Es könnte eine Revolution im Bereich der Elektromobilität werden: Während alle Welt auf Hochvolt-Technologie setzt, um Leistungsabgabe und Ladetempo zu steigern, bringt das bayerische Startup Molabo in aller Seelenruhe einen Niedervolt-Motor auf den Markt. Seit wenigen Wochen gibt es die ersten Bausätze.
Die Performance des ISCAD V50 ist ordentlich, wenn auch keine Sensation. 50 kW Dauerleistung bringt der 45 Kilogramm schwere Elektromotor, als kurzzeitiges Leistungshoch sind 80 kW möglich. Ein offenes Sieben-Meter-Boot mit 1000 Kilogramm Verdrängung beschleunigte der V50 kürzlich bei einem Test damit auf bis zu 28 Knoten. Der Antritt von 0 auf 16,2 Knoten (30 km/h) in 3,7 Sekunden war – wie bei Elektromotoren gewohnt – imposant.
Einen Tag nach dem ersten Erscheinen dieses Beitrags wurde das Molabo-System für den DAME Award 2021 nominiert. Das entspricht gleich den höchsten Weihen: Mit dem DAME Award werden die wichtigen technischen Entwicklungen der Bootsbranche ausgezeichnet. Der Award wird Mitte November im Rahmen der weltgrößten maritimen Zubehörmesse METS in Amsterdam vergeben.
Drehmoment steht Hochvolt-Systemen in nichts nach
Aufmerken lässt die Funktionsweise der kleinen Maschine: Sie arbeitet mit 48 Volt Spannung, dennoch sollen Leistung und Drehmoment den Hochvolt-Brüdern anderer Hersteller in nichts nachstehen. Möglich wird das durch eine völlig neuartige Kontruktionsweise: Seit gut 150 Jahren machen Kupferdraht-Wicklungen das Herzstück des elektromagnetischen Antriebs aus. Von ihnen werden je nach Richtung des Stromflusses positive und negative Magnetfelder erzeugt, die für Anziehung oder Abstoßung sorgen.
Nicht so der Molabo-Motor: Anstelle der Spulen verwendet er ein System von Stangen, die kreisförmig zum Stator angeordnet sind. In diesem Statorkäfig wird das elektromagnetische Feld aufgebaut, das den Rotor im Zentrum in Drehung versetzt – und damit an einer Welle den Propeller. Diese Statorstäbe sind ebenfalls aus Kupfer. Molabo hat aber auch schon erfolgreich Statoren aus Aluminium verwendet.
Keine Lebensgefahr bei Berührung
Die Erfindung, die sich Molabo weltweit patentieren ließ, hat gleich mehrere Vorteile: Die niedrige Voltzahl senkt die Unfallgefahr drastisch. Wer versehentlich mit stromführenden Bestandteilen unter 60 Volt in Berührung kommt, kriegt zwar „einen gewischt“, muss aber nicht um seine Gesundheit oder um sein Leben fürchten. Ganz anders Hochvolt-Technologie: Wer an einem System dieser Bauart arbeitet, befindet sich quasi permanent in Lebensgefahr. Daher dürfen nur speziell ausgebildete Personen damit hantieren.
Ein starkes Argument für einen Niedervolt-Motor, weil der den Aufwand bei Wartung und Reparatur erheblich senkt. Vor allem mit den Jahren, wenn der Einfluss von Korrosion und UV-Licht seine Wirkung zeigt. „Ein System besteht aus vielen Leitungen und Anschlüssen, im Alter wird das mürbe – besonders im Salzwassermilieu“, erklärt Dieter Lettner, Verkaufsleiter bei Molabo. Auch auf sogenannte Isolationswächter – Sensoren, die zur Sicherheit an neuralgischen Punkten installiert sind – kann deswegen verzichtet werden.
Ein weiterer Vorteil besteht in der Robustheit des gesamten Systems: Die Akkus verdrahtet Molabo parallel. Bei Hochvoltmotoren sind die Akkus in Reihe verbunden – fällt ein Modul oder auch nur eine Zelle aus, bleibt es im gesamten System dunkel. Auch der Statorkäfig, nach dem Molabo seinen Motor benannt hat (Intelligent Stator Cage Drive = ISCAD), ist (noch) weniger störanfällig als der klassische Stator mit Kupferdraht-Spulen. „Es können 25 Prozent ausfallen, und man hat immer noch 95 Prozent Leistung“, sagt Andreas Baumgardt, bei Molabo für die Antriebssteuerung verantwortlich.
