Endlich mal ein Arbeitsgerät, das ich kenne. Sven Kraja sitzt vor seinem Computer und füttert die Segelmacher-Software mit den Maßen meiner Segel. Mit ein paar Klicks kann er das Profil erstellen, den Schnitt bestimmen, die Vorliekskurve variieren und Verstärkungen konstruieren. Auf dem Monitor erscheint das Segel aus allen möglichen Perspektiven. Mein frisch gestartetes Praktikum beim Segelmacher geht in die entscheidende Phase.
Schon bei unserem Törn auf dem Mittelmeer war ihm aufgefallen, welche Schwächen die alten Segel hatten. Entsprechend verändert er den Schnitt. Im Vergleich zu den hochkomplexen und aerodynamisch ausgefeilten Laminatsegeln der Strandsegler sind die Segel einer Fahrtenyacht eher langweilig. Besonders ein Standard-Rollgross bietet wenig Spielraum für technische Extravaganzen. Trotzdem feilt Sven an den Details.
Die Entwürfe werden an den Plotter übertragen, der millimetergenau die errechneten Bahnen und Verstärkungen auf die Meterware zeichnet. Über eine Stunde dauert es, bis auf die Rolle Tuch ein Puzzle aus 13 Bahnen und 20 Verstärkungsteilen für meine Genua gezeichnet ist. Der Zuschnitt erfolgt dann per Hand, mit Schere und Rollmesser. Wobei eigentlich gar nicht „geschnitten“ wird, vielmehr wird die Schere durch das Tuch geschoben.
Was bei Profis kinderleicht aussieht, bringt mich fast zur Verzweiflung. Statt Präzision ähneln meine Schnitte eher dem wankenden Gang eines Matrosen nach einer langen Nacht in der Hafenbar.
Über einen Kilometer Garn
Für Sven und Diana bedeutet das, sie müssen fast jeden Zuschnitt von mir nachbearbeiten. Im nächsten Schritt wird das Tuch für das Nähen vorbereitet. Die Kanten werden einzeln verschweißt und dann verklebt, damit sie beim Nähen nicht verrutschen. Viel mühevolle Kleinarbeit.
Der Plan, dass ich selbst ein paar Bahnen meiner Segel zusammennähe, stirbt mit meinem Versuch, aus einem alten Stück Segel einen kleinen Kulturbeutel zu schneidern. Das Ergebnis sieht aus wie ein platt gefahrenes Kleintier auf einer Bundesstraße. Das bedeutet für mich: Finger weg vom Segel! Zudem erweist es sich als geschickter Schachzug, dass ich mir für meine Segel graue Nähte aussuche. Achselzuckend nimmt Sven den außergewöhnlichen Wunsch hin. „Wenn Du das willst“, sagte er nur und tauscht das Garn auf der Spule.
Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Mir jedenfalls gefällt das graue Garn auf weißem Segel – und befreit mich obendrein von der Arbeit an der Maschine. Fehler und Irrfahrten der Nadel würde nun selbst ein ungeübtes Auge sofort auf dem strahlend weißen Tuch erkennen. Und das würde Sven nie zulassen. Zudem entscheidet er sich dafür, die Bahnen mit jeweils drei Nähten im sogenannten Triple-Stich zu verbinden, was konzentriertes und exaktes Arbeiten voraussetzt. Genau dafür hatte mich der Kulturbeutel disqualifiziert.
Nähen ist ein Knochenjob
Ich bin nicht traurig, dass ich mich vor dem Nähen drücken kann. Es ist ein Knochenjob. Je mehr Bahnen aneinander gereiht werden, um so schwerer wird die Last, die über den Tisch geschoben werden muss. Die meiste Zeit muss Sven im Stehen nähen, die ganze Last auf dem Hinterbein. Mit dem vorderen bedient er das Pedal der Maschine.
Je größer das Segel wird, um so mehr Helfer werden am Tisch benötigt, die das Segel schieben, drücken und zerren müssen. Drei ganze Tage klebt und näht Sven an der Genua, bis der Stoff die ganze Werkstatt abdeckt. Die Maschine ist eine Spezialanfertigung mit der Kraft eines Ackergauls.
Mühelos sticht die Nadel an den Verstärkungen durch zehn Lagen Segeltuch. Kühlung kommt von einer Luftdüse, damit sie nicht glüht vor Anstrengung. 13.000 Euro hat die Nähmaschine gekostet. Ein halbes Jahr hat Sven sie modifiziert, an ihr geschraubt und getüftelt, bis sie seinen Anforderungen gerecht wurde.