Bäume.

Jetzt aktiviert Andrew noch das Doppler Target Tracking. Den Doppler-Effekt kennen wir vor allem aus dem Straßenverkehr. Der Sirenenton eines herannahenden Einsatzfahrzeuges klingt höher, als wenn es sich entfernt. Diesen Effekt, der bei allen Wellen bzw. bewegten Objekten auftritt, macht sich das Cyclone-Radar von Raymarine zunutze. Objekte, die sich von der seelenruhig durch die Wellen pflügenden Cranchi wegbewegen, markiert die Software in grünem Farbton. Nähern sie sich dagegen, sind also potenziell gefährlich, werden sie rot gefärbt. Statische, wie etwa Tonnen oder verankerte Schiffe, sind grau.
Vier Kameras wachen rund um das Schiff
Die Identifikation funktioniert blitzschnell. Und zwar in alle Richtungen und bei bis zu 50 Einzelobjekten. Ich kann also ein ganzes Regattafeld beobachten, auch bei Nebel oder stockdunkler Nacht. Ich kann Tonnen und Boote im Fahrwasser mit einem Blick voneinander unterscheiden, was das Zeitfenster für die Reaktion vergrößert. Das heißt: weniger Stress in stark frequentierten Revieren.
Mit Karte und Kamera kombiniert, ergibt das Geflimmer dann noch schneller Sinn. An der Küste werden die großen Radarechos zu Gebäuden, im Yachthafen sind sogar einzelne Boote an den Schwimmstegen erkennbar. Andrew schaltet auf maximale Leistung, das sind 60 Umdrehungen pro Minute. Die Echos auf dem Schirm werden fast so scharf wie ihre Silhouette auf der Karte.

Während ich noch mit den unterschiedlichen Einstellungen herumspiele, nähert sich die Sessentasette dem Hafen. Andrew schaltet jetzt ein weiteres Feature ein, das über eine eigene App im Raymarine-Display angesteuert wird: Dock Sense Alert. Die dazugehörige Hardware besteht aus einer Rechnereinheit – die „Blackbox“, wie Andrew sie nennt – und vier Kameras. Sie überwachen Heck, Bug und die beiden Seiten der gut 20 Meter langen Yacht.
Mein Lehrmeister teilt den Bildschirm – jetzt sind die vier seitlichen Kamera-Perspektiven sowie eine virtuelle Draufsicht auf das Boot zu erkennen. Nähern wir uns bis auf ein Meter an Kaimauer, Nachbarboote oder Felsenküsten, färbt sich die bedrohte Seite des digitalen Abbilds unserer Sessentasette alarmierend rot. Außerdem ertönt eine nervtötende Piepswarnung. Der Abstands- und Kollisionswarner lässt sich auch auf zwei oder drei Meter festsetzen.
Einparken einhand bei Nacht und Nebel
Auch bei Nacht und Nebel ist das Einparken quasi einhand kein Problem. Die vier Kameras, die sich dezent wie kleine Lampen tarnen, sind auch als Wärmebildkamera ausgelegt. Sie erkennen im Stockdunkeln einen Steg, der sich thermisch vor dem kalten Wasser hervorhebt.

Für größere Abstände ist eine weitere Wärmebildkamera im Raymarine-Universum zuständig: M300, die Fern-Kamera von Flir. Seit 2010 ist Raymarine Tochterunternehmen des US-Herstellers von Marineelektronik und kooperiert in vielen Bereichen. Die Zusammenarbeit hat dieses Wunderwerk ergeben. Wir testen es bei einem Nachmittagstörn.
Flir M300 sieht ein bisschen wie der seltsame Roboter E2-D2 aus „Krieg der Sterne“ aus und gibt auch ähnlich seltsame Töne von sich. Per berührungsaktivem Bildschirm auf dem Raymarine-Endgerät lässt sich das Präzisionsinstrument kinderleicht steuern. Den Finger nach links ziehen heißt: Kamera nach links drehen. Zwei Finger spreizen heißt: näher heran. Es funktioniert wie bei einem Smartphone. Da ist sie wieder, die angenehme Bedien-Freundlichkeit.

Kamera gleicht Krängung selbstständig aus
Der Wind hat inzwischen aufgefrischt, die Dünung wiegt die Cranchi vernehmlich. Wer jetzt mit dem Fernglas ein Objekt heranholen will, muss bereits gegen die rollende Schiffsbewegung ankämpfen. Gilt es, einen Bootsnamen oder die Nummer einer Tonne zu verifizieren, kann es bei etwas mehr Schwell anstrengend werden. Für M300 ist das kein Problem. Die Kamera, in einem runden Gehäuse mit einem Motor versehen und 360 Grad drehbar, gleicht Schwankungen selbsttätig aus. Die Bildstabilisierung funktioniert selbst in schwerer See, sagt Andrew von Raymarine.