Motor mit 98 Prozent Wirkungsgrad
Auch auf den Wirkungsgrad soll die Bauweise positive Auswirkung haben. Das gesamte System habe eine Effizienz von 98 Prozent und sei „eines der effizientesten auf dem Weltmarkt“, so Lettner. Der Motor selbst gibt die eingetragene Energie zu 95 Prozent an die Welle weiter. Der Aufbau des Systems erlaubt es, statt eines einzelnen Akku-Blocks mehrere Energiespeicher zu verwenden, die können zur besseren Trimmung im Boot verteilt werden. „Und Bootsbauer sind mit uns flexibler, sie müssen ihr Boot nicht um das System herumbauen“, sagt Andreas Baumgardt.
Es gibt auch einen Nachteil der Niedervolt-Technologie: Die Ladeleistung ist bei geringen Voltzahlen entsprechend niedriger. Das Laden dauert also länger. Doch Baumgardt hält das bei Bootsmotoren für entbehrlich. „Anders als beim Auto müssen Sie auf dem Wasser nicht in ein paar Minuten nachladen – und auch in unserem System sind die Akkus in drei bis sechs Stunden wieder voll.“ Je nach Größe der Energiespeicher, versteht sich.
Die revolutionäre Neuinterpretation des E-Motors entstand am Lehrstuhl für elektrische Antriebe und Aktorik der Universität der Bundeswehr München. Fünf Doktoranden entwickelten gemeinsam mit dem Lehrstuhlinhaber Professor Dieter Gerling den Motor. Als die Betriebsfähigkeit nachgewiesen war, gründeten sie 2016 das Unternehmen. Zwischenzeitlich adelte das Bundesverkehrsministerium die Idee mit dem Deutschen Mobilitätspreis 2018. Im gleichen Jahr gab es noch zwei weitere Innovationspreise.
Warum gibt es so etwas erst jetzt? „Die Frage höre ich öfter“, entgegnet Adrian Patzak. Bis vor wenigen Jahren fehlte einfach die Leistungselektronik, um die Vielphasigkeit des Antriebs zu regulieren, so der Gründer gegenüber float. Hergestellt wird der Motor übrigens in Deutschland: Der Fertigungs-Partner von Molabo ist die Hechinger Gruppe im Schwarzwald, Spezialist bei Magnetspulen und anderen elektrotechnischen Baugruppen.
Maschine mit 500 Kilowatt angefragt
Fünf Jahre hat das Start-Up an der Idee getüftelt, seit kurzem sind die ersten Motoren bei US-Kunden stationär im Einsatz. Auf dem Wasser dauert es noch eine Weile. Als weiteren Partner hat Molabo im März Seamachine, den Hamburger Hersteller von Aluminiumbooten, gewonnen, mit dem wir gerade in den float Originals sprachen. Aufgrund von Covid-19 und der Halbleiterkrise haben sich die Lieferzeiten auch für den ISCAD V50 jedoch heftig verzögert. Hinsichtlich der weiteren Entwicklung verläuft hingegen alles nach Plan, sagt Vertriebsmann Dieter Lettner.
Auf Wunsch gibt es das System auch als komplettes Einbau-Kit inklusive Kühlsystem, Fahrhebel, Display und Akkus. Dann kostet es mit einem Motor je nach Größe der Energiespeicher ab etwa 40.000 Euro. Im kommenden Jahr wird der ISCAD V50 auch als Außenborder am Markt sein. Die Peripherie mitsamt Gehäuse und Getriebe liefert Mercury, das Gesamtgewicht soll etwa 100 Kilogramm betragen.
Wie groß wird der nächste Molabo-Motor? „Aus den USA hatten wir kürzlich eine Anfrage über einen 500-kW-Antrieb“, berichtet Dieter Lettner. Der Kunde habe zwei solcher Maschinen mit einer Gesamtleistung von 1360 PS in sein Rennboot einbauen wollen. „Doch die Entwicklungskosten sind für uns noch zu hoch“, bedauert der Vertriebsexperte. Als nächstes erwägt die Firma eine Maschine zwischen 100 und 150 kW. Auch für Lastwagen und Generatoren sei das ISCAD-Prinzip geeignet. „Wir sind gerade am Anfang, das Potenzial auszuschöpfen“, sagt Andreas Baumgardt.