Und wer sich vom Liebesschwur für eine ferne Gespielin trennen muss – zum Beispiel weil eine neue im Anmarsch ist –, kann bei Warlich auch gleich die Entfernung des alten Tattoos erledigen. Der findige Künstler hat schon in den 1920er-Jahren ein Verfahren dafür entwickelt. Das komme oft vor, berichtet er in den 1950ern in einem Interview.
„Ich habe da einen englischen Steuermann, der lässt alle paar Monate einen neuen Mädchennamen unter das Herz mit dem Pfeil anbringen. Mal heißt sie Ursula, mal Ellen und mal Rosemary …“ Wahrheit oder Döntjes? Auf jeden Fall schön erzählt. Warlich erzählt auch von einem amerikanischen Seemann, der sich „Harry“ und „Evelyn“ in den Bizeps stechen ließ. Ein Jahr später sei er zurückgekehrt, habe die Namen entfernen und eine neue Gravur einbringen lassen: „Farewell to Evelyn“.
Warlich ist unpolitisch, er hilft allen. So entfernt „der Meister“ (eines seiner Werbeplakate) ohne Rückfrage in den 1930er-Jahren Hammer und Sichel und andere Symbole, die ihre Träger in Schwierigkeiten mit den NS-Machthabern bringen könnten. Nach dem Krieg tilgt er ebenso zuverlässig Hakenkreuze und die eintätowierte Blutgruppe, berichten seinerzeit Hamburger Medien.

Das „Atelier moderner Tätowierungen“ betrieb Warlich zwar nur als Nebenerwerb, doch mit ganzer Leidenschaft: Der selbst gekrönte „König der Tätowierer“ lebte für dieses Gewerbe. Eine Vermischung von Rumausschank und Hautverzierung indes dürfte nicht stattgefunden haben. Hierzu ist eine Zeugenaussage Warlichs aktenkundig, als er vor Gericht um Beurteilung der Arbeit eines Kollegen gebeten wurde: „Ein anständiger Tätowierer tätowiert […] nicht einen Betrunkenen.“
Rhythmus des Hafens auf St. Pauli
Das dürfte auch dem Selbstschutz gedient haben: In dem nämlichen Prozess reute es im März 1951 einen im Gesicht Tätowierten nach dem Rausch, und er verklagte seinen Nadelsetzer. Das Urteil: Zwei Monate Haft wegen Körperverletzung, weil Betrunkene eben keine rechtskräftige Einwilligung geben können. Warlich wird es also nicht unterstützt haben, dass sich seine Kunden vor der schmerzhaften Prozedur Mut antranken oder mit einem guten Grog für etwas Anästhesie sorgten.
Die Gaststätte sei zunächst eine „Kneipe mit ein bisschen Tätowierbetrieb und später ein Tattoo-Geschäft mit ein bisschen Kneipenbetrieb“ gewesen. Als Erinnerung an diese Ära auf St. Pauli gibt es jetzt den „Warlich Rum“, als der Rhythmus des Hafens, des Ein- und Auslaufens der großen Pötte und der harten Arbeit der Schauerleute auch den Herzschlag des Amüsierviertels bestimmte.
Garniert mit einem der einschlägigen Motive im Stil von Warlichs Musterbuch, illustriert die Flasche eine spannende Episode der Seefahrt – und Hamburger Stadtgeschichte.
Lange Tradition der Veredelung
Tatsächlich gibt es eine jahrhundertealte Tradition der Rumveredelung in norddeutschen Hafenstädten. Die effektvolle Mischung und Lagerung in Eichenfässern machten und machen aus einem relativ rohen karibischen Schädelknaller ein fein nuanciertes Genussgetränk. Und trotz seiner Jugendlichkeit hat Warlich-Rum, „ein leichter und eher fruchtiger Rum im Stil der Insel Jamaica“, bereits fünf internationale Auszeichnungen erhalten.

Bei genauerem Hinschauen haben wir es mit einer Kooperation zwischen dem Nachlass Warlich und der Spirituosenmanufaktur Heinrich von Have zu tun. Die Firma füllt seit fast 150 Jahren in Bergedorf vor den Toren Hamburgs ab. Der Nachlass Warlich hat seinen Sitz in Henstedt-Ulzburg: Das liegt im Holsteinischen, nur einen Katzensprung im Norden. Von jeder verkauften Flasche geht ein Euro an das Institut für deutsche Tattoo-Geschichte, um die enge Verbindung noch zu unterstreichen.
Rum schickt sich heute an, von der Cocktail-Beigabe und Back-Ingredienz zum echten Premium-Spirit aufzusteigen, den auch Bürgerliche pur trinken. Wurde über Jahrzehnte vorwiegend verschnitten, verdünnt und gepanscht, was das Zeug hält, versuchen Erzeuger wie Importeure heute, Reinheitsgebote durchzusetzen. Eines der wichtigsten: kein Zuckerzusatz. So auch der Warlich-Rum.
Übrigens ist auch Warlich Rum volkstümlich bepreist: Eine Flasche notiert bei 29,95 Euro. Das können sich sogar Leichtmatrosen leisten. Was der Meister wohl dazu gesagt hätte, dass nun Hochprozentiges mit seiner hohen Kunst in Verbindung gebracht wird?
„Schwer zu sagen“, sagt Ole Wittmann, der als Kunsthistoriker die Bedeutung des Tattoos als Kunstobjekt näher erforschte. Und nun den Rum auf den Markt gebracht hat. „Es würde ihm sicher gefallen, dass pro verkaufter Flasche ein Euro an das gemeinnützige Institut für deutsche Tattoo-Geschichte gespendet wird.“ Die Kunst voranzubringen, sei zeitlebens ein Anliegen von Christian Warlich gewesen.