Wird es dunkel, schaltet man die M300 auf Wärmebild um. Am Anfang ist das Schwarz-Weiß-Bild mit Negativ-Reflexion (Dunkles ist hell, Helles ist dunkel) gewöhnungsbedürftig, doch das dauert nur Sekunden. Vor allem die optische Zoomfähigkeit ist fantastisch. Mit 30-facher Vergrößerung lässt sich nicht nur jede ankernde Yacht in der nächsten Bucht, sondern sogar jeder Rostfleck auf deren Rumpf ausmachen. Sämtliche Beobachtungen landen auf Wunsch auf jedem Raymarine-Endgerät, etwa dem großen Axiom-Display.
Hochleistungskamera auf dem Handy
Doch natürlich ist es auch möglich, die Perspektive der Flir M300 – wie auch alle anderen Kameras an Bord – auf das eigene Smartphone zu projizieren. Das funktioniert mit Raymarine YachtSense Eco System. Es vernetzt nicht nur Kamera, Radar und Echolot, sondern sämtliche Anlagen an Bord. Das können auch Bilgepumpe, Fernseher, Kühlschrank oder Außenbeleuchtung sein. Was Eignerin oder Eigner in die bequeme Lage versetzt, von jedem Punkt der Welt, der über Netzanbindung verfügt, Kontakt zum Boot aufzunehmen.

Ein virtueller Zaun um das verankerte Boot
Der Nutzen liegt nicht allein in der Befriedigung enthemmter Kontrollsucht. Wenn sämtliche Geräte über ein System laufen und zentral angesteuert werden, ergeben sich bemerkenswerte Synergien. „Es gibt ganz einfache Effekte“, erklärt Andrew von Raymarine. So müsse bisher in einem neuen Hafen der WLAN-Zugang in jedem einzelnen Endgerät neu programmiert werden. Bei einem größeren Schiff kann das länger dauern! Mit YachtSense Eco System genügt eine zentrale Eingabe.
Natürlich gibt es auch Effekte für die Sicherheit an Bord – selbst wenn niemand an Bord ist. Hat der Wasserstand in der Bilge eine vordefinierte Höhe überschritten, könnte ein Alarm die Eigner informieren. Auch Öl- und Hydraulikflüssigkeitsstände der Maschine lassen sich ebenso kontrollieren wie der Füllgrad von Sprit- und Wassertanks. Das macht die Törnplanung bequemer, weil ein Tankstopp nicht erst geplant werden muss, wenn man an Bord auf das Zentraldisplay schaut.

Ein weiterer Schritt ist Geofence. Virtuell wird um das verankerte oder angelegte Boot ein Zaun (englisch „fence“) gezogen. Bewegt sich das überwachte Objekt aus diesem GPS-überwachten Gehege, geht sofort ein Alarm heraus. Empfänger können zum Beispiel die Hafenmeisterei, die Eigner oder andere Personen des Vertrauens sein.
War nicht ein Sturm schuld an der Positionsveränderung, kann es sich nur um Kriminalität handeln. Und dann hilft Yacht Sense weiter, während die Polizei zu dem – permanent getrackten – Schiff unterwegs ist. Man könnte zum Beispiel an Bord installierte Überwachungskameras aktivieren, Screenshots von den Bildern der Diebe machen und zur weiteren Strafverfolgung schon mal an die Behörden schicken.
Apps auf dem zentralen Raymarine-Display
Es lassen sich hunderte von Stationen über Yachtsense Eco System verbinden. Der Standard dieser maritimen Fritz-Box ist 4G/LTE. Ihre Skipperin ist die Raymarine-App für iOS und Android. Sie steuert das System zentral und hat Zugriff auf sämtliche angeschlossenen Geräte. Der Kartenplotter Axiom lässt sich auf dem Smartphone spiegeln, so dass alle Axiom-Funktionen – also zum Beispiel Wetter-, Radar- und Sonardaten – auf dem Endgerät für die Törnplanung zur Verfügung stehen.

Auch hier lässt sich schnell feststellen: Die Technik ist das eine – sie funktioniert reibungslos, der Siegeszug der Digitalisierung scheint auch an Bord nicht aufzuhalten zu sein. Doch vor allem: Die Bedienung ist eingängig und macht sogar Spaß! Wer fürchtet, in der Vielfalt der Möglichkeiten und der Tiefe der virtuellen Variabilität unterzugehen, kann beruhigt werden. Serviert wird das leckere Menü wie auf einem PC oder Smartphone mit Appetithäppchen, vulgo Apps.

Sie sind in ansprechendem Design und farblich unterschiedlich, so dass es überhaupt nicht schwerfällt, sie sich zu merken. Spielerisch wechseln wir von der Cyclone-Radar-App zur Karten-App mit Lighthouse-Seekarten, gehen zurück zum Hauptmenü, schauen uns den „Fishfinder“ an, steigen etwas tiefer in die Architektur mit den einzelnen Maschinen-Baugruppen ein – überhaupt kein Stress! Bei aller Komplexität die Bedienoberfläche simpel und subtil zu halten, ist die eigentliche Leistung des Herstellers. Anders ausgedrückt: Sicherheit kann auch Spaß machen